"Die Fahrergehälter werden steigen"

Sie haben gerade drei Berufskraftfahrer-Azubis eingestellt. Deckt das Ihren Bedarf? Wenn ich jedes Jahr drei einstellen würde und alle bleiben, könnte ich damit hinkommen. Aus den Erfahrungen der vergangenen Jahre weiß ich allerdings, am Ende bleiben nur 40 Prozent. Diese Quote ist typisch für die Branche. Wie kommt es zu den vielen Abbrechern? Vielfach sind es Menschen, die den Hauptschulabschluss geschafft haben, oder Azubis, die in anderen Berufen eine Lehre angefangen, aber nicht beendet haben. Oft kommen auch private Probleme dazu. Nach vier Wochen bricht oft schon der erste die Lehre ab, nach einem halben Jahr der nächste. Am Ende bleibt von jedem Jahrgang einer übrig, mit Glück auch mal zwei. Sie haben aktuell wie viele Kraftfahrer? Im Moment 50 - davon ist die Hälfte älter als 50. Das heißt, ich müsste jedes Jahr drei BKF-Azubis einstellen - und die müssten auch alle ihren Abschluss machen und bei mir bleiben. Die Realität sieht aber wohl anders aus? Wir müssen uns viel intensiver um die Azubis kümmern. Um ehrlich zu sein, liefen sie vorher so mit. Jetzt habe ich einen ehemaligen BKF-Azubi bei mir im Unternehmen, der den Kraftverkehrsmeister gemacht hat. Er kümmert sich intensiv um die Weiterbildung und natürlich auch um die Lehrlinge. Wir haben auch schon die ersten Verbesserungen eingeführt. Zum Beispiel geht er mit den Azubis einmal in der Woche ins Fitness-Studio, was natürlich die Firma bezahlt. Kommt dieses Engagement Ihrer Erfahrung nach gut an? Bislang muss ich sagen, ja. Und es stärkt den Zusammenhalt. So haben wir die Lehrlinge kürzlich eingekleidet. Auch das war schon ein Gemeinschaftserlebnis - zumal es gedauert hat, bis jeder die passenden Größen gefunden hatte. Außerdem haben wir Gespräche mit unseren Werkstatt-Dienstleistern geführt, in meinem Fall etwa Mercedes-Benz und Pneuhage. Denn wir haben keine eigene Werkstatt für die Technikschulung. Sie haben keine Ausbildungskooperation geschlossen? Nein, wir machen das für uns alleine. Wäre es nicht einfacher, man würde sich zusammenschließen? Das ist problematisch. Am Standort Nordhausen gibt es noch drei größere Speditionen - zwei davon bilden nicht aus. Die haben keinen geeigneten Ausbilder und wenig Willen auszubilden. Haben Sie mit ihnen gesprochen, wie die künftig an Fahrer kommen wollen? Ja, natürlich. Bei der Führungsspitze des einen Unternehmens geht einer demnächst in Rente, die anderen sagen 'machen wir nicht'. Der Kollege im Nachbarort hat aktuell 15 Autos, und die Kinder, die jüngst die Firma übernommen haben, meinen, dass es bei dieser Größe auch ohne Ausbildung geht. Andere Betriebe in der Umgebung, die 50 Autos haben, bilden zwar kaufmännische Azubis aus, aber keine Kraftfahrer. Wie glauben denn solche Betriebe künftig an Fahrer zu kommen? Ich kann nicht für meine Kollegen sprechen. Aber aller Wahrscheinlichkeit nach bewerkstelligen sie das über Abwerbungen ... Wie wird sich der Fahrermarkt angesichts dieser Umstände entwickeln? In jedem Fall gehen die Fahrergehälter demnächst nach oben. Abgesehen davon haben wir früher Standardautos gekauft. Jetzt fangen wir an, auf die Fahrer einzugehen, kaufen Drucklufthörner, Alufelgen und Kühlschrank - Xenonlicht und lackierte Stoßstangen sind eh schon Usus. Wir gehen also immer mehr auf die Wünsche unserer Kraftfahrer ein - wobei man darüber streiten kann, ob man Bullfänger oder Lampenbatterien anbauen muss ... Ist für die jungen Leute nicht das Thema Planbarkeit sehr wichtig? Schon, aber Freizeit ist ein Problem bei Kraftfahrern. Im Fernverkehr kann man nicht immer am Abend zu Hause sein. Wir können nur versuchen, das Arbeitsleben angenehmer zu machen. Etwa durch den Einbau einer Standklimaanlage, damit die Fahrer nicht bei 35 Grad im Lkw schlafen müssen. Aber noch einmal: Die Planbarkeit in unserem Gewerbe ist schwierig. In einer DDR-Planwirtschaft hätte man regelnd eingreifen können. Aber das will ja wohl niemand mehr. Und wir selbst gehen doch auch zu jeder Zeit einkaufen und erwarten ein volles Warenangebot. Berufskraftfahrer müssen also auf Planbarkeit verzichten? Eine 100-prozentige Planbarkeit wird es nicht geben. Wir zum Beispiel fahren im Baustoffsektor. Da bestellt der Baumarkt Fliesenkleber, weil er aus ist. Keiner weiß vorher, wann das ist. Letztlich kämpfen auch die Industriebetriebe mit dem Argument der 24-Stunden-Belieferung. Das ist wie beim Fleischer, wenn am Wochenende schönes Wetter prophezeit ist. Dann will jeder was zum Grillen ... Das hört sich für junge Menschen ziemlich alternativlos an, oder gibt's doch Wege? Natürlich müssen wir im Rahmen der Möglichkeiten auf Bedürfnisse eingehen. Wenn einer sagt, dass er am Wochenende etwas Wichtiges vorhat, muss die Dispo sehen, dass es klappt. Das muss aber auch innerhalb der Kollegen geregelt werden. Wie handhaben Sie das Zusammenspiel zwischen Disposition und Fahrern? Wie eben angesprochen, sind es oft immer wieder die gleichen, die zum Arzt müssen, oder zur Familienfeier. Da muss jeder so weit kommen, dass man sich gegenseitig hilft. Wir müssen unsere Fahrer generell ernster nehmen. Wir können nicht mehr nach dem Motto verfahren 'Nicht geschimpft ist schon gelobt'. Ich als Chef und auch meine Disponenten müssen lernen zu loben. Das gilt auch für die Kundschaft. Da kommt selten was Positives zurück - obwohl ich neulich tatsächlich einen Anruf vom Kunden hatte, der sich lobend über meine Fahrer geäußert hat. Das habe ich gerne weitergegeben. Loben Sie denn auch? Ja, mache ich. Und wie ist die Reaktion? Damit rechnen die Fahrer gar nicht. Wie wird sich Ihr Fuhrpark entwickeln? Bei uns laufen demnächst drei Leasingverträge aus. Wenn wir ausreichend Fahrer bekommen, kaufe ich nach. Wenn nicht, wird der Fuhrpark kleiner. Aktuell habe ich einen Kraftfahrer eingestellt, aber das war nur ein Ersatz für einen, der gekündigt hat. Auch das ist ein gutes Beispiel für die aktuelle Situation. Nach der Wende hatten viele Facharbeiter keinen Job mehr und wurden Kraftfahrer. Jetzt gibt es wieder gut bezahlte Jobs in der Industrie und die Leute gehen zurück in ihre alten Jobs mit planbaren Arbeitszeiten. Woher kamen denn die drei aktuellen BKF-Azubis? Wir machen unter anderem Berufsaktionstage mit dem Berufsbildungszentrum in Nordhausen. Über die Werbemaßnahmen in den sozialen Netzwerken kommen wir inzwischen ganz gut bei den jungen Leuten an. Dazu kommt, dass mein Neffe, der inzwischen ins Unternehmen eingestiegen ist, und auch unser vorher angesprochener Kraftverkehrsmeister sowie unsere jung besetzte Dispo einen guten Draht zum Nachwuchs haben. Regt es einen eigentlich auf, dass es Unternehmer gibt, die ihre Nase in jede Zeitung halten und sich selbst in jedes Symposium einladen, selber aber nicht ausbilden? Die oder besser der entsprechende Kollege müsste bei seiner Unternehmensgröße eigentlich eine, wir nannten es früher Lehrbrigade haben. Zudem könnten die großen Betriebe doch viel besser ausbilden als wir kleinen. Ungeachtet dessen sehe ich schon das nächste Problem auf uns zukommen. Kürzlich habe ich eine Radioreportage gehört. Klare Ansage: Man soll sich nicht mehr auf die Arbeiter aus Osteuropa verlassen. Auch dort gibt es inzwischen interessante Jobs und viele gehen inzwischen zurück in ihre Heimat. Also fahren in Polen inzwischen die Ukrainer Lkw. Und wenn in der Ukraine interessante Jobs entstehen, sollen wir dann Georgier holen? Ergo bleibt nur der eigene Nachwuchs, der ordentlich verdienen will. Müssen da nicht endlich die Frachtpreise steigen? Die Preise werden mittelfristig steigen. Schon vor zehn Jahren hat der Logistikleiter eines meiner Kunden gesagt: 'Herr Otto, irgendwann wird - ungeachtet des Preises - der die Fahrt machen, der noch einen Fahrer hat.' Das wird so passieren. Was nützt es einem Unternehmen, wenn das Produkt nicht beim Kunden ankommt. Die Rechnung kann man erst schreiben, wenn die Ware beim Kunden ist. Ist das bei der Industrie schon angekommen? Ich glaube, die Industrie weiß