Paris. Schon in diesem Jahr hätte die nach Protesten in der Bretagne bis auf weiteres verschobene Ökosteuer 1,15 Milliarden Euro einspielen sollen. Hiervon hätte der Systembetreiber Ecomouv‘ 250 Millionen Euro kassiert, 750 Millionen Euro der Staat an Einnahmen verbucht und 150 Millionen Euro wären den Kommunen zugutegekommen. Jetzt scheint die Frage im Kabinett zur Entscheidung anzustehen, wie das abgebrochene Steuerunterfangen wieder in Gang gebracht werden soll, wie die Pariser Les Echos berichtet. Umweltministerin Ségolène Royal scheint mit ihrer radikalen Forderung nach schlichter Aufgabe des Projekts nicht durchgedrungen zu sein. Die in einem solchen Fall fällig gewesene Schadensersatzforderung seitens des unter italienischer Führung stehenden Ecomouv‘-Konsortiums hätte sich auf mindestens 850 Millionen Euro belaufen.
Premierminister Manuel Valls hat nunmehr die Wahl zwischen zwei verschiedenen Konzepten. Das erste stützt sich auf die Vorschläge einer Parlamentarierkommission, sieht unter anderem eine je nach Fahrzeuggewicht und CO²-Belastung ermittelte Monatspauschale vor und will die Steuerbelastung für Kurzstreckenfahrten möglichst niedrig halten. Das zweite Konzept zielt hierauf ebenfalls ab, würde jedoch noch weiter gehen und das steuerpflichtige Strassennetz von bisher geplanten 15.000 auf nur noch 4000 km zusammenstreichen, das heißt auf die Hauptachsen des Landes. Dies hätte den politischen Vorteil für die Regierung, dass sie von den Ökosteuer-Gegnern in der Bretagne keine neuen Aktionen mehr zu befürchten bräuchte, denn die dortigen Schnellstrassen waren auch schon nach der bisherigen Planung von dem Steuerprojekt ausgenommen.
Weitere Proteste sind nicht auszuschließen
Kritiker befürchten allerdings, dass in anderen Landesteilen angesiedelte Unternehmen gegenüber denen in der Bretagne benachteiligt würden, und in Frankreich, das die Gleichheit zu einem seiner drei zentralen Ziele ernannt hat, ist dies immer ein Argument für Proteste. Beide Szenarien würden zudem die eingangs erwarteten Einnahmen empfindlich schmälern: Um 300 Millionen Euro jährlich nach Berechnungen der Parlamentarier, und um die 500 Millionen Euro beim zweiten Konzept. Beides wäre von den ursprünglich erhofften 1,15 Milliarden Euro weit entfernt. Ferner würde Ecomouv‘ damit nach Expertenmeinung „mehrere hundert Millionen Euro“ Mindereinnahmen verbuchen. Die seitens des Staates kalkulierten Steuereinnahmen sollen nach bisheriger Lesart der staatlichen Agentur Afitf die Mittel zur Finanzierung alternativer Transportlösungen an die Hand geben. Sie waren schon fest eingeplant. Bei den nunmehr im Kabinett debattierten Lösungen zur Rettung der Ökosteuer müsste für den damit verbundenen beträchtlichen Einnahmeausfall entsprechend Ersatz geschaffen werden, damit die Agentur ihren Aufgaben trotz allem nachkommen kann. Manuel Valls soll nach Presseberichten dazu tendieren, einen Vorstoß von Ségolène Royal aufzunehmen und die privaten Autobahnlizenznehmer zur Kasse zu bitten, deren Gewinne von der aktuellen Regierung ohnehin als überhöht angesehen werden.
Gesetzgeber ist gefragt
Ab wann eine wie auch immer aussehende Ökosteuer in Frankreich de facto erhoben werden kann, hängt nicht zuletzt auch vom Gesetzgeber ab. Eine Verkleinerung des bisher in Aussicht genommenen steuerpflichtigen Straßennetzes bedürfte einer entsprechenden Revision der fraglichen Zollbestimmungen, was nur im Rahmen eines neuen Haushaltsgesetzes möglich wäre. Was die beiden Konzepte anbetrifft, rechnet man in Paris mit einer Entscheidung des Ministerpräsidenten noch in dieser Woche. (jb)