"Der Auftrag ist einfach unmoralisch"

Was ist Moral im Geschäftsleben? Geradlinigkeit, zu seinen Zusagen stehen und sich gegenüber seinen Mitarbeitern vorbildlich verhalten. Welche Bedeutung hat für Sie in der heutigen Zeit der Begriff des ehrbaren Kaufmanns? Geschäfte, wo der Handschlag zwischen Kaufleuten alles besiegelt, sind heute schwierig geworden. Möglich ist der Handschlag nur da, wo Inhaber miteinander Geschäfte machen. Angestellte Geschäftsführer wechseln zu oft das Unternehmen, da erinnert sich später keiner mehr an die Zusagen des Vorgängers. Unternehmen benötigen in der heutigen Zeit gerade bei langfristigen Partnerschaften Rechtssicherheit und das geht nur über schriftlich fixierte Verträge. Haben Sie dennoch große Geschäfte nur per Handschlag besiegelt? Ja, in meiner Funktion als Vorstandsvorsitzender der BLG Logistics habe ich einmal bei einer Partnerschaft mit einem russischen Unternehmen den Vertrag per Handschlag geschlossen. Die schriftlichen Verträge wurden erst viel später erstellt. Das hat mich sehr beeindruckt. Dies war aber nur möglich mit einem verlässlichen CEO, der selbst Eigentümer des Unternehmens war. Dies ist in der heutigen Zeit aber eine Ausnahme. War es früher anders? Ja, als ich als Spediteur Anfang der 1960er-Jahre begann und noch der Reichskraftwagentarif galt, war der Vertrag nicht so wichtig, da der Tarif vieles regelte. Da genügte öfter schon mal nur ein Handschlag mit dem Verlader. Mit dem Wegfall der tariflichen Bedingungen wurden aber Verträge immer häufiger notwendig. Wie sieht es heute mit der Moral der deutschen Verlader aus? Verhalten sich diese immer korrekt gegenüber den Transporteuren und Spediteuren? Es existieren durchaus Verlader, die legen Wert auf Dienstleister, die Qualität liefern und moralische Eckpfeiler bei ihrem Handeln beachten. Dafür zahlen die Auftraggeber auch. Leider gibt es aber eine Vielzahl von Industrie- und Handelsunternehmen, die gelernt haben, dass man Spediteure und Fuhrunternehmer bis zum Geht-nichtmehr im Preis drücken kann. Woran liegt dies? Verlader, beispielsweise in der Automobillogistik, führen immer häufiger große Ausschreibungen durch. Der Logistikdienstleister erstellt auf Basis der Anforderungen der Logistikfachleute des Auftraggebers ein detailliertes Angebot. So weit, so gut. An dieser Stelle übernehmen dann aber immer häufiger zentrale Einkaufsmanager die Verhandlungen. Diese verfügen in der Regel über keinen Sachverstand zu den logistischen Details. Sie zwingen aber mit teilweise geschickten Argumenten die Spediteure in eine Preisdiskussion hinein. Wenn der Dienstleister hier nicht genügend Rückgrat und damit Preismoral beweist, kommt es zu einem Kompromiss, der den Spediteur nicht selten in die Verlustzone führt. Oder es kommt zu Qualitätsmängeln, die den Verlader nicht zufriedenstellen. Also ist die Arbeit der Einkaufsmanager unmoralisch? Ja, aber sie machen letztendlich auch nur ihren Job. Unmoralisch ist eher der Arbeitsauftrag der Geschäftsführung an die Einkaufsmanager. Haben solche Aufträge in den vergangenen Jahrzehnten zugenommen? Ja, dieses Verhalten tritt deutlich häufiger auf und dies nicht nur in der Automobilindustrie. Lässt sich dieses Verhalten ändern? Ja, die Auftraggeber aus Industrie und Handel müssen mehr auf Partnerschaften setzen. Was macht partnerschaftliches Verhalten konkret aus? Ein Auftraggeber bezieht seinen Logistikpartner in seine Überlegungen mit ein und überschüttet diesen nicht nur mit Forderungen. Abläufe werden gemeinsam gestaltet. Überall, wo dies geschieht, sehen wir gut funktionierende Prozesse. Okay, aber wie finden Verlader und Spediteure einen fairen Preis für die Dienstleistungen? Jeder Verlader kann heutzutage die wahren Kosten des Spediteurs ausrechnen. Diese plus ein Gewinnzuschlag ergeben den Preis. Und was wäre eine faire Marge? Beim reinen Transport sollten es drei bis fünf Prozent vom Umsatz sein, in Kontraktlogistikgeschäften mit wirklicher Asset-Bindung halte ich zehn Prozent für fair. Halten Verlader solche Gewinnmargen auch für fair? Das kann ich nicht sagen, aber in meiner aktiven Zeit hat kein Kunde zu uns gesagt "Ihr verdient zu viel!", sondern eher "Wie könnt Ihr davon leben?". Das setzt aber voraus, dass Unternehmen ihre Zahlen offenlegen. Also die Dienstleister sollen Kosten und Gewinnmargen offenlegen, um faire Preise zu erhalten? Ja unbedingt, aber selbst namhafte Logistikunternehmen scheuen sich davor, ihre Zahlen zu publizieren. Das ist falsch. Denn sie erzielen niemals so hohe Ergebnisse, dass die Auftraggeber sich darüber empören würden. Die Gewinne in unserem Gewerbe sind nicht so hoch, dass wir Angst haben müssen, diese zu zeigen. Ich kann nur jedem Unternehmer - gerade auch Mittelständlern - raten, Ergebniszahlen zu veröffentlichen. Spielt moralisches Verhalten bei der Auswahl eines Spediteurs eine Rolle? Ein untadeliger Ruf ist eine Grundvoraussetzung, ist dieser vorhanden, geht es um den Preis. Überprüfen Verlader denn aktiv das moralische Verhalten der Spediteure? Noch nicht genug, aber es nimmt zu. Bei langfristigen Verträgen habe ich erlebt, dass der Betriebsrat des Auftraggebers sich mit den sozialen Gegebenheiten beim Logistikdienstleister auseinandergesetzt hat und sich sogar mit dem Betriebsrat des Dienstleisters ausgetauscht hat. Sind Betriebsräte und Gewerkschaften Wächter des moralischen Verhaltens? Wenn wir von den wenigen Fällen mal absehen, wo Betriebsräte sich selbst unmoralisch verhalten haben, lässt sich schon sagen, dass sie eine moralische Kontrollfunktion übernehmen. Und sind Spediteure, die einen Betriebsrat haben, moralisch bessere Partner für Verlader? Das muss nicht sein, aber es ist ein Indiz dafür, dass bei dem Dienstleister die Standardmechanismen der betrieblichen Selbstkontrolle vorhanden sind. Ich sehe einen guten Betriebsrat auch als Chance, als eine Art Co-Management für das Unternehmen. Unternehmer sollten Mitarbeiter motivieren, in den Betriebsrat zu gehen. Nur dann treffen Arbeitgeber auf fähige Ansprechpartner in der Arbeitnehmervertretung. Verhalten sich Unternehmen im Familienbesitz moralisch besser als in Aktiengesellschaften? Inhabergeführte Unternehmen sind in der Regel langfristig ausgerichtet. Es zählt nicht so sehr der kurzfristige Erfolg. Und nicht selten prägen Familiengeist und dazugehörige Werte das Handeln der Führungskräfte. Konzernunternehmen können dies auch, wenn sich zum Beispiel das Aktienunternehmen im Streubesitz befindet. Denn dann kann der Vorstand relativ frei handeln. Und Unternehmen mit Finanzinvestoren als Eigentümer? Da ist es kritischer. Finanzinvestoren sind zwar manchmal Retter von Unternehmen und sie kreieren auch interessante Unternehmensfusionen - nicht selten sind sie aber auch brutal auf den Return-on-Investment ausgerichtet. Das führt dazu, dass Unternehmen ausbluten und nicht selten moralische Werte über Bord geworfen werden. Braucht es ein "Fair-Logistics"-Siegel, damit Verlader moralisch vorbildliche Dienstleister erkennen? Nein, ich halte nichts von Siegeln. Wer als Verlader Dienstleister einsetzen will, die sich moralisch einwandfrei verhalten, sollte dies anhand seiner persönlichen Kriterien überprüfen. Und welche moralischen Kriterien wären dies? An erster Stelle stehen für mich die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter. Fehlverhalten einzelner Marktteilnehmer schaden hier der gesamten Logistikbranche, wie dies jüngst bei einigen Paketdiensten zu beobachten war. Der Mindestlohn von 8,50 Euro ist hier übrigens eine sehr große Hilfe. Die Auftraggeber müssen nun diese Löhne akzeptieren, hier können Einkäufer nicht mehr runterverhandeln. Ich begrüße deshalb den Mindestlohn sehr. Und ist es unmoralisch, wenn Spediteure unter Tariflohn zahlen? Wenn Unternehmen nicht einer Tarifbindung angehören, können sie Löhne und Gehälter frei verhandeln, das ist in Ordnung. Die moralische Untergrenze bildet der gesetzliche Mindestlohn. Ist der Einsatz von Subunternehmern verwerflich? Der Einsatz von Subunternehmern ist in Ordnung, wenn die Entlohnung korrekt ist - und da sind wir wieder beim fairen Preis. Das Einzel-Unternehmertum halte ich aber grundsätzlich für gut, da dies oftmals effizienter ist. Und ist das Anheuern von Leiharbeitern moralisch bedenklich? Nein, die Beschäftigung von Leiharbeitern ist sinnvoll und moralisch nicht zu beanstanden, wenn ich Leiharbeiter so entlohne wie die Stammbelegschaft. In der Öffentlichkeit werden oft die Arbeitsbedingungen der LKW-Fahrer beklagt, gibt es hier unmoralische Verhältnisse? Nein, die Arbeitsbedingungen der deutschen LKW-Fahrer haben sich in den vergangenen Jahrzehnten deutlich verbessert. Der Komfort für den Fahrer im LKW ist deutlich gestiegen und auch die Lenkzeiten und die Pausen werden viel strenger kontrolliert und damit besser eingehalten als früher. Welche Rolle spielt das Thema Umweltschutz? Ist es unmoralisch, wenn Spediteure nicht die höchsten Umweltstandards anwenden? Nein, das ist nicht unmoralisch. Unternehmer handeln richtig, wenn sie die gesetzlichen Vorgaben einhalten. Eine Kernaufgabe von Logistikern ist es, Prozesse zu optimieren. Dadurch verlieren Mitarbeiter nicht selten ihren Arbeitsplatz. Eine Moralfalle für Logistikmanager? Das hat nichts mit Moral zu tun, Industrie und Handel müssen sich anpassen, sonst verabschieden sie sich aus dem Markt. Und auch Logistikdienstleister müssen rationalisieren, um Kostensteigerungen aufzufangen. Damit Unternehmen aber nicht Mitarbeiter entlassen müssen, sind sie dazu verdammt zu wachsen, ansonsten hat man tatsächlich ein Problem. Haben Sie persönlich als Führungskraft in Ihren verschiedenen Positionen moralisch immer richtig gehandelt? Ja, ich denke schon. Als BLG-Verantwortlicher war ich beispielsweise sehr stolz darauf, dass wir in der großen Krise im Jahr 2009, wo die Häfen bis zu 50 Prozent Umschlagseinbrüche zu verkraften hatten, es geschafft haben, die gesamte Stammbelegschaft zu halten. Was uns nicht gelang, und mir persönlich auch sehr leid tat, war, auch die Leiharbeiter weiter zu beschäftigen. Dies war aus Gründen der wirtschaftlichen Sicherung des Unternehmens nicht möglich - moralisch gegenüber den Mitarbeitern aber sicherlich sehr bedauerlich. Ist es schwer, sich als Führungskraft moralisch immer korrekt zu verhalten? Wenn Sie als Firmenchef kurzfristig denkende Finanzinvestoren im Rücken haben, kann es schwierig werden, immer moralisch korrekt zu handeln. Was tun, wenn einen als Führungskraft moralische Bedenken plagen? Eigentlich sollten Manager dann die Konsequenzen ziehen und das Fehlverhalten ändern oder, wenn dies nicht möglich ist, gehen. Das ist aber natürlich nicht immer so einfach möglich, da ja auch die persönliche Existenz an solchen Entscheidungen hängt. Je wirtschaftlich unabhängiger ein Manager ist, desto eher kann er hier moralisch korrekt handeln. Ich persönlich brauchte mich nie zu verbiegen, ich hatte aber das Glück, schon früh erfolgreich und damit wirtschaftlich unabhängig zu sein. Sind Sie deshalb gegen eine Begrenzung von Managergehältern? Ja, denn bis auf wenige Auswüchse sind die Gehälter der deutschen Führungskräfte in Ordnung. Sie müssen gut entlohnt werden, um Entscheidungen frei und ohne wirtschaftliche Zwänge treffen zu können. Deshalb sind die Managergehälter von den Eigentümern festzulegen. Aber Top-Manager sollten ihre Gehälter unbedingt öffentlich machen. Stellen wir uns in Deutschland eigentlich zu viele moralische Fragen? Ja, wir Deutschen sind gerne Selbstzweifler. Wir hadern oftmals mit uns selbst. Wir könnten eigentlich viel