Mietvertrag mit dem russischen Zoll

An der weißrussisch-russischen Grenze wird an diesem trüben Wintertag kontrolliert. Doch unter den Schutzdächern des verlassenen Grenzpostens an der Fernstraße M1 stehen nur russische Verkehrspolizisten - keine Zöllner. Sie interessieren sich für die Papiere von Fahrern und Fahrzeugen, nicht aber für die Fracht der etwa 2000 Lastwagen, die täglich auf der kürzesten Verbindung von Warschau nach Moskau unterwegs sind. "Meist kann man hier ohne Stopp durchfahren, als wäre es eine Landesgrenze in der Schengen-Zone", berichtet Sergej Maas, Operations Director bei OOO Revival Express, einer russischen Tochter des deutschen Logistik-Unternehmens Rhenus Logistics. Denn Grenzpolizisten und Zöllner schieben dank der von Russland, Weißrussland und Kasachstan geschlossenen Zollunion hier seit Juli 2011 keinen Dienst mehr. Fünf Tage sei ein Lkw mit einem Fahrer heute in der Regel von Berlin nach Moskau unterwegs, so Maas. "Noch im Dezember konnte es an der polnisch-weißrussischen Grenze ein bis zwei Tage dauern, jetzt sind die Wartezeiten dort kein Thema mehr", berichtet Maas. Denn das Verkehrsaufkommen ist aufgrund der Wirtschaftskrise in Russland deutlich gesunken. Auch im weißrussischen Brest würden Lkw mit Ziel Russland vom Zoll üblicherweise nicht geöffnet, sondern nur gewogen, sagt Maas. Die Weißrussen prüfen die Dokumente und das Carnet - und weiter geht es nach Osten. Drei Kilometer hinter dem einstigen Grenz-Checkpoint - und noch immer gut 440 Kilometer vor Moskau - beugen sich dennoch russische Zollbeamte über Computer, um die Frachten der draußen auf dem umzäunten Parkplatz stehenden Trucks abzufertigen. Die meisten von ihnen haben polnische oder russische Nummernschilder, aber auch weißrussische, ukrainische, dänische oder serbische Fahrzeuge sind zu sehen. Vor dem akkuraten blau-weißen Gebäude am Rande der M1 weht die grün-weiße Flagge des föderalen Zolldienstes FTS neben den Bannern Russlands, Deutschlands - und der Firmenflagge von Rhenus Logistics. Landesweite Lizenz als Zollbroker Das Unternehmen verfügt hier im Dorf Krasnaja Gorka im Gebiet Smolensk als einziger ausländischer Betreiber an der russisch-weißrussischen Grenze über ein Zoll- und Logistikterminal. Die Initialzündung für den Bau des Terminals mit 2200 Quadratmeter Hallen-Lagerfläche und Stellplätzen für 400 Lkw war der Beschluss der russischen Regierung im Jahr 2008, die etwa 200 Zollposten und Zolllager im Großraum Moskau weitgehend an die Landesgrenzen zu verlegen - wo es aber in der dafür zulässigen 30-Kilometer-Zone kaum die nötige Infrastruktur gab. Da Rhenus über eine landesweit gültige Lizenz als Zollbroker verfügte, fiel die Entscheidung, sich in dieser neuen Nische zu engagieren. Das Unternehmen übernimmt für seine Kunden also nicht nur die Vorbereitung und Begleitung der Zollabfertigung durch die russischen Behörden, sondern stellt dafür auch die Örtlichkeit und die Infrastruktur vom Radioaktivitäts-Detektor am Haupttor bis hin zum Fernfahrer-Café - und gewährleistet den direkten Draht zum russischen Zoll: "Der Zoll als staatliche Struktur ist bei uns Mieter. Wir arbeiten eng mit ihm zusammen, haben aber keinen Zugang zu dessen IT-System", erklärt Olaf Metzger die Symbiose mit dem FTS. Als Geschäftsführer von Revival Express koordiniert er von Moskau aus die Russland-Aktivitäten der Rhenus-Gruppe. Keine Spur von Korruption Das Gebiet Smolensk auf halbem Weg zwischen Minsk und Moskau erwies sich dabei als glückliche Standortwahl: Auch nicht einen Hauch von Korruption und Behördenwillkür habe es bei der Realisierung des 8 Millionen Euro