Die VerkehrsRundschau befragte Gesine Meißner, EU-Abgeordnete und verkehrspolitische Sprecherin der FDP im EU-Parlament zum Thema Kabotage.
Frau Meißner, der jüngste Bericht der EU-Kommission zur Lage des Straßengütertransports scheint die völlige Freigabe der Kabotage vorzubereiten. Werten Sie den Bericht genauso?
Gesine Meißner: Ich lese aus dem Bericht nicht zwingend eine völlige Liberalisierung der Kabotage, wohl aber den Plan, die bisherigen Regeln zu überarbeiten beziehungsweise zu lockern. Bevor die neue Kommission nicht im Amt ist, lässt sich ohnehin schwer über die Pläne der Kommission mutmaßen, vor allem bei einem so umstrittenen Thema wie der Kabotage.
Die Liberalisierung wäre aber im Sinne Ihrer liberalen Partei?
Natürlich wünschen gerade wir als Liberale uns grundsätzlich eine weitgehende Öffnung der Märkte und den Abbau von Beschränkungen auch im Straßentransport. Das Ziel ist ja ein einheitlicher europäischer Transportraum. Als ich 2009 meine Arbeit im Transportausschuss begann, haben sich viele liberale Kollegen für eine völlige Liberalisierung der Kabotage eingesetzt. Inzwischen habe ich den Eindruck, dass die Begeisterung nachgelassen hat. Die jetzige Kabotage-Regelung scheint mir allerdings auch ein unglücklicher Kompromiss. Einerseits ist sie sehr komplex und schwierig zu kontrollieren. Andererseits ist sie zu unflexibel, um internationalen Transport wirklich effizient zu organisieren und Leerfahrten zu vermeiden.
Die Kommission spielt die negativen Effekte der Liberalisierung herunter. Ein Bericht des EU-Parlaments von 2013 sieht das anders. Wie kommt diese auffällige Diskrepanz?
Die negativen Effekte einer Liberalisierung sollte man durchaus ernst nehmen. Die Kommission argumentiert, dass sich die Kostenstrukturen im Güterverkehr in den einzelnen Mitgliedstaaten aufeinander zubewegen. Gleichzeitig muss man aber sagen, dass die Unterschiede noch gewaltig sind und ost-/mitteleuropäische Spediteure Transportleistungen weit günstiger anbieten können als westeuropäische Unternehmen.
Wie könnte man es schaffen, die Voraussetzungen für fairen Wettbewerb bei völliger Kabotage-Freiheit zu erreichen?
Ein wichtiger Punkt für faire Wettbewerbsbedingungen ist die gleichmäßige Durchsetzung und Kontrolle von europäischen Vorschriften auf der Straße. Die strengen Regelungen zu den Lenk- und Ruhezeiten oder zur Überladung und auch zur Kabotage helfen nicht, wenn sie nicht in jedem Mitgliedsland gleichermaßen kontrolliert und sanktioniert werden.
Wie stehen die Chancen, dass ein Vorschlag der EU-Kommission zur Liberalisierung der Kabotage im Parlament durchkommt?
Widerstand scheint vorprogrammiert. Die Chancen, dass eine völlige Liberalisierung der Kabotage eine Mehrheit bekäme, stehen in der Tat schlecht. Deswegen erwarte ich eher einen moderateren Vorschlag der Kommission. (kw)