S-Way beerbt Stralis

An Selbstbewusstsein mangelt es den Verantwortlichen bei Iveco schon einmal nicht: "Man habe mehr als nur eine neue Lkw-Baureihe entwickelt", versichern die Italiener, bevor der Schleier endgültig vom neuen Produkt fällt. Vor allem deshalb bringt der erste Blick zunächst mal Ernüchterung mit sich: Irgendwie erscheint der neue Iveco wie ein alter Bekannter und dürfte dafür sorgen, dass man sich im schwedischen Södertälje geschmeichelt fühlt. Kühlergrill und Seitenpartie orientieren sich optisch nämlich stark an der aktuellen Lkw-Baureihe von Scania, auch wenn die Iveco-Mitarbeiter diese Ähnlichkeit zurückweisen. Nicht diskutierbar, aber auch nicht von Nachteil: Das neue Blechkleid kaschiert zwar geschickt, aber eben nicht gänzlich, dass weiterhin die Kabinenstruktur des Vorgängermodells das Rückgrat des neuen S-Way bildet. Moment mal - S-Way? Ja, mit der neuen Modell-Generation legt Ivecos Lkw-Baureihe tatsächlich auch ihren bisherigen, gut etablierten Namen Stralis ab. Über die Gründe dafür ließe sich intensiv spekulieren, was wir aber getrost sein lassen und uns dem S-Way lieber für einen Stubendurchgang nähern. Neu gestaltete Türgriffe und weiterhin vier bequeme und trittsichere Stufen ebnen den Weg in die Fernverkehrskabine. Oben angekommen fallen die Türen mit einem wertigen "Plopp" ins Schloss. Ein erster Hinweis auf die höhere Wertigkeit und Haptik, die Iveco für den S-Way verspricht. Letzteres bestätigt sich in vielen Bereichen des Fahrerhauses. Der weiterhin im spanischen Madrid gebaute Italiener hat sich in Sachen Materialanmutung deutlich verbessert. Fast alles greift sich angenehmer und rastet verbindlicher als beim Vorgänger. Selbst die Seitenscheiben - endlich ohne die altmodischen Fensterstege - fahren nun ohne das bislang obligatorische Quietschen rauf und runter. Eine Autofunktion zum Öffnen und Schließen der Fenster haben sich die Entwickler allerdings gespart. Ansonsten findet sich vieles aus dem Vorgänger Stralis wieder. Die Rundinstrumente erhielten lediglich neue Zifferblätter, zwischen ihnen weilt der nun umfangreichere und bedienungsfreundlichere Bordcomputer. Ebenfalls beibehalten wurde der zum Fahrer hin stark angewinkelte Armaturenträger, dem Iveco ein überarbeitetes Infotainment-System und eine neue Schaltereinheit für Lüftung und Klimaanlage spendierte. Eine zeitgemäße elektrische Feststellbremse dagegen nicht - befremdlich für einen neuen Lastwagen angesichts des Komfort- und vor allem Sicherheitszugewinns, den diese moderne Technik bringen würde. Nichts Neues auch bei den bewährten Drucktasten für die automatisierte Schaltung samt den beiden Lenkstockhebeln. Lediglich die Bedieneinheit für den Tempomaten verlegte Iveco zeitgemäß ins neue Lenkrad, das serienmäßig zum Fahrer hin abgeflacht wurde, was mehr Platz für den Fahrer schaffen soll. Vergrößertes Fahrerhaus Apropos mehr Platz, davon bietet der S-Way im Ganzen mehr. Dafür zeichnen das neu entwickelte, "luftigere" Hochdach und die nun höher auf dem Rahmen sitzende Kabine verantwortlich. Letzteres schafft einerseits Raum für zwei Außenstaufächer pro Seite, wodurch das Stauvolumen auf 375 Liter anwächst. Vor allem aber ließ sich so der Motortunnel auf kaum noch spürbare acht Zentimeter absenken. Zusammen mit dem höher gezogenen Dach sind selbst auf dem Tunnel 2150 Millimeter Innenhöhe geboten, die selbst Riesen genügen dürften. Für solche Staturen gibt es am Fahrerplatz weitere gute Nachrichten. Zwar fallen die Verstellmöglichkeiten des Lenkrades weiterhin vergleichsweise gering aus, dafür montiert Iveco den Fahrersitz aber nun sechs Zentimeter niedriger und er lässt sich im gleichen Maß weiter nach hinten schieben. Das Finden einer entspannten Sitzposition erleichtern beide Maßnahmen deutlich. Ebenfalls in ihrer Wirksamkeit bestätigen können wir Ivecos Maßnahmen bei der Kabinendämmung. Die Cursor-Motoren, egal ob in Diesel- oder Erdgas-Variante, verrichten ihre Arbeit dezenter und auch die Brummgeräusche und Vibrationen, mit denen die Dieselmotoren bei niedrigen Drehzahlen bisher manche Teile des Interieurs zum Erzittern brachten, sind nahezu verschwunden. Erhalten blieb erfreulicherweise die Fahraktivität des Stralis-Vorgängers. Der S-Way verfügt über das gleiche sportliche abgestimmte Fahrwerk, das den schwierigen Spagat zwischen Komfort und Verbindlichkeit harmonisch beherrscht. Dazu gesellt sich die direkt ausgelegte Lenkung, die der Person am Steuer zu jeder Zeit ein sicheres Gefühl vermittelt. Minimale Veränderungen verordnete Iveco dem Antriebsstrang. Die Cursor-11- und -13-Reihensechszylinder treiben den S-Way in allen bisherigen Leistungseinstellungen an und wurden lediglich durch geringe Modifikationen am SCR-System auf die strengere Euro 6d-Norm gehoben. Bei der Verteilung der Antriebskraft setzen die Italiener ebenfalls auf Bewährtes in Form des ZF-Traxon-Getriebes. Die automatisierte Zwölfgang-Schaltbox verrichtet ihren Dienst wie gehabt verlässlich und sauber, reicht aber an die Souveränität der schwedischen Wettbewerber nicht ganz heran. Bei Konnektivität auf Stand gebracht Mehr Neues gibt es in Sachen Konnektivität. Das sogenannte Smart-Connectivity-Pack, mit dem Iveco seine schwere Baureihe auch in diesem Bereich auf den aktuellen Marktstand hebt, ist in jedem S-Way werkseitig verbaut. Das Paket bietet zahlreiche Funktionen, um den Fuhrparkverantwortlichen bei seiner Arbeit zu unterstützen. Die Software basiert auf einer gemeinsam mit Microsoft entwickelten Serviceplattform, die laut Iveco sichere Datenspeicherung und -verwaltung ermöglicht. Über das My-Iveco-Portal oder eine entsprechende App kann das Fahrzeug vom Desktop-Computer aus oder über mobile Geräte überwacht werden. Das System gibt beispielsweise Auskunft über den Kraftstoffverbrauch und analysiert den Fahrstil des Fahrers in Echtzeit und liefert Tipps zur Verbesserung. Zusätzlich gibt der Hersteller mit der "My-Iveco-Easy-Way-App" auch dem Fahrer ein "Spielzeug" an die Hand. Darüber kann er alternativ zum Infotainment-System in der Mittelkonsole unter anderem auf seine persönliche Fahrstilanalyse zugreifen oder Licht, Audio und die Klimaanlage seines S-Way von außerhalb der Kabine steuern. Ebenfalls hilft das System bei Service und Wartung. Über den Zustand des S-Way wacht ununterbrochen die Turiner Zentrale. Drohende Defekte lassen sich so oftmals bereits erkennen, bevor sie überhaupt entstehen, und anstehende Wartungen in Abstimmung auf den jeweiligen Fahrzeugeinsatz effizienter und wirtschaftlicher planen. Streng durchgeplant hat Iveco auch die Markteinführung des kompletten S-Way-Programms, welches immerhin 215 verschiedene Versionen umfasst. Den Anfang machen ab September zunächst die Sattelzugmaschinen mit großer Fernverkehrskabine und Dieselmotor. Sukzessive in den Monaten danach folgen die LNG- und CNG- Modelle sowie Fahrgestelle, Mega-Zugmaschinen und die schmaleren beziehungsweise kurzen Kabinenvarianten für nationale und regionale Einsätze. In Kürze Der neue Iveco S-Way basiert weiterhin auf dem Vorgängermodell und übernimmt auch dessen bisherige Motorenpalette. Innerhalb der Kabine sowie bei Konnektivität und Service lässt der italienische Lkw-Hersteller aber viele wichtige Neuerungen einfließen. Fazit Verbessert, aber kein BenchmarkMit dem Modellwechsel lässt Iveco viele wichtige Verbesserungen einfließen, die den S-Way ohne Frage besser machen als den Vorgänger. Neue Standards setzt der Neue aber nicht, dazu hätte es mehr bedurft, Stichwort elektrische Parkbremse, digitales Cockpit oder gar das Ersetzen der Außenspiegel durch Kameras. Wie ich auch Innovatives bei den Sicherheitssystemen vermisse, wie einen aktiv ins Geschehen eingreifenden Spurassistenten oder eine intelligente Abbiege-Unterstützung ab Werk.Jan Burgdorf Test-Redakteurjan.burgdorf@springernature.com

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