Auch der Große ist jetzt ganz VW

Plötzlich wirkt der "Alte" wirklich alt. Den Aufwand, den VW beim Entwickeln des neuen Crafter betrieben hat, spürt man, wenn man aus dem Neuen ins (noch) aktuelle Modell umsteigt. Weshalb das auch sicher nicht zufällig mit von der Partie war, als VW die Verkehrs-Rundschau als eines der ausgewählten Medien einlud, den neuen Crafter noch vor der offiziellen Präsentation auf den Zahn zu fühlen. Irgendwie ist der Vorgänger auf einmal laut, sein 2,0-l-TDI rappelig und selbst Sitzposition, Ergonomie und Fahrkomfort wollen nicht mehr richtig passen. Dabei galt der Vorgänger - wie auch sein in weiten Teilen baugleicher "Spender" Mercedes Sprinter - gerade in den letzten drei Kapiteln bislang als Benchmark, an dem sich zuletzt Hyundai bei der Entwicklung des im letzten Jahr vorgestellten H 350 noch intensiv orientierte. Der Neue ist eine Eigenentwicklung Für die neue Crafter-Generation kündigte Volkswagen die Zusammenarbeit mit Mercedes und stampfte stattdessen im polnischen Wrzesnia in der Rekordzeit von nur 28 Monaten ein komplett neues Werk aus dem Boden. Lohn der Mühe: Endlich darf der Crafter sein, wie man sich in Hannover und Wolfsburg einen Transporter vorstellt: ohne die bisherigen "Mercedes-Kompromisse", wie es mancher VW-Verantwortliche ausdrückt. Klar ist Letzteren aber auch, dass dieser Alleingang in Zeiten, in denen viele Konkurrenten ihr Heil zunehmend in Kooperationen suchen, auch ein Risiko bedeutet: "Dieser Schuss muss sitzen", bekräftigt deshalb VW-Nutzfahrzeug-Chef Eckhard Scholz, "gerade in der umkämpften 3,5-Tonnen-Klasse verzeihen die Kunden keine Fehler!" Und was in der kleineren Klasse funktioniert, kann auch beim Großen nicht schlecht sein. Weshalb im neuen Crafter auch eine Portion des VW-Erfolgsmodells T6 mitfährt. Unter anderem erbte der Crafter dessen übersichtliche, VW-typisch nüchterne Ergonomie. Die mag zwar optisch wenige Reize setzen, dafür finden sich alle Schalter und Bedienelemente exakt dort, wo sie auch VW-Neulinge instinktiv vermuten. Ebenfalls - und nicht nur aus dem T6 bekannt - ist der Antrieb in Form des 2,0 Liter großen Konzern-TDI, der seine Antriebskraft bei den Modellen bis 3,5 Tonnen jetzt VW-typisch an die Vorderräder überträgt. Für den schwereren Crafter-Einsatz stellten die Entwickler ihn von Zahnriemen auf eine robustere Steuerkette um. Und erzogen den Vierzylinder zusätzlich zu besseren Manieren bei niedrigen Drehzahlen, die er nun williger und nahezu vibrationsfrei akzeptiert. Auch wenn der VW-Motor weiterhin nicht die Geschmeidigkeit und Elastizität mancher französischer oder italienischer Aggregate erreicht ... Fischbauch verbessert cw-Wert Dafür soll der Motor in Sachen Verbrauch neue Maßstäbe setzen, ohne dass VW bislang genaue Zahlen nennt. Großen Anteil daran gebührt dem sogenannten "Fischbaucheffekt" der Karosserie. Das nach hinten leicht abfallende Dach und die sich nach oben verjüngenden Seitenwände ermöglichen einen cw-Wert von 0,329. Kosten auf der anderen Seite aber auch ein paar Zentimeter Platz im Laderaum. Trotzdem erfordern die drei lieferbaren Längen und Höhen gemessen am Vorgänger keine Platzkompromisse, versichert VW. Ebenfalls zum Sparen beitragen soll die neue elektrohydraulische aber trotzdem "gefühlsechte" Lenkung, die einerseits bedarfsgerecht arbeitet und Technik wie einen elektronischen Einparkassistenten ermöglicht, der übrigens auch mit Anhänger problemlos rangieren können soll. Was wir allerdings noch nicht austesten konnten. Intensiv testen ließ sich dagegen das Fahrwerk. Und auch hier übertrumpft der Neue den Alten mühelos. Wo der sich kräftig zur Seite neigt, bleibt der Nachfolger auch beladen völlig unbeeindruckt, gleitet aber dennoch komfortabel über Bodenunebenheiten hinweg. Lob ernten auch der harmonisch eingreifende Abstandstempomat sowie der Spurwächter, der per aktivem Lenkeingriff im Falle eines Falles hilft, Gefahr zu bannen. Beide Systeme werden aber wohl nur gegen Aufpreis zu haben sein, ebenso wie der empfehlenswerte, weil rückenschonende Schwingsitz, dessen Einstellrad allerdings zu weit unten montiert ist. Eine Kleinigkeit, wie auch die - anders als beim Vorgänger - leider nicht mehr verstellbar ausgeführten Weitwinkelspiegel, was Sitzriesen eine Nutzung verwehrt. Womit der Alte dem Neuen nur noch beim Blick zurück übertrumpft, aber das dürfte für eine positive Crafter-Zukunft kaum hinderlich sein. Alle Tests und Fahrberichte für Abonnenten www.verkehrsrundschau.de/testdatenbank