Das Ende des Wartens?

Luftfracht - das klingt nach hohem Tempo und perfekter Organisation. Doch wer die Branche kennt, weiß, dass hier längst nicht alles wie im Fluge abläuft. Gerade der Airport Frankfurt ist für zähe Abfertigung und Wartezeiten bekannt. Spediteure berichten von Standzeiten bis zu sieben Stunden - ohne Toiletten und Duschmöglichkeiten für Lkw-Fahrer. Die Situation ist derart verfahren, dass sich im letzten Jahr 70 Luftfrachttransportunternehmer zusammengeschlossen haben, um bei den Airlines und Abfertigern (Handlingagenten) Druck zu machen. Jetzt könnte Besserung in Sicht sein: Ende Februar ist in Frankfurt eine elektronische Informationsdrehscheibe an den Start gegangen, die das Warten am Airport zumindest verkürzen will. Fair@Link, so der Name des Systems, verspricht bessere Informationsflüsse, weniger Papierkram und vor allem schnellere Abläufe. Anbieter der Plattform ist die Firma Dakosy, die ein ähnliches System bereits am Hamburger Hafen erfolgreich betreibt. Höchste Zeit für digitale Tools Dass es höchste Zeit für dieses digitale Werkzeug ist, finden nicht nur die Spediteure. "Die Branche ist sehr konservativ. Viele realisieren erst jetzt, dass man die Schnittstellen besser koordinieren muss", sagt Patrik Tschirch, Geschäftsführer der Firma LUG Aircargo Handling in Frankfurt. Das Unternehmen gehört zu einer Handvoll Firmen, die Fair@Link schon nutzen. Tschirch sieht die Luftfrachtindustrie generell im Rückstand. "Wenn man sich anschaut, was in der Passage alles funktioniert - komplett papierlose Abläufe, Einchecken per App". Das müsse man sich als Beispiel nehmen, so Tschirch. Woher kommen eigentlich die Verzögerungen auf dem Weg zum Rollfeld? "Die Gründe sind vielfältig: steigende Mengen, stark schwankende Volumina, eine Vielzahl von Beteiligten und oft kurzfristige Änderungen", erklärt Thorsten Hölser, Geschäftsführer des Speditions- und Logistikverbandes Hessen/Rheinland-Pfalz (SLV). Tatsächlich ist das Geschehen am Airport komplex: Transportunternehmer liefern Waren im Auftrag der Spediteure ab, Handlingagenten kümmern sich um die Abfertigung und fassen die Ladungen zu Unit Load Devices (ULD) zusammen, Airlines bringen die Sendungen auf den Weg. "Und alle Beteiligten haben nur einen Teil der Information vorliegen", beschreibt Hölser das Grundproblem. Besonders viel Zeit geht in der Annahme der Ladungen verloren. Überspitzt ließe sich die Situation so beschreiben: Der Handlingagent weiß nicht, welcher Spediteur wann kommt und mit welcher Ladung. Entsprechend lange dauert die Abfertigung: Ladungspapiere und Fahrerdaten müssen gesichtet werden, es gilt zu prüfen, ob der Spediteur auch Reglementierter Beauftragter ist. Alles in allem kann sich der Entladeprozess so anderthalb Stunden und länger hinziehen. Unter diesem papierbasierten und manuellen Verfahren leiden alle Marktteilnehmer: Für die Speditionen beziehungsweise ihre Dienstleister bedeutet es lange Standzeiten, und für die Handlingagenten hohe Kosten, weil sie das hereinkommende Frachtvolumen nur schätzen können und unter Umständen zu viel Personal vorhalten. Alle diese Mängel soll Fair@Link beseitigen. Kernstück ist ein gemeinsamer Datenpool, auf den Spediteure, Airlines und Abfertiger zugreifen. Die Info-Drehscheibe soll vor allem die Abfertigung an der Rampe verbessern: Beim neuen Ablauf gibt der Spediteur vorab im System an, wann er mit welcher Lieferung am Airport sein wird. Diese Daten erhält der Handlingagent und kann seine Personalkapazitäten danach ausrichten. Nummernschildscanner an der Zufahrt zum Abfertigungsgelände erfassen, sobald ein angekündigter Lkw angekommen ist, und stellen diese Information automatisch der ersten Abladestelle zur Verfügung. Verzögerungen auf dem Weg zum Abfertigungsgelände kann der Fahrer per App an Fair@Link melden. Trifft der Lkw dann beim Handlingdienstleister ein, gibt es keine Wartezeiten mehr. "Das beschleunigt die Abfertigung extrem. Es muss nur noch ein Barcode gescannt werden und es geht los", freut sich Tschirch. Die aufwendige