Zwischen Krisenherd und Boomland

Wenn es um die Türkei geht, schwappten die Emotionen in jüngster Zeit hoch in Deutschland. Die Maßnahmen der türkischen Regierung auf den Putsch, Tausende von Menschen zu verhaften, die Opposition und Medien in ihrer Arbeit einzuschränken und deutschen Politikern den Besuch von deutschen Soldaten in der Türkei zu verweigern, hatte zu heftigen Reaktionen in der Politik gesorgt mit entsprechenden Erwiderungen aus der Türkei. Als dann noch deutsche Staatsbürger in der Türkei verhaftet wurden, drohte der Streit zwischen den Regierungen beider Staaten zu eskalieren. Appell an die Politik nach Normalität Zustände, die Unternehmen überhaupt nicht gebrauchen können, wenn sie Geschäfte miteinander machen wollen. "Wir hoffen, dass sich nach der Bundestagswahl die Beziehungen wieder normalisieren", sagt Nuri Yildiz, "denn für unsere Geschäftsbeziehungen mit der Türkei sind solche Auseinandersetzungen nicht förderlich", drückt sich der Key Account Manager der Spedition Bassen Logistic in Bremen diplomatisch aus. Das Unternehmen beschäftigt 65 Mitarbeiter und verfügt über 50 eigene Fahrzeuge. Zwischen der Türkei und Deutschland befördert Bassen vor allem Geräte für Maschinenbauunternehmen, pro Jahr etwa 200 Transporte. Yildiz kam mit drei Jahren aus der Türkei nach Deutschland und ist seit 15 Jahren im Transportgeschäft mit der Türkei tätig, seit sechs Jahