Viele Vorteile, trotzdem noch kein Erfolg

Fünf Jahre dauerte der Feldversuch - mit durchaus positivem Ergebnis. Am Ende stand die Übernahme in den Regelbetrieb, der jetzt seit etwa zehn Monaten läuft. Wer erwartet hatte, dass der Lang-Lkw, von dem die Rede ist, sich jetzt explosionsartig verbreitet, sieht sich getäuscht. Trotz bekannter und unter anderem vom VDA gebetsmühlenartig wiederholter Vorteile - 50 Prozent mehr Ladevolumen, dabei nur 25 Prozent mehr Verbrauch, hohes Sicherheitspotenzial, weniger Straßenbelastung - ist die Branche zögerlich bei der Inbetriebnahme neuer Kombinationen. Die VerkehrsRundschau begibt sich auf Spurensuche, warum das sinnvolle Konzept nicht auf die erwartete Gegenliebe stößt. Der Test von vier Kombinationen, die Fahrzeughersteller Fliegl zur Verfügung stellte, sowie eine Fahrerschulung von SVG-Trainern, die ihren "Lang-Lkw-Schein" machen, soll Antworten geben. Handicap Positivnetz Das augenscheinliche Killerkriterium für den Einsatz des Lang-Lkw ist das sogenannte Positivnetz. Das umfasst aktuell 11.600 Kilometer an Autobahnen plus einen Teil Landstraßen, die berühmte "letzte Meile", die von den Lang-Lkw befahren werden, um zu den Hubs und Güterverteilzentren zu kommen. Zum Vergleich: Das gesamte Autobahnnetz Deutschlands umfasst ziemlich genau 13.000 Kilometer. So gering ist das Positivnetz also nicht, zumal ständig neue Strecken dazukommen. Baden-Württemberg als einer der letzten Verweigerer hat inzwischen einige Strecken freigegeben, Bremen hat den Widerstand aufgegeben, so wie jüngst Brandenburg. Fehlt eigentlich nur noch NRW - wo eine baldige Öffnung erwartet wird. Nach fünf Jahren Feldversuch kann man zudem konstatieren, dass es auch keine technischen Bedenken gegen den Lang-Lkw gibt - wohl aber einige Erkenntnisse, die man als Interessent für so ein Konzept beim Kauf berücksichtigen sollte. Beim Vor-Ort-Termin müssen knapp dreißig potenzielle Anwärter auf den "Lang-Lkw-Führerschein" vier Konzepte testen. Übrigens müssen Kandidaten eine fünfjährige Berufserfahrung im gewerblichen Einsatz haben und natürlich mindestens genauso lange im Besitz einer CE-Fahrerlaubnis sein, ehe sie einen entsprechenden Einweisungslehrgang machen dürfen. Kein eigener Führerschein Solche Lehrgänge kann man unter anderem bei Trailerherstellern wie Fliegl machen, ebenso bei den Zugmaschinen-Fabrikanten sowie bei einigen Ausbildungsinstituten. Neben einem akzeptablen Anteil an Theorie steht vor allem der Umgang mit dem Lang-Lkw im Vordergrund - in erster Linie das Rangieren. Übrigens sind die Hürden in Deutschland eher gering. Bei den Nachbarn in den Niederlanden gibt es den Zusatzführerschein erst nach drei Tagen Intensivlehrgang. Mag sein, dass dem Lang-Lkw dort wegen der erlaubten 60 Tonnen Gesamtgewicht ein höheres Gefahrenpotenzial zuerkannt wird ... Der Lehrgang, den die VR begleitete, zeigte ziemlich schnell die Vor- und Nachteile der einzelnen Kombinationen. Ein Exot ist der "B-Double", eine Kombination mit zwei Sattelaufliegern. Die als "Typ 4" deklarierte Kombination ist in der Vorwärtsfahrt äußert wendig, vor allem wenn mindestens eine Achse des ersten Aufliegers gelenkt ist. Verfügt der zweite Trailer zudem über eine Balgdruckentlastung der letzten Achse (bei Langsamfahrt reduziert sich der Achsdruck auf ein Minimum, wodurch der Drehpunkt des Aggregates nach vorne wandert), ist das Befahren des BO-Kraftkreises ein Kinderspiel. Ganz anders sieht es aus, wenn der Fahrer diese Kombination rangieren soll. Trotz