Warum auf das "V" das "W" folgen muss

Seit Euro 6 strahlen auch beim Volvo FL zwei helle V-förmige LEDs im Scheinwerfer und machen den Verteiler schon von Weitem erkennbar. Ob er den Konkurrenten im eher unemotionalen Verteilersegment damit auch "heimleuchten" kann, klärt der Doppeltest, zu dem zwei unterschiedlich konfigurierte Varianten antraten: Göteborg schickte eine komplett verkleidete schwedische Vollausstattungs-Version mit langer Kabine und Skab-Koffer. Die deutsche Tochter baute dagegen ein "Kassengestell" mit kurzer Kabine und Spier-Koffer auf. Mit Spannung erwarteten wir neben den reinen Testergebnissen also auch die Unterschiede bei Verbrauch und Komfort. Nach wie vor genießt man beim FL die niedrigen, treppenförmigen Stufen und den großen Türöffnungswinkel von 90 Grad. Dazu kommt das optionale, große Seitenfenster in der Beifahrertür, dass kleine Personen oder Poller sichtbar macht. Das erleichtert manchen Rangiervorgang in der Innenstadt. Hier erwies es sich als klug, den Rohbau weiter von Renault Trucks zu beziehen: Die Franzosen sind im Verteilersegment seit Jahren zu Hause und verfügen über entsprechende Erfahrung. Selbstgestaltetes Interieur Interieur und Armaturentafel gestalteten die Schweden aber selbst, wenngleich sie sich beim Facelift den ganz großen Schritt sparten: Mit den vielen klassischen Zeigerinstrumenten und reichlich hartem Kunststoff erinnert es an die kantigen PKW-Knäckebrotklassiker 240 und 740. Das tut der Übersichtlichkeit keinen Abbruch und informiert den Fahrer wirklich umfassend. Direkt aus dem Renault D stammen dagegen die Lenkstockhebel. Heißt in dem Fall gut zu bedienender Wahlhebel für Sechsgang-AS-Tronic, die dafür aber den Scheibenwischerhebel weit nach oben verbannt. Ebenfalls typisch Renault ist, dass der Hebel für die Motorbremse auf der linken Seite liegt. Schaltstrategie wie bei den Großen Die Schaltstrategie selbst glich Volvo den großen Brüdern an, sprich: Auch der FL hält die Gänge jetzt noch länger und verlässt sich auf das Drehmoment von 800 Newtonmetern, das ab 1100 Touren anliegt. Greift man manuell ein, verbleibt der Schwede erst mal stur in diesem Modus. Motorisch ist das vierzylindrige "D5K" genannte Aggregat übrigens kein Deutz-Derivat mehr, sondern trägt deutlich mehr schwedische Gene in sich. Das hört man: An der Ampel schüttelt er einen ganz ordentlich durch. Doch erst mal in Fahrt, kommt Ruhe in die Hütte. Dann klingt ein bisschen Volvo-typischer, gurgelnder Motorensound durch, wenngleich der Vierzylinder zu leichten Dröhnfrequenzen neigt, die aber nicht so durchdringend ausfallen wie beim MAN TGL. Die Schaltstrategie bietet auf der anspruchsvollen Testrunde meist die richtigen Gänge und hält diese entsprechend lang, wodurch man weniger manuelle Eingriffe braucht als beim Vorgänger. Kaum ins Gewicht fällt dagegen die längere 3,31er-Achse der schwedischen Version: Die Schaltvorgänge unterscheiden sich praktisch nicht von der in Deutschland aufgebauten Version, die mit kürzerer 3,58er-Achse antrat. Auch beim Verbrauch ließ sich die Standardversion nicht so leicht abhängen. Interessant: Der Testverbrauch In internen Tests will Volvo die goldfarbene schwedische Variante um bis zu acht Prozent sparsamer bewegt haben als den reinweißen Bruder, was unsere Messergebnisse allerdings nicht widerspiegeln: Zu schnell vernichtet der dichte deutsche Verkehrsalltag in diesem Segment die erzielbaren Verbrauchsvorteile. Und bei dem vergleichsweise hohen Landstraßenanteil bringt die Aeroverkleidung kaum Vorteile. Insofern schmolz der Verbrauchsvorteil auf 0,2 Liter/100 Kilometer zusammen: Am Ende stand es inklusive des Adblue-Konsumes 17,87 zu 18,05 Liter/100 Kilometer, was einen ordentlichen, wenn auch keinen überragenden Wert in diesem Segment darstellt. Bei der Wahl der Achsen kann man also getrost die längere Übersetzung ankreuzen. Denn der kürzer übersetzte Standardkoffer konnte sich von seinem schwedischen Bruder hinsichtlich der Kraftentfaltung ebenso wenig absetzen, wie es umgekehrt jener bei den Verbrauchswerten konnte. Die Kraft des Motors reicht mit zwölf Tonnen Gesamtgewicht allemal aus, selbst einen leichten Anhänger dürfte der FL-Vierzylinder auch mit der längeren Hinterachse noch gut wegziehen, wenngleich dann der Griff zur 240-PS-Version Sinn macht. Das