Prüfung von Frachtpapieren entfällt. Spediteure sind bislang zurückhaltend Dass die Abfertigung am Airport von einer zentralen Informationsdrehscheibe profitiert, ist sogar wissenschaftlich erwiesen. Schon 2012 haben Studenten der Fachhochschule Frankfurt am Main die Abläufe in der CargoCity unter die Lupe genommen und festgestellt, dass bei Aufträgen, die über das damals schon getestete Fair@Link abgewickelt wurden, die Wartezeiten 40 Prozent kürzer waren. Das Fazit von Professor Kai-Oliver Schocke, Betreuer des Projekts: "Situationen, dass Lkw nach 500 Metern Anfahrt eine Stunde auf Abfertigung warten müssen, könnten und sollten künftig verhindert werden." Trotz dieser Vorteile halten sich viele Spediteure bei Fair@Link noch zurück. Dazu gehört auch das Unternehmen A. Hartrodt. "Grundsätzlich muss sichergestellt sein, dass alle unsere Partner und Dienstleister mit an Bord sind - vom Lagerdienstleister, der uns die Paletten baut, bis zu den Airlines. Die Handlingagenten benötigen hierzu sicher auch nochmals die 'Motivation' der Carrier", erklärt Hendrik Khezri, Mitglied der Geschäftsleitung und Luftfrachtexperte. Also ein klassisches Henne-Ei-Problem? "Genau. Was fehlt, ist ergänzend zum Start des Regelbetriebes eine weitere Initialzündung." Grundsätzlich schließt Hartrodt aber nicht aus, Fair@Link zu nutzen, zumal die interne Speditionssoftware kompatibel mit dem System ist. "Insbesondere die Zulaufsteuerung ins Hub bis auf Piece Level, also auf Ebene einzelner Sendungen, macht Fair@Link für uns sehr interessant. Die Idee ist gut und wenn alle an der Transportkette Beteiligten dabei sind, wird man auch entsprechende Vorteile haben", räumt Khezri ein. Investition in die Qualität Abwarten - so lautet derzeit noch die Strategie vieler Spediteure. "Die Beteiligten sehen, dass sie investieren müssen, doch der Nutzen ist nicht sofort greifbar", erklärt Verbandsgeschäftsführer Hölser. Der Vorteil der Info-Plattform erschließe sich erst bei genauem Hinsehen. Ein Beispiel: Angenommen, ein Lkw wartet vier Stunden am Flughafen, kostet das pro Stunde circa 50 Euro, also 200 Euro insgesamt. Löst Fair@Link sein Versprechen ein und verkürzt die Wartezeit tatsächlich um 40 Prozent, entstünde eine Ersparnis von 80 Euro. Macht bei sechs Touren zum Flughafen im Monat 480 Euro - damit wäre der niedrigste Nutzungsbeitrag von 500 Euro schon fast wieder eingespielt. Dass sich die Spediteure die Kosten für Fair@Link von den Verladern wiederholen können, glaubt Hölser allerdings nicht. "Das ist eine Investition in Qualität, die sich am Ende durch Prozessverbesserungen und Kosteneinsparungen selbst amortisieren muss." Die elektronische Vorankündigung ist jedoch nur ein erster Schritt, in Zukunft soll Fair@Link den Beteiligten dabei helfen, schneller auf Veränderungen reagieren zu können. Ein Szenario: Verspätet sich ein angekündigter Lkw, wird anderen Spediteuren, die mit ihrem Fahrzeug bereits am Flughafen angekommen sind, ein früherer Slot an der Rampe angeboten. "Ziel ist es, dass automatisch umdisponiert wird", so Tschirch. Natürlich läuft in der Testphase noch nicht alles perfekt. Pioniernutzer wie LUG müssen Daten noch zum Teil per Hand eingeben. Geschäftsführer Tschirch erwartet dennoch, dass die Abläufe schnell automatisiert werden und sich Systeme wie Fair@Link bald durchsetzen. "Das wird in ein paar Jahren selbstverständlich sein." Dieser Prognose schließt sich auch Hölser vom SLV an: "Auf Dauer werden wir nicht daran vorbeikommen, wenn der Standort Frankfurt die Qualität halten soll." Tatsächlich steht dem Airport einiges an Wachstum bevor: Laut einer Studie des Beratungsbüros MKmetric soll das Frachtaufkommen bis 2030 von 2,13 Millionen Tonnen auf 3,4 Millionen Tonnen pro Jahr steigen. Das wäre ein Wachstum von knapp 60 Prozent. Solche Sprünge lassen sich nur mit modernen Abläufen bewältigen. Deshalb rät der SLV seinen Mitgliedsfirmen auch, sich Fair@Link genau anzuschauen und gegebenenfalls einen Test zu fahren.

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