obligater Rückfahrkameras ist es während eines Tages kaum möglich, den B-Double sicher zu beherrschen. Das dürfte der Grund sein, warum der Doppelsattel aktuell nur einen Bestand von drei Prozent ausmacht und vorwiegend im Umfeld von Häfen zu sehen ist, wo er meist 20- und 40-Fuß-Container transportiert. Geht es um Volumen - und das tut es beim Lang-Lkw eigentlich immer -, müsste eigentlich die Kombination aus Sattelzug plus tiefgekuppeltem Zentralachsanhänger die erste Wahl sein: Low-Liner-Zugmaschine plus Mega-Sattel plus Mega-Zentralachser macht 150 Kubikmeter Ladevolumen. Trotz des augenscheinlichen Vorteils hat der Gesetzgeber dem "Typ 2" eine einjährige Bewährungsfrist auferlegt. Die läuft am 31.12.2017 aus - und noch weiß man nicht, wie es weitergeht. Die Gründe liegen auf der Hand: Zum Rangieren ist diese Kombination ähnlich schwierig wie der B-Double, der aber immerhin perfekt vorwärtsfährt. Das tun Sattel plus ZA leider nicht. Die Stützlast des Anhängers drückt aufs Heck des Sattelaufliegers. Das entlastet die Antriebsachse der Zugmaschine und führt zu teilweise enormen Traktionsproblemen (siehe Interview S. 60). Bei leerer Kombination reicht eine nasse Fahrbahn, um für haltlos durchdrehende Antriebsräder zu sorgen. Nicht zu vergessen ist: Diese Kombination ist leer und teilbeladen extrem seitenwindempfindlich. Dass sich aktuell dennoch über ein Viertel der Nutzer dafür entscheidet, liegt am niedrigen Gewicht, dem im Verhältnis niedrigsten Preis und am besagt hohen Transportvolumen. Am besten zu fahren: das Dolly Gut zwei Drittel alle Betreiber von Lang-Lkw-Kombinationen entscheiden sich trotzdem für die Dolly-Kombination (Typ 3). Auch die angehenden Lang-Lkw-Piloten im Lehrgang sprechen sich für diese Kombination aus. Wer einen BDF-Zug rangieren kann, kommt auch mit dem langen Gliederzug gut zurecht. In der Vorwärtsfahrt zeigt diese Kombination ein sehr fahrstabiles Verhalten, ist unempfindlich auf nicht ganz optimale Beladung und zeigt kaum Seitenwindempfindlichkeit. Den Nachteil des höheren Bauaufwandes, um maximales Volumen zu erreichen, nehmen deshalb viele Nutzer in Kauf. Immer mehr Betreiber gehen dazu über, bei der Zugmaschine auf einen 4x2 statt einen 6x2 zu setzen - was zu besserer Traktion führt - und auch beim Sattelauflieger eine Achse wegzulassen. Letztlich rollt die Kombination dann auf sechs Achsen. Das reicht für 40 Tonnen völlig aus und sichert zudem, auch künftig im Vorund Nachlauf zum Kombinierten Verkehr mit 44 Tonnen fahren zu dürfen (während Fünfachs-Kombinationen künftig nur noch 42 Tonnen wiegen dürfen). Ein wichtiges Thema beim Typ 3: das Dolly. Eine "Keep it simple"-Lösung bietet Schmitz mit einem Starrachsdolly an. Um mit dieser Lösung den BO-Kraftkreis befahren zu können, bedarf es zumindest einer Balgdruckentlüftung an der Hinterachse des Trailers. Weniger Aufwand bedeutet die Verwendung eines hydraulisch gelenkten Dollys von Krone. Allerdings ist das nicht die günstigste Lösung. Einen neuen Weg geht Fliegl mit einem Dolly, das durch eine starr mit dem Zugwagen verbundene Deichsel das Dolly ansteuert und in der Kurvenfahrt für das nötige Ausschwenken sorgt (Video siehe Hinweis auf Seite 58). Die Lösung arbeitet wirkungsvoll und ohne Hydraulik. Probleme gibt's allenfalls, wenn man den Lang-Lkw zerlegen muss. Ach ja, den "Typ 1" gibt es auch noch. Dem "Lang-Sattel" widmen wir uns unten im Interview mit Fliegl. Das Video zur neuen Dolly-Technik ohne Hydraulik www.verkehrsrundschau.de/mediathek