Ein neues Zeitalter

Es war eine "einmalige Chance. So etwas passiert nur einmal im Leben", sagt Firmenchef Klaus Finsterwalder heute im Rückblick auf die deutsche Einheit (siehe Seite 31). Und Deutschlands Transport- und Speditionsunternehmer ergriffen diese Chance. Was sie daraus gemacht haben, was sie erlebt haben - das sind spannende Geschichten. Nicht bei allen ging das Abenteuer "Wiedervereinigung" ohne Blessuren ab. Vor allem war Schnelligkeit gefragt - getreu den berühmten acht Worten von Michail Gorbatschow: "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben." "Ich war jung und wollte etwas schaffen" Ein Kasten Bier aus dem niederbayerischen Straubing ins sächsische Zwickau - mit dieser Fuhre fing bei Ingo Prüstel, Geschäftsführer der Ingo Prüstel Spedition in Callenberg bei Chemnitz, alles an. Im August 1990, nicht einmal ein Jahr nach Fall der Mauer, nutzte der damals 22-Jährige die Chance und machte sich als Transportunternehmer selbstständig. "Ich wollte immer etwas mit Lkw machen."In der DDR war dies leichter gesagt als getan: So wurde Prüstel erst Zimmermann, später gründete er einen Getränkefachhandel. "Das war nicht meine Richtung. Aber Handel hat etwas mit Transport zu tun." Und so kam es, dass die Wende auch zu seiner persönlichen Wende wurde: "Da habe ich mein Lkw-Hobby zum Beruf gemacht". Gestartet ist Prüstel mit einem 100-PS-IFA-W50 und einem 180-PS-IFA-L60 sowie einem Anhänger; später mietete er eine alte Scheune als Lager. Drei Jahre später hatte er seinen ersten Mercedes Benz MB 1735 - auf Kredit finanziert. Und das Unternehmen florierte - der Durst auf westdeutsches Bier in den neuen Bundesländern war riesig: Ob Bitburger, Warsteiner oder Erdinger - Prüstel konnte viele namhafte Brauereien und Getränkehersteller gewinnen - trotz Konkurrenz aus Westdeutschland. Über die will er nicht lamentieren: "Entweder man passt sich diesem Markt an oder man lässt es ganz", sagt er lapidar. Wichtig sei nur, dass ein Unternehmer immer wisse, wohin er strebe: Ob er klein bleiben oder groß werden wolle. Für ihn war klar:"Ich war jung und wollte etwas schaffen."Geärgert hat Prüstel im Rückblick eines: In den 90er-Jahren kam man nur für viel Geld an Fernverkehrskonzessionen oder man fuhr als Subunternehmer für westdeutsche Speditionen. "Lebenslang Subi sein", das wollte der Unternehmer nicht. Stattdessen setzte er auf Direktkunden und internationale Transporte - mit Erfolg: Heute zählt seine Spedition über 190 Mitarbeiter, 140 eigene Lkw sowie eine Logistikfläche von 48.000 Quadratmeter. 25 Jahre nach der Wende quält ihn also nur eines: "Das negative Image der Transportbranche in der Bevölkerung". Das sei früher besser gewesen. eh Westdeutsche kamen schneller an Grundstücke Seit 1919 gibt es die Spedition Gebrüder Rost aus Vacha in Thüringen. Doch nach der Wiedervereinigung tickten die Uhren in Ostdeutschland anders. Vor der Wende hatte ich viele Nachteile als Unternehmer. Wir bekamen keine Wohnung und meine Kinder durften kein Abitur machen. Ich war ja Kapitalist, sagt Christoph Schuchert, der seit 1974 Geschäftsführer der Spedition ist damals mit drei gebrauchten Fahrzeugen. Sogar der Treibstoff war kontingentiert. Nicht alles sei aber schlecht gewesen, betont er: Der Druck in der damaligen DDR war nicht so groß wie heute.Nach der Wende hat sich Schucher t schnell auf die neue freie Marktwirtschaft eingestellt: kaufmännisches Know-how am Abend gepaukt, sich in der Thüringer Verbandsarbeit engagiert und so wertvolle Kontakte zu westdeutschen Kollegen wie der SVG, der Kravag und Verbänden gewonnen, die ihm bei seiner Aufbauarbeit geholfen haben. Eines aber bekam er in Ostdeutschland lange nicht: Gewerbliche Grundstücke, um expandieren zu können. Als Ostdeutscher wurde man von der Treuhand nicht für voll genommen. Westdeutsche Speditionen kamen viel schneller an Grundstücke, erinnert sich der Unternehmer. Auch bei der Vergabe von Konzessionen und Ausnahmegenehmigungen seien die westdeutschen Transporteure bevorzugt worden.Da aber viele vormalige DDR-Betriebe die Wende nicht überlebten und viele westdeutsche Spediteure Ostdeutschland flugs verließen, als die staatlichen Fördergelder spärlicher flossen, bekam Schuchert seine Chance: Stück für Stück konnte er in seiner Heimatgemeinde Gewerbeflächen er werben heute ist die Gebrüder Rost Spedition, inklusive dem Kabeltrommelwerk Schuchert und der Vacha Fahrzeugbau mit insgesamt 200 Mitarbeitern, 100 Fahrzeugen und einem Hochregallager von 15.000 Palettenplätzen der größte Arbeitgeber in Vacha. Kein Wunder, dass Schucherts Resümee zur Einheit positiv ausfällt: Nach der Wende ist zwar unser unternehmerisches Risiko gestiegen. Unter den alten Bedingungen wären wir aber wohl nicht so erfolgreich geworden. eh

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