Kleiner Motor, kleiner Durst

Der Trend geht zu weniger Leistung und kleineren Hubräumen - bei gleichzeitig steigenden Drehmomenten. Dass Iveco schon vor Jahren ein Trendsetter war, merken viele erst jetzt. Speziell der Cursor 10, aus dem mit Euro 6 ein Cursor 11 wurde, war der erste Sechszylinder der 450-PS-Klasse mit deutlich unter 13 Litern Hubraum. Die Erfahrung, die Iveco gewonnen hat, scheint sich jetzt auszuzahlen. Der Cursor 11 fühlt sich nach viel mehr Hubraum an, als er tatsächlich hat. Auch die maximalen Drehmomente wurden inzwischen auf Werte gesteigert, für die man früher viel mehr Hubraum benötigte. Und last but not least hat Iveco die Fahrbarkeit dadurch verbessert, dass schon bei niedrigen Drehzahlen ordentlich Dampf gemacht wird. Auch mit SCR-only, einer Abgasnachbehandlung ohne Abgasrückführung, ist den Motorentwicklern der FPT (Fiat Power Train) im schweizerischen Arbon ein Coup gelungen. Scania dürfte nicht der einzige Hersteller sein, der sich diese Technik inzwischen mit auf die Fahnen geschrieben hat. Der Klassiker im Stralis-Portfolio war bislang der 460er. Weil aber der kleine Cursor 9 mit 400 PS eine so ausgezeichnete Figur machte (siehe VR 36/2014; "Quartett mit Trumpf"), hat jetzt das Technik-Ressort der VR quasi die goldene Mitte zum Test gebeten: den Stralis 440 S 42 mit 11,1-Liter-Sechszylinder, 420 PS und 1900 Nm maximales Drehmoment. Maximaler "Dampf" ab 900 Touren Gemessen am Wettbewerbà la Actros 1843 oder DAF MX11 440 hat der Iveco etwas weniger Drehmoment. Dafür steht das maximale "Kraft mal Hebelarm" schon bei 900 Touren an. Der in Spanien gebaute Italiener kommt auch mit 40 Tonnen gut zurecht, beschleunigt sauber aus dem Stand und hat genügend Kraft, um in der kleinen Gruppe beim Beschleunigen bis 1900 Umdrehungen zu gehen und immer wieder Gänge zu überspringen. Erst ab Schaltstufe sieben dreht er nur bis zum Ende des grünen Bereichs - 1500 Touren - und wechselt dann Gang für Gang. Generell eine ökonomische Schaltstrategie. Speed-Shift erspart die Doppelkupplung Zudem verfügt die aktuelle Generation über das sogenannte Speed-Shift - schneller Gangwechsel in den drei höchsten Gängen. Rückschaltungen am Berg gehen damit flott, die Zugkraftunterbrechungen minimieren sich deutlich. Offensichtlich scheint Iveco dem Fahrer immer wieder zeigen zu wollen, wie flott das geht. Anders ist es kaum zu erklären, dass der 420er Stralis schon bei verhältnismäßig kleinen Steigungen bis auf den zehnten Gang zurückschaltet. Das ist in 90 Prozent der Fälle völlig unnötig, weil der Motor ausreichend Power hätte, um im Elften zu ziehen. Kleiner Tipp an die Antriebsstrang-Entwickler: Spendiert eurem Cursor 11 doch Top-Torque mit 200 Nm mehr in Stufe Elf und Zwölf. Dann könnt ihr euch die merkwürdigen Rückschaltungen ganz sparen. Das spart nicht nur Kraftstoff, sondern bringt auch mehr Ruhe ins ansonsten kommode Fahren. Wenig Diesel - aber nicht langsam Vielleicht könnte sich der Iveco dann zu noch besseren Verbrauchergebnissen aufschwingen. Immerhin beeindruckt er mit dem drittbesten Ergebnis, das je ein LKW auf der VR-Testrunde hingelegt hat. Und mit einem Durchschnittstempo von 80,3 km/h ist er in seiner Leistungsklasse noch nicht mal langsam. Freilich muss man anmerken, dass die Streckenkenntnis des Tester-Teams in dem Fall den bei Iveco noch fehlenden GPS-Tempomaten ersetzte. Ortsfremde Fahrer lägen wahrscheinlich in größerem Abstand zu den aktuellen besten LKW - Scania G 410 und Mercedes Actros 1843 - beide mit besagten GPS-gesteuertem Tempomanager. Aber wir wollen die Verdienste