es, aber sie reagiert nicht - wie die berühmten drei Affen: nix sehen, nix hören, nix reden. Gut, sie reden schon. Aber wenn dieser Effekt in fünf Jahren durchschlägt, brauchen wir Fahrer. Also müssen wir jetzt ausbilden, denn es dauert, bis wir die Auszubildenden so weit haben. Ungeachtet dessen, sind die Ausbildungsgehälter eigentlich zu niedrig. Andererseits kostet die Ausbildung den Unternehmer eine Stange Geld. Bis die Azubis den Pkw-Führerschein, die Lkw-Fahrerlaubnis, den ADR- und vielleicht noch den Staplerschein haben, investiert man eine Menge. Unter den Aspekten 800 Euro Ausbildungsgehalt zu bezahlen ist schwierig. Genau genommen hat man von einem BKF-Azubi wenig, bis er ausgelernt hat. Wie vermeidet man dann, dass die Azubis nach der Lehre woanders hingehen? Das kann man nie vermeiden. Aber generell müssen wir jetzt an unserem Image arbeiten. Nicht nur mit großen Sprüchen in der Zeitung und auf Symposien Eigen-PR machen, sondern den Leuten vor Ort beweisen, dass wir es ernst nehmen und unseren Job können. Wir müssen die Leute im übertragenen Sinne streicheln. Die müssen sich wohlfühlen. Wir haben heute noch ein Hoffest mit 80 Leuten, wo die Familien mitkommen. Bespaßen, Trucker-Treffen, wie wir sie nach der Wende oft gemacht haben, das ist wichtig. Und solche Dinge wollen Sie aktuell wiederbeleben? Eine andere Möglichkeit haben wir doch nicht. Ich merke, dass die Leute das wieder wollen und wir als Unternehmen gehen darauf ein. Aber auch das ist ein zutiefst menschliches Thema. Wenn ein Fahrer mit dem Disponenten nicht kann und deshalb nicht zur Weihnachtsfeier kommt, ist das schlecht. Dabei gäbe es ja auch andere Kollegen, mit denen man sich unterhalten kann ... Andererseits wäre so eine Betriebsfeier ja auch eine gute Gelegenheit, um in Ruhe miteinander sprechen zu können und Erfahrungen mit Kollegen auszutauschen und das Gemeinschaftsgefühl zu stärken. Kommen die Disponenten Ihrer Spedition aus der Fahrerschaft? Nein. Aber wir versuchen natürlich, dass Fahrer und Disposition ins Gespräch kommen. Die Fahrer machen dann aber oft den Fehler, den Disponenten, ich sage Mal: ein Ohr abzukauen. Natürlich möchten sie, wenn man mal die Gelegenheit auf eine Feierabend-Bierchen hat, einfach mal ganz normal reden. Das Problem ist, die Disposition kann sich zu ungünstigen Zeitpunkten aber leider nicht ihrer Befindlichkeiten annehmen und dadurch können Spannungen entstehen. Der Disponent hat ja letztendlich nicht weniger Stress als der Fahrer und wenn beide im Endeffekt vernünftig miteinander reden, käme man schneller zusammen. Wie kommunizieren Fahrer und Disposition bei der Spedition Otto? Vorwiegend übers Telefon und natürlich mittels Nachrichten über unser Telematik-System. Nicht zu vergessen natürlich der persönliche Kontakt. Denn bei uns sind die Kraftfahrer doch häufig im Büro. Es gibt da schon noch häufige persönliche, private Berührungspunkte. Kennen Sie die Namen all Ihrer 50 Fahrer? Ja! Kenn ich noch. Man kennt auch einen Teil der Familie. Immerhin habe ich eine Reihe von Fahrern, die seit 1990 im Unternehmen sind. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Ausbildung www.verkehrsrundschau.de/dossiers Vita Hans-Dieter Otto geboren in Elbingerode, arbeitete bis 1991 im elterlichen Betrieb (Sägewerk und Fuhrbetrieb). 1991 gründete er die Spedition Hans-Dieter Otto in Benneckenstein/Harz. Im selben Jahr trat er in den Landesverband des Verkehrsgewerbes Sachsen-Anhalt e.V. (LVSA) ein und wurde Mitglied der Wirtschaftsjunioren der IHK Magdeburg. Im Jahre 2000 trat Hans-Dieter Otto in das LVSA-Präsidium ein. Seit 2003 ist er Fachvereinigungsvorsitzender des LVSA beim Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) und seit 2004 Gesellschafter der Otto Logistik GmbH in Nordhausen/Thüringen. Im Jahre 2006 wurde er zum Vizepräsidenten des LVSA gewählt und 2015 zum Vizepräsident der IHK Magdeburg. Zudem ist er seit 2009 Vizepräsident des BGL. gg

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