fröhlicher sein, das merken sie dann, wenn sie im Ausland unterwegs sind. Sind Verhaltensweisen im Ausland erlaubt, die hierzulande unmoralisch sind? Ja sicher, in anderen Kulturen gelten andere moralische Grundsätze. Für einen Chinesen ist beispielsweise das Kopieren eines guten Produktes nicht verwerflich. Wir müssen vorsichtig sein, die Moralvorgaben anderer Länder einfach nur zu kritisieren. Und im Bereich Transport und Logistik? Ich kenne noch die Zeiten, in denen Logistiker ihren Partnern und Vermittlern im Ausland Rabatte gewährt beziehungsweise Provisionen gezahlt haben. Das nannte man damals "nützliche Abgaben" und diese waren sogar bei der Steuer absetzbar. Mit einem Schlag haben sich Deutschland und andere Länder vor zwanzig Jahren von dieser Praxis verabschiedet. Auf einmal waren solche Handlungen kriminell. Ich bin der Meinung, dass hier der Staat die Hürden zu hoch gelegt hat, denn gerechtfertigte Verkaufsprovisionen halte ich auch heute noch für absolut legitim. Da sich aber die moralisch richtigen von den falschen Zahlungen juristisch kaum unterscheiden lassen, habe auch ich in meiner damaligen Funktion als Unternehmenschef der BLG solche Praktiken konsequent unterbunden. Aber, die deutsche Wirtschaft hat dadurch bei dem einen oder anderen internationalen Geschäft einen Wettbewerbsnachteil, hier kostet moralisches Handeln Geld und manchmal auch Arbeitsplätze. Wie erkennen deutsche Unternehmer im Ausland moralisch saubere Geschäftspartner? Das ist nicht einfach, hier zählen Erfahrung und der persönliche Kontakt. Sie müssen als Führungskraft dem Partner in die Augen schauen. Und an dieser Stellte brauchen sie erfahrene und gut bezahlte Manager. Vita Detthold Aden Detthold Aden (geboren 1948 in Wilhelmshaven) zählte über mehrere Jahrzehnte zu den Top-Managern der deutschen Logistikwirtschaft. Bis zum 31. Mai 2013 führte er dreizehn Jahre lang das Bremer Logistikunternehmen BLG Logistics. Der gelernte Speditionskaufmann war 1976 Mitbegründer des Paketdienstes UPS in Deutschland. Von 1982 bis 1988 arbeitete Aden als Logistikmanager für den Medienkonzern Bertelsmann, im Anschluss leitete er zwei Jahre lang die Geschäfte der Union Transport Gruppe. Von 1990 bis 1999 führte Aden als Vorstandsvorsitzender die zum Stahlkonzern Thyssen gehörende Logistiktochter Thyssen Haniel Logistik. Von 2003 bis 2010 war Aden auch Präsident des Zentralverbandes der Deutschen Seehafenbetriebe (ZDS). Im Jahr 2011 wurde Aden in die Logistik Hall of Fame aufgenommen. Der 66-jährige Logistikexperte lebt heute in Deutschland und Brasilien und nimmt in Deutschland noch einige Aufsichtsratsmandate wahr. Außerdem berät er im Rahmen der Unternehmensberatung Hocke + Partner Logistikunternehmen in strategischen Fragen. ak Engel oder Teufel? Herr Aden, ist es moralisch korrekt, ... ... zu Weihnachten eine gute Flasche Wein von einem Lieferanten anzunehmen?... den Einkaufschef eines sehr guten Kunden für eine geschäftliche Besprechung mehrere Tage in ein Luxushotel einzuladen?... als Manager einen Porsche zu fahren?... Rechnungen von Lieferanten erst nach 40 oder 50 Tagen zu begleichen?... als Verlader in größerem Umfang LKW mit Euro 4 oder schlechter einzusetzen?... als Verlader Spediteure einzusetzen, die zu den ausgehandelten Preisen mittelfristig wirtschaftlich kaum überleben können?... einem LKW-Fahrer die erhaltenen Bußgelder zu erstatten? ... osteuropäische statt deutsche LKW-Unternehmer einzusetzen?... deutsche Seeschiffe auszuflaggen?... den leistungsstärkeren Mitarbeiter zu entlassen, weil der leistungsschwächere Mitarbeiter über mehr Sozialpunkte verfügt?... Fairtrade-Produkte zu bevorzugen?... LKW-Verkehre durchzuführen, wenn ein adäquates Bahnangebot vorhanden ist?... eine Ausschreibung zu machen, nur um den Marktpreis zu testen?

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