dieses Motors nicht schmälern. Er hängt gut am Gas, läuft leise und scheint nach Erfahrungen aus der Praxis trotz des kleinen Hubraums standfest zu sein. Die Motorlagerung hat indes ein kleines Problem: Vibrationen übertragen sich über die Lager auf den Rahmen und setzen sich bis in die Lenkung fort. So bekommt der Fahrer eines aktuellen Euro-6-Triebwerks stets eine leichte Handmassage - was auf Dauer nicht immer angenehm ist. Da sollte Iveco nachbessern. Das fällt umso mehr auf, als der Stralis ansonsten sehr ruhig läuft. Den Bereich Fahrwerk und Lenkung haben wir schon oft in Tests gelobt. Auch das aktuelle Testfahrzeug unterstreicht wieder mal unser Lob. Sowohl die Federung beider Achsen als auch die Kombination Achs- und Fahrerhausfederung ist gelungen. Mit einer sehr direkten, aber dennoch ausreichend leichtgängigen und gut definierten Lenkung setzt der Italiener Maßstäbe. Dafür brauchen manche anderen Hersteller eine Einzelradaufhängung ... Im Gegensatz zu den ersten Euro-6-Triebwerken zeigt sich der Adblue-Durst des aktuellen Testfahrzeugs auf akzeptablem Niveau von 6,7 Prozent. Ein vergleichbarer Scania genehmigt sich mit 8,6 Prozent deutlich mehr vom zwar günstigen, aber dennoch umständlich zu handhabenden "Urea". Mit einem Durchschnittsverbrauch von 24,6 l Diesel pro 100 Kilometer kann man wohl leben. Auf den mit 40 Tonnen befahrenen Passagen liegen die Verbräuche zwischen 24,4 und 28,8 l/100 km. In der Teilbeladung (24,1 t Gesamtgwicht) schafft der Stralis 18,8 l/100 km. Damit dokumentiert er, dass er auch mit voller Ausladung sparsam unterwegs ist. Viel mehr aber noch, dass er mit Teilausladung ein äußerst sparsamer LKW ist. Damit ist er prädestiniert für den gemischten Einsatz in der Großflotte mit wechselnder Tonnage. Ein zusätzliches Sparpotenzial ließe sich eventuell mit einer besseren Eco-Roll-Strategie erreichen. Erfreulich ist, dass die ZF-Schaltbox wirklich nur in Neutral geht, wenn nicht die Gefahr des Überlaufens besteht. Andererseits nutzt sie die Rollenergie nicht konsequent. So muss der Fahrer an mancher Stelle bei eingelegtem Gang minimal Feuer machen, statt kraftfrei rollen zu können. Zur Ehrenrettung sei gesagt, dass andere Hersteller, die Eco-Roll schon früher hatten, auch erst noch Erfahrung sammeln mussten. Der VGT-Lader macht ordentlich Druck Abgesehen von den teils zu frühen Rückschaltungen am Berg, sind manuelle Eingriffe meist überflüssig. Die feinfühlige Rangierfunktionen, aktiviert durch längeres Drücken der ungünstig positionierten Schaltprogrammtaster, unterstützen den Fahrer. Die Schaltgeschwindigkeit in den unteren Gängen ist niedriger als etwa bei Volvo oder Scania. Der variable Turbolader sorgt aber für schnellen Druck und Leistungsaufbau und überspielt dieses Manko. Die Kupplung arbeitet im Test-Stralis ohne Beanstandung. Wegen der langen Hinterachsübersetzung bleibt der 420er auf der Landstraße bei 60 km/h im elften Gang. Wer 70 km/h fährt - ja, das ist verboten ... - könnte manuell in den Zwölften wechseln und wäre dann sparsamer unterwegs. Trotz leistungsfähiger Turbo-Motorbremse ist der im Test-LKW verbaute ZF-Intarder eine Wohltat. Der erhöht den Fahrkomfort enorm und bremst den Zug zuverlässig bei 90 km/h ein. Wer bergab schneller unterwegs ist, sollte wissen, dass Iveco als bislang letzter Hersteller keine Warnfunktion hinterlegt hat. Sind 60 Sekunden vorbei, kommt gnadenlos der Tachoeintrag! Generell präsentiert sich der Iveco übersichtlich und bietet als einer von wenigen LKW eine elektrische Verstellung aller Außenspiegel. Leider sind die Hauptspiegel