London. Der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union könnte schwere Folgen für die Transportwirtschaft auf dem Kontinent haben. Ob die Logistikketten im Großen und Ganzen erhalten bleiben oder vollkommen aufgestellt werden, wenn die Briten am 23. Juni für den Brexit stimmen, hängt davon ab, welche Folgevereinbarungen Großbritannien und die EU treffen. Dass der Handel zwischen Großbritannien und der EU schrumpft, ist vorhersehbar. Die Frage ist wie stark. Eine Studie der Beraterfirma PricewaterhouseCooper hat zwei mögliche Szenarien untersucht.
Die erste Möglichkeit: ein Freihandelsabkommen (FTA) zwischen den frisch Getrennten. In diesem Fall würde der Handel zwischen Insel und Kontinent lediglich um etwa 0,5 Prozent pro Jahr schrumpfen. Können sich Großbritannien und die EU nicht auf eine Partnerschaft einigen, würden die Regeln der Welthandelsorganisation WTO gelten. Das bedeutet: Zölle, keine Dienstleistungsfreiheit, Grenzkontrollen. In diesem Fall würde der Handel mittelfristig immer stärker leiden und 2030 um 2,1 Prozent geringer ausfallen. In absoluten Zahlen bedeutet das: Im FTA-Szenario würden weniger Waren im Wert von gut zwei Milliarden über den Ärmelkanal transportiert, im WTO-Szenario wären es fast zehn Milliarden. Der Transportmarkt zwischen dem Königreich und dem Kontinent würde im ersten Fall also nur geringfügig, im zweiten aber spürbar schrumpfen. Dabei ist nicht berücksichtigt, dass Großbritannien ohne Zugang zum europäischen Binnenmarkt nicht mehr so attraktiv für Investitionen aus Drittstaaten ist. Auf die Dauer könnten Investoren aus den USA oder Asien Fabriken für die Belieferung Europas öfter direkt auf dem Kontinent errichten. Das würde zu einer Verlagerung der Warenströme führen.
Brexit trifft vor allem Unternehmen auf dem Kontinent
Im Straßenverkehr über den Ärmelkanal würde das vor allem die Transportfirmen vom europäischen Kontinent treffen. Die Transportleistungen zwischen Großbritannien und dem Rest der EU hatten nach Schätzungen des britischen Branchenverbandes FTA im vergangenen Jahr einen Wert von 500 Millionen Euro. „15 Prozent dieser Transporte werden von Unternehmen des Vereinigten Königreiches durchgeführt“, sagt FTA-Sprecher Chris Warsley, „und 85 Prozent von Firmen vom Kontinent.“ Die Betreiber des Kanaltunnels machen sich allerdings keine Sorgen. Selbst wenn die Briten aus der EU ausscheiden, werde das auf den Verkehr zwischen der Insel und dem Kontinent „nur eine begrenzte Auswirkung“ haben, meint der Sprecher von Eurotunnel, John Keefe. Er erwartet nur eine „leichte Anpassung der Logistik-Ketten“, danach werde auch der Güterverkehr durch den Kanaltunnel „wieder wachsen“.
Vergleichsweise übersichtlich wären die Auswirkungen auf die Kabotage. Von der Möglichkeit, Transportleistungen auf dem Kontinent zu erbringen, machten die britischen Transportfirmen bislang kaum Gebrauch, sagt Warsley. Umgekehrt ließen sich auch nur wenige Lkw vom Kontinent auf den britischen Straßen blicken. Beide Seiten haben also wenig zu verlieren, wenn sie nach einem Ausscheiden der Briten aus der EU im jeweils anderen Gebiet keine Kabotage mehr durchführen dürften. Allerdings könnte es den britischen Transportfirmen in Zukunft schwerer fallen, Fahrer aus Osteuropa zu rekrutieren. Sie haben bislang einen Teil des Nachwuchsproblems gelöst. (tw/ks)