Die stille Größe

Transport- und Logistikdienstleister aus Mittel- und Osteuropa haben sehr unterschiedliche Herangehensweisen, wenn es um die Eroberung des deutschen Marktes geht. Die einen nehmen viel Geld in die Hand und kaufen in Deutschland mittelständische Speditionen auf, um vor Ort zum starken "Player" zu werden, so wie es die in Polen ansässige Raben-Group tut (siehe VR 36/2017). Andere wie das ungarische Unternehmen Waberer's gründen in Deutschland ein, zwei Büros und versuchen ansonsten aus ihrer Heimat heraus deutschen Logistikern mit günstigeren Preisen den Markt streitig zu machen (siehe VR 37/2016). Und dann ist da noch die dritte Variante: Lieferungen von und nach Deutschland, aber bloß die Finger lassen von einem Einstieg in den deutschen Binnenmarkt. Diese Philosophie vertritt das litauische Transport- und Speditionsunternehmen Girteka Logistics. Wer die Via Baltica aus Polen nach Litauen hineinfährt, sieht Lagerhallen und Lkw-Fuhrparks, soweit das Auge reicht. Noch ist das Baltikum mit Estland, Lettland und Litauen weit davon entfernt, der größte Logistikstandort Europas zu werden. Dafür kann hier eine der besten Wachstumsraten erzielt werden, denn die Lage scheint ideal: kurze Wege und historische Verbindungen nach Russland, eine intensive und freundschaftliche Beziehung zu den skandinavischen Ländern und die enge Verknüpfung mit allen weiteren Staaten der Europäischen Union. Wer sich unter diesen Vorzeichen modern und marktwirtschaftlich geschickt aufstellt, kann es als Logistiker weit bringen. Genau dies scheint Girteka mit Sitz in Vilnius im Augenblick zu gelingen. Massive Investitionen in den Fuhrpark Immerhin läuft es so gut, dass der Miteigentümer und Vorstandsvorsitzende von Girteka, Mindaugas Raila, in diesem Sommer vom litauischen Wochenmagazin "Veidas" in einem Ranking als viertreichster Mensch Litauens geführt wurde. Immerhin ist Girteka mit 7100 Mitarbeitern einer der größten Arbeitgeber in Litauen und erwirtschaftete im Jahr 2015 einen Umsatz von 424 Millionen Euro; der Nettogewinn von über 15 Millionen Euro hielt sich auf Vorjahresniveau - wobei abzuwarten ist, wie sich die aktuellen starken Investitionen in den Fuhrpark auswirken. Denn die litauische Firma setzt auf eine radikale Ausweitung und Modernisierung der Flotte, deren Fahrzeuge durchschnittlich keine drei Jahre alt sind. Allein in diesem Jahr hat Girteka 1000 neue Mercedes-Actros-Zugmaschinen und 500 Auflieger von Schmitz Cargobull angeschafft. "Am stärksten sind wir bei Transporten mit voller Lkw-Beladung von A nach B, am liebsten auf langen Distanzen. Genau in diesem Bereich finden wir in Deutschland sehr attraktive Kunden", sagt Kristian Kaas Mortensen, Vorstandsmitglied und Chef der Abteilung Kommunikation und Marketing bei Girteka. Girteka funktioniert mit einer schlanken und transparenten Struktur, die Hierarchien sind flach und die Kompetenzen klar verteilt. Wenn Mortensen die Tätigkeit von Girteka beschreibt, spricht er von drei großen Märkten: "Europa" mache rund 50 Prozent des Geschäfts aus, "Skandinavien" weitere 25 Prozent und Russland plus GUS die restlichen 25 Prozent. Zahlen für das Deutschland-Geschäft nennt das Unternehmen nicht, ebenso wenig wie für andere einzelne Märkte. "Wir suchen in Deutschland und anderswo unter den Logistikern nicht so sehr nach Partnern, denn Girteka ist groß genug, um die kompletten Logistikaufgaben intern mit unseren eigenen Mitteln zu lösen. Wir arbeiten ohne Vermittler direkt mit unseren Kunden zusammen", sagt Mortensen. Den Spediteuren und Logistikern in Deutschland und anderswo Konkurrenz auf ihren eigenen Märkten zu machen mit Transporten innerhalb eines Landes - danach stehe Girteka also überhaupt nicht der Sinn, betont er. Girteka schluckte Thermo-Trans Allerdings sollte man wohl niemals "nie" sagen. Denn im Jahre 2015 kaufte sich Girteka zu 40 Prozent bei der dänischen Kühlspedition Thermo-Trans ein - bis jetzt blieb eine solche Investition die Ausnahme und für Deutschland schließen die Litauer derzeit jegliche Übernahmen aus. Der Fokus wird also weiterhin auf Langstreckentransporten liegen. Hier hat sich Girteka auf die Lieferung von Frischwaren spezialisiert. 