Gesamtzuggewicht begrenzt Volvo auf 19 Tonnen. Wer mehr benötigt, muss die kräftigeren Sechszylinder ordern. In Summe bleibt festzustellen, dass der motorische Fortschritt von Euro 5 zu Euro 6 deutlich ausfällt. Das Fahrwerk blieb etwas Old School Weniger Feinabstimmung ließen die Entwickler dem Fahrwerk und der Lenkung zukommen: In grobe Unebenheiten oder Schlaglöcher poltert der FL verhältnismäßig unmotiviert hinein. Außerdem gibt er den einen oder anderen Schlag bis ins Lenkrad durch, das im Stand bei laufendem Motor im Takt vibriert. Da hat man fast den Eindruck, dass das viel zitierte "V" in dem Fall für "vergessen" steht. Die Exaktheit der Lenkung geht in Ordnung, lässt aber ebenfalls etwas Respektabstand zum Klassenbesten. Die vier Scheibenbremsen verzögern sauber, die Wirkung der 80 Kilowatt schwachen Motorbremse via Auspuffklappe kann man bei niedrigen Drehzahlen fast ganz vernachlässigen - hier empfiehlt sich immer eine Rückschaltung um einen oder besser zwei Gänge. Das Anfahren erleichtert dem Chauffeur der Hillholder, der vor allem für den innerstädtischen Verteilerverkehr eine echte Erleichterung darstellt, ebenso wie die Automatik. Die Arbeit leichter machen weitere Details: Dazu gehört neben der großen Fensterscheibe auf der Beifahrerseite auch der Teil der Mittelkonsole, der Ascher, Becher und einen Stift unmittelbar neben dem Fahrer aufnimmt und der Metallhalter neben dem Fahrersitz, an dem sich die magnetische Fernbedienung für das Fahrwerk andocken lässt. Eine gute Idee ist auch das Schreibbrett für das Lenkrad. Etwas knapp fällt prinzipbedingt das Raumangebot der kurzen Kabine aus. Wer öfter längere Touren plant oder nicht auf den letzten Zentimeter Aufbaulänge und das letzte Gramm Gewicht angewiesen ist, sollte sich in jedem Fall die 400 Millimeter längere Version gönnen. Für die ist optional auch ein Bett erhältlich, das zwischen schmalen 580 und 780 Millimeter misst. Der schwedische Testwagen hatte stattdessen viel Stauraum und eine große Kühl-Staukombination in der Mitte. Die klapperte auch auf schlechten Straßen nicht und lässt sich auch einhändig und ohne hinzusehen gut bedienen. Die Klimatisierung funktioniert ordentlich, wenngleich das Gebläse schon ab Stufe zwei deutlich vernehmbar wird. Darunter weht aus den Ausströmern allerdings nur ein laues Lüftchen, zumal die mittleren Düsen etwas weit vom Fahrer entfernt sind. Etwas gewöhnungsbedürftig ist anfänglich auch der von Renault übernommene Bediensatellit für den Bordrechner, den die Franzosen und Schweden als dritten "Lenkstockhebel" rechts noch unter dem "Schalthebel" positioniert haben, wo er zwar gut erreich- aber schwer einsehbar ist. Die Servicepunkte sind alle gut zu erreichen und die Ölfilter lassen sich nach oben abziehen. Zur manuellen Ölkontrolle muss man die Hütte aber kippen. Etwas umständlich ist auch der Tausch der Leuchtmittel. Dazu müssen vier Torxschrauben gelöst werden und dann sollte man darauf achten, dass man nichts verstellt. Warum das W wichtiger als das V ist Dafür strahlt das Tagfahrlicht wie bei den großen Brüdern V-förmig: Der Marke mit dem V im Blick ist es ernst im Segment mit ebendiesem Buchstaben. Mit dem überarbeiteten FL stellt Volvo eine solide Alternative zum Establishment auf die Räder, wenngleich man ihm anmerkt, dass das Budget im Vergleich zum ganz neuen FH deutlich knapper ausfiel. Noch wichtiger für eine größere Verbreitung dürfte allerdings die dritte Bedeutung des Buchstaben "V" sein: Denn der Vertrieb muss solch eher margenschwache und nicht immer einfach konfigurierbare Autos auch verkaufen wollen. Wenn er das schaffen sollte, muss Volvo einen Buchstaben weitergehen. Dann entscheidet nämlich das "W" der Werkstatt, ob die Kunden des kleinen "V" wieder einen kaufen oder "W" wie weiterziehen zu anderen Angeboten. Alle Tests und Fahrberichte seit dem Jahr 2008 für Premium-Abonnenten unter www.verkehrsrundschau.de/testdatenbank Kommentar V wie verpasste Chance Im preissensiblen Markt der Verteiler gibt der FL eine solide Vorstellung ab, wenngleich man ihm hier und da anmerkt, dass er die Euro-6-Hürde mit knappem Budget überspringen musste. Das ist insofern schade, als Volvo durchaus das Potenzial hätte, hier spürbar weiter nach vorn zu fahren.Kontakt: gregor.soller@springer.comGregor Soller Redakteur