klein und bieten kein besonders großes Sichtfeld. Dafür lässt sich zwischen Gehäuse und A-Säule durchpeilen, was die Übersicht vor allem im Kreisverkehr verbessert. Der im Vergleich knapp geschnittenen Kabine sieht man 1000 Liter Stauraum kaum an. Da stehen Licht und Schatten eng beisammen: Die Idee, die Außenstaufächer in einen Bereich für Werkzeug und persönliche Habe zu trennen, ist gut. Allerdings fallen die Fächer grundsätzlich klein aus und auch die Klappen sind winzig. Gleiches Bild im Innenraum. Auch da sollte über der Frontscheibe zumindest ein großes Fach sein, wo größere Behältnisse Platz finden. Es soll Fahrer geben, die haben sogar eine Mikrowelle dabei. Selbst eine Kaffeemaschine während der Fahrt sicher zu verstauen, fällt angesichts der vielen, aber auch viel zu kleinen Fächer nicht leicht. Schön ist der bequeme, treppenartig angeordnete Einstieg. Der Sitzverstellbereich fällt leidlich großzügig aus. Auch langbeinige Fahrer finden die passende Position. Das kann man vom Lenkrad nicht sagen. Das ist immer irgendwo zwischen den Knie. Fahrer klassischer Alfa kennen das: die "Frosch-Position" beim Fahren. Letztlich überzeugt der Stralis 440 S 42. Er ist trotz oppulenter Ausstattung leicht, sparsam, offeriert ein langes Wartunsgintervall, günstige Leasingraten und kleine Service- und Wartungskosten. Trüge er einen Stern, er wäre ganz sicher unter den Top-3-Verkäufen. Alle Tests und Fahrberichte seit dem Jahr 2008 für Premium-Abonnenten unter www.verkehrsrundschau.de/testdatenbank Test mit Referenz-Lkw Testen wie die Industrie Jeden VR-Profi-Test begleitet der redaktionseigene New Actros 1845 mit Kögel-Curtainsider (40 Tonnen). Mit dieser Kombination haben wir unter Normalbedingungen (windstill, trocken, 20 °C) Basiswerte für die Verbrauchsmessung erfahren. Ändern sich bei der Testfahrt die äußeren Bedingungen durch Wind, Regen oder Temperatur, ändert sich auch der Verbrauch des Referenz-LKW. Um diese Abweichung können wir die Verbrauchswerte des jeweiligen Test-LKW korrigieren und schaffen eine Basis, alle Werte unserer Einzeltests vergleichbar zu machen. Da die Messwerte je nach Witterung um bis zu zehn Prozent abweichen, halten wir eine vergleichende Darstellung ohne Referenz-LKW für nicht legitim. gg Der Iveco im TÜV-Urteil Wartung und ServiceServiceintervall (max. 100) 100Abfahrtskontrolle (max. 90) 81Servicearbeiten (max. 80) 72Fahrerfreundlichkeit (max. 90) 65Kleinreparaturen (max. 70) 59 Gesamtpunkte: (max. 430) 377Detaillierte Ergebnisse unter www.verkehrsrundschau.deLangläufer zum guten PreisAuch in Euro 6 bleibt es beim Wartungsintervall von 150.000 km. Das 450.000-km-Ölwechsel intervall für Getriebe und Hinterachse ist Standard, eine Besonderheit sind 800.000 km Haltbarkeitsgarantie für die Kupplung mit AS-Tronic-Getriebe bei Abschluss eines Wartungsvertrages. Sicherheit im Betrieb schafft ein Jahr Garantieverlängerung (36 statt 24 Monate) mit dem knapp 300 Euro teuren Full-Service-Vertrag - der sich sogar bis ins vierte Jahr verlängern lässt. Das Fahrgestell ist bis auf die vorderen, ölgefüllten Radnaben wartungsarm. Der Luftfilter lässt sich bequem von unten wechseln. Die pneumatische Kupplungsbetätigung ist wartungsfrei. Das Diagnosesystem prüft alle relevanten Betriebsflüssigkeiten. Gut platziert sind Reifenfüllanschluss, Lufttrocknerpatrone sowie die Unterlegkeile. Klappscheinwerfer erleichtern den Birnentausch der H7-Leuchten. Mit Ausnahme des teuren VGT-Laders sind die Ersatzteilpreise auf marktüblichem Niveau. gg

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