36 Prozent der Ladungen enthalten schnell verderbliche und gefrorene Lebensmittel, weitere 19 Prozent sind Einzelhandelsprodukte, 16 Prozent Haushaltswaren wie Waschmaschinen und Kühlschränke, 12Prozent Automobil- und Industriewaren, 9 Prozent hochwertige Fracht wie Schmuck und 8 Prozent sind Stückgut. Die Frage, die sich aufdrängt: Ist es ein unfairer Wettbewerbsvorteil, wenn Unternehmen aus den ehemaligen Ostblockstaaten, die ihren Fahrern deutlich geringere Löhne zahlen können als ihre deutschen Branchenkollegen, diesen ihre Kunden wegschnappen? Gegen diese Definition wehrt sich Helmut Große, Leiter der Abteilung Straßengüterverkehr International beim Deutschen Speditions- und Logistikverband: "Ich störe mich immer an dem Begriff Sozialdumping, was ja eine Illegalität voraussetzt", argumentiert er. Ein Unternehmen müsse natürlich den Vorschriften des jeweiligen Landes entsprechen, zum Beispiel dem deutschen Mindestlohngesetz, betont Große. Hier müssten die Kontrollen noch ausgeweitet und verschärft werden, um Missbrauch - oder auch nur den Verdacht von Missbrauch - völlig zu auszuschließen. "Wenn das erfüllt ist, kann sich keiner mehr beschweren. Dann herrschen gleiche Bedingungen für alle", schlussfolgert Große. Er verweist zudem darauf, dass viele deutsche Logistiker auch in die günstigeren östlichen Märkte gegangen sind und Standorte eröffnet haben, um Kostenvorteile zu genießen. Girteka selbst versichert, dass sämtliche Gehaltszahlungen ohne Ausnahme den jeweiligen nationalen Mindestanforderungen entsprechen, ohne die genaue Entgelthöhe zu nennen. Wachstumsfeld sind Logistikimmobilien Eine weniger bekannte Abteilung der Girteka Gruppe ist die Immobilienverwaltung, die seit vergangenem Jahr unter dem Oberbegriff Sirin Development operiert. Dabei geht es hauptsächlich um zehn Großprojekte mit einer Gesamtfläche von 250.000 Quadratmetern in Litauen, Lettland und Russland, die einen beträchtlichen Teil zum Gesamtumsatz des Unternehmens beitragen. Mit Immobilien beschäftigt sich Girteka seit 2005 und hat nicht die Absicht, damit aufzuhören. Im Gegenteil: Offizielles Ziel ist es, die Zahl der Projekte innerhalb der nächsten fünf Jahre zu verdoppeln. So wurde in diesem Jahr neben dem Hauptquartier in Vilnius ein 9000 Quadratmeter großes multifunktionales Regionalbüro in iauliai eröffnet - laut Girteka das "modernste Wartungszentrum für Lkw und Trailer der gesamten Region", zu dem auch die "Girteka Logistics Drivers Academy", eine Ausbildungsstätte für Lkw-Fahrer, gehört. Apropos Lkw-Fahrer: Angesichts der erweiterten Lkw-Flotte werden neue Fahrer stets dringend benötigt, heißt es: So setzte Girteka in diesem Jahr über 2900 Lkw ein. Und mittelfristig soll diese Zahl Medienberichten zufolge auf über 5000 Lkw steigen. Wichtige Wachstumsimpulse erwartet da Girteka nicht zuletzt aus Deutschland. So sieht Marketing-Vorstand Mortensen Deutschland auch für die Zukunft als einen der wichtigsten, wenn nicht sogar den größten Einzelmarkt für Girteka an - auch über die Partnerschaft mit Mercedes und Schmitz Cargobull hinaus. Mortens wörtlich: "Wir sind darauf spezialisiert, mit großen internationalen Kunden zusammenzuarbeiten - hier bietet sich der deutsche Markt einfach bestens an." Mehr zum Thema im Dossier Lkw-Landverkehr www.verkehrsrundschau.de/dossiers Die Serie Wettbewerb aus Mittel- und Osteuropa Ihr Firmensitz ist in Litauen, Polen und Ungarn. Doch ihr Zielmarkt ist Deutschland. Wie die "neuen" Wettbewerber den deutschen Transport- und Speditionsmarkt aufrollen.- Teil 1: Raben Group: Ein Holländer aus Polen erobert Deutschland (VR 36)- Teil 2: Waberer's: Wie gefährlich ist der ungarische Transportriese? (VR 37)- Teil 3: Girteka Logistics: Die stille Größe aus Litauen Girteka Logistics Das litauische Unternehmen Girteka Logistics Girteka Logistics in Vilnius/Litauen ist ein litauisches Transport- und Logistikunternehmen, das vor 20 Jahren im Jahr 1996 gegründet wurde. Das Unternehmen beschäftigt heute nach eigenen Angaben 7100 Mitarbeiter und setzt 2900 Lkw von Volvo und Mercedes sowie 3100 Trailer ein. Das Unternehmen hat sich auf Komplettladungsverkehre über größere Distanzen spezialisiert, insbesondere auf die Lieferung von Frisch- und Kühlwaren.Zur Unternehmensgruppe von Girteka Logistics gehören insgesamt 50 Unternehmen, die unter anderem für den Verkauf gebrauchter Lkw und Auflieger sowie die Verwaltung des Immobilienbesitzes tätig sind. Der Umsatz der Unternehmensgruppe lag nach eigenen Angaben im vergangenen Jahr bei insgesamt 424 Millionen Euro. Der Nettogewinn lag in diesem Zeitraum bei 15,46 Millionen Euro. mk

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