Paris. In die komplexe Gemengelage der Autobahnproblematik in Frankreich hat am Dienstag ein Bericht der Pariser Zeitung „Les Echos“ wie eine Bombe eingeschlagen. Während Umwelt-, Energie- und Transportministerin Ségolène Royal für einen Verzicht auf Mauterhöhungen im kommenden Jahr eintritt und von den privaten Autobahnbetreibern eine Milliarde Euro unter Hinweis auf ihre als überhöht kritisierten Gewinne einfordert, enthüllte das Wirtschaftsblatt die Existenz eines vor einem Jahr zwischen beiden Seiten ausgehandelten und paraphierten Abkommens, dessen Inhalt auch dem Parlament bisher nicht bekannt gemacht worden war. In diesem Geheimdokument steht, dass die Autobahnmaut in den kommenden Jahren bis 2018 jährlich um 1,5 Prozent erhöht werden solle, und zwar unabhängig von den üblichen, alle Jahre erfolgenden Heraufsetzungen durch die Betreiber. Hintergrund ist der Ende 2012 gefasste Regierungsbeschluss, die von diesen erhobene Geländenutzungsgebühr um 50 Prozent zu erhöhen. Sie liegt seither bei 300 Millionen Euro pro Jahr.
Kompensationslösung in Aussicht
Gegen diese Maßnahme setzten sich die Betreiberunternehmen in monatelangen Verhandlungen zur Wehr und erreichten schließlich die jetzt bekannt gewordene Kompensationslösung. Darin enthalten ist auch die Aussicht auf eine „relance autoroutier“ (PRA), einen Plan zum weiteren Ausbau der Autobahnen, für den die aktuellen Betreiber 3,3 Milliarden Euro aufbringen müssten. Im Gegenzug soll ihnen dafür die nach jetzigem Stand spätestens zwischen 2027 und 2033 auslaufende Konzession im Schnitt um weitere 2 bis 3 Jahre und mehr verlängert werden. Dem PRA-Programm hat die EU-Kommission Ende Oktober ihr Plazet erteilt, die für die Arbeiten benötigte Summe jedoch auf 3,2 Milliarden Euro begrenzt. Nach Presseberechnungen würden die Autobahnbetreiber durch die Konzessionsausweitung das Viereinhalbfache dieses Betrages an Nettogewinn kassieren, nach Abrechnung der Betriebskosten. Das wären 14,7 Milliarden Euro.
Steuergeschenke lassen Autobahnbetreiber schlecht aussehen
Kürzlich hatte die Pariser Wettbewerbsaufsicht die Gewinne der Konzessionäre als zu überhöht bemängelt. Dazu kämen noch Steuergeschenke, deren Höhe seit 2006 bis zu 3,4 Milliarden Euro aufgelaufen sei. Die Behörde kritisierte ferner, dass die Unternehmen diese Gelder nicht für Investitionen einsetzten, sondern diese über Schulden finanzierten und stattdessen ihren Aktionären hohe Dividenden ausschütteten. Seit der Konzessionsvergabe sollen sich diese auf bisher 14,9 Milliarden Euro belaufen haben.
Im Spannungsfeld zwischen privatwirtschaftlichen und staatlichen, sprich öffentlichen Interessen hat die Frage eventueller Mauterhöhungen inzwischen eine derartige hochpolitische Brisanz erreicht, dass solche derzeit kaum noch realisierbar erscheinen. Gegenwärtig sieht es danach aus, als säßen die Autobahnbetreiber vertraglich wasserfest abgesichert am längeren Hebel, während die Regierung unter immer massiveren Druck von Parlamentarierseite gerät. Es sei „nicht mehr möglich, weiter in Erwartung von ein paar Gesten guten Willens seitens der Konzessionäre zu verharren“, heißt es in einer vergangene Woche vorgelegten Info-Mission. Deren Berichterstatter, der sozialistische Abgeordnete Jean-Paul Chanteguet, hat inzwischen die Unterstützung seiner gesamten Fraktion für die Forderung nach Kündigung der Verträge erhalten, und Parlamentspräsident Claude Bartolone rief die Exekutive dazu auf, eine „einzigartige Gelegenheit zum Agieren“ zu nutzen. Wollte die Regierung dem nachkommen und die Verträge so lösen, dass dies zum 1. Januar 2016 wirksam werden würde, müsste das spätestens am letzten Tag dieses Jahres geschehen, also am 31. Dezember 2014. (jb)