teuren Projekts gegeben, lobt Metzger. In dem im Februar 2013 eröffneten Komplex auf acht Hektar Fläche wurden im letzten Jahr die Ladungen von etwa 6000 Lkw verzollt. Nur etwa 200 von ihnen waren dabei mit Exportgütern aus Russland beladen, die große Masse stellt der Import, berichtet Metzger. Wie schnell die Abfertigung vor sich geht, hängt dabei von den Beamten in den grünen Uniform-Hemden ab. Bislang waren zwölf Zöllner bei Rhenus stationiert. Seit Anfang Februar 2015 sind es jedoch 17, womit die tägliche Arbeitszeit des Terminals um drei Stunden bis 21 Uhr verlängert und auch auf das Wochenende ausgedehnt werden konnte. Damit Lkw hier in nur drei bis vier Stunden abgefertigt werden können, ist aber eine umso gründlichere und langwierige Vorarbeit nötig, erläutert Metzger. Zunächst erstellt Rhenus mit seinen Kunden eine Zolldatenbank, die alle vom Zoll verlangten Angaben zu den potenziell zur Einfuhr vorgesehenen Artikeln enthält. Sobald der russische Zoll diese Datenbank bestätigt hat, organisiert Rhenus eine "Green Light Procedure", bei der die Prüfung der Begleitdokumente noch vor dem Abgang der Ware sichergestellt wird. Über eine Online-Plattform kann der Kunde dann die Bearbeitung seiner Importe verfolgen. Zöllner prüfen Daten statt Waren Wenn Versender, Transporteur und Zollbroker ihre Hausaufgaben ordentlich erledigt haben, kann die Fracht "auf Rädern" verzollt werden - das heißt, die Zöllner schauen nicht mehr unter die Plane, sondern nur auf die Papiere respektive auf die elektronische Deklaration. Drei Viertel aller bei der "OOO Rhenus Terminal" eintreffenden Lkw können deshalb innerhalb von 24 Stunden weiterfahren, weitere 20 Prozent innerhalb von zwei Arbeitstagen. Bei neuen Kunden wie auch Sammeltransporten prüft der russische Zoll allerdings umso gründlicher. Bei der ersten Lieferung eines Sportartikelherstellers wurde unlängst in der Rhenus-Lagerhalle jedes T-Shirt auf Größe und Material hin geprüft und von jedem Artikel ein Foto gemacht - insgesamt 4000, berichten Metzger und seine Mitarbeiter. Beim Besuch der VerkehrsRundschau war die Lagerhalle jedoch gähnend leer. Stichproben und Routinekontrollen der Zollbehörde sind aber auch bei den als verlässlich eingestuften Unternehmen möglich. Zwei aktuelle Kopfschmerz-Themen des im Russlandverkehr tätigen Speditionsgewerbes betreffen Rhenus mithin nicht: Die russischen Gegensanktionen gegen die EU-Staaten wirken sich nicht aus, weil hier keine Lebensmittel abgefertigt werden - und nur die trifft der Boykott. Und die faktische Aussetzung der Gültigkeit des TIR-Systems durch den russischen Zoll hat dem Terminal sogar zusätzliche Kundschaft beschert. Denn wer bereits an der Grenze entzollt, braucht die vom Zoll nun anstelle des Carnet geforderte Transitgarantie für die Fahrt durch Russland nicht mehr. "Finanziell kommt das aber letztlich aufs Gleiche raus", erklärt Metzger. Anlass zur Sorge gibt es dennoch. Im Januar 2015 verbuchte das Rhenus-Terminal 20 Prozent weniger Verkehr als in den Vormonaten. Die dramatische Krise, in die Russland gegenwärtig rutscht, trifft die Automotive-Branche besonders stark. Und die größten Kunden in Krasnaja Gorka sind aktuell Volkswagen, MAN und DAF, die auf diesem Weg Komponenten und Ersatzteile nach Russland liefern. Der europäisch-russische Wirtschaftsverband Association of European Businesses geht in seiner Prognose für 2015 von einem Einbruch des Pkw-Marktes um 25 Prozent aus - nach minus 10 Prozent in 2014. Rhenus sucht deshalb neue Warenströme, um zu verhindern, dass das Terminal verwaist: "Wir arbeiten jetzt auch mit anderen Zollbrokern zusammen. Das gleicht die Umschlagseinbußen wieder aus", berichtet Metzger. Auch soll die Abwicklung von Exporten verstärkt werden. Erster neuer Kunde sei ein russischer Reifenhersteller, der nun nach Polen und in die Ukraine liefern will. Prinzipiell sorgt die Rubel-Schwäche ja dafür, dass russische Waren günstig im Ausland angeboten werden können. Situation in Russland ist unkalkulierbar Parallel propagiert das Unternehmen gegenwärtig die Einführung einer "vereinfachten Zollprozedur" unter Beteiligung der Deutschen Industrie- und Handelskammer für seine Großkunden wie auch neue (um es im Duktus der russischen Bürokratie zu sagen) "vorbildliche Teilnehmer der Außenwirtschaftsbeziehungen". Wie tief der Einbruch der russischen Wirtschaft 2015 werden wird, ist nicht abzusehen. Das sagen selbst Experten, die sonst nicht um detaillierte Prognosen verlegen sind. Denn mit dem Ölpreis und dem Ostukraine-Konflikt dominieren Faktoren das Geschehen, die sich im Lauf des letzten Jahres als völlig unkalkulierbar erwiesen haben. "Früher oder später wird der von Präsident Putin 2010 gemachte Vorschlag eines gemeinsame Wirtschaftsraums von Lissabon bis Wladiwostok aber verwirklicht", ist sich Olaf Metzger sicher. Die Frage ist nur, wann, wie schnell und unter welchen Schmerzen dies geschieht. Insofern hält der Rhenus-Statthalter in Moskau das Engagement seiner Firma an Russlands Westgrenze nach wie vor für eine gute Entscheidung. Aktuelle Wirtschaftsdaten aus Russland Heftige Rezession voraus Auch ganz ohne Ukraine-Krise, Sanktionen und Ölpreisverfall wäre die russische Wirtschaft im letzten Jahr in die Stagnation gerutscht. Russlands Boomjahre schienen schleichend auszuklingen. 2014 erzielte die russische Wirtschaft zwar noch ein leichtes nominelles Wachstum von 0,6 Prozent, doch das Jahr endete mit einem Kollaps der Landeswährung: Im letzten Quartal verlor der Rubel gegenüber dem US-Dollar 30 Prozent seines Wertes - und im Januar 2015 nochmals 18 Prozent.Der Außenhandel schrumpft spürbar: Die Exporte gingen um 3,8 Prozent zurück, die Importe um deutliche 8,9 Prozent. Die Aussichten für 2015 sind noch schlechter: Ausgehend von einem Ölpreis von 50 US-Dollar pro Barrel im Jahresdurchschnitt erwartet das russische Wirtschaftsministerium einen Rückgang des BIP um 3 Prozent, eine Inflation von 12 Prozent und ein Schrumpfen der Reallöhne um 9 Prozent. Die BIP-Prognosen von Weltbank und IWF liegen auf dem gleichen Niveau. Die europäische Bank für Wiederaubau und Entwicklung (EBRD) erwartet hingegen ein Minus von 4,8 Prozent, die renommierte Moskauer Higher School of Economics rechnet - ebenfalls bei einem Barrel-Preis von 50 US-Dollar - mit einem Minus von 6,5 Prozent beim BIP, einer Inflation von 15 Prozent, einem Rückgang der Investitionen um 22 Prozent und einem Schrumpfen der Reallöhne um 10 Prozent. ld Standort Smolensk Freie Gewerbeflächen Die verkehrsgünstig an der Straßen- und Bahn-Achse Berlin-Warschau-Moskau gelegene Oblast (russisches Verwaltungsgebiet) Smolensk ist mit knapp 50.000 Quadratkilometern so groß wie Niedersachsen, hat aber mit 964.000 Einwohnern eine achtmal niedrigere Bevölkerungsdichte. Die Gebietsverwaltung wirbt mit vielen freien Gewerbeflächen, Personalreserven und (dank eines Atomkraftwerks) überschüssigen Energiekapazitäten um Investoren. Die meisten von ihnen kommen aus Deutschland. Die Stadt Smolensk verfügt über neun Hochschulen. Der Flughafen von Smolensk ist außer Betrieb. Zweimal täglich fahren jedoch moderne, von Siemens gelieferte "Lastotschka"-Regionalzüge in 4,5 Stunden nach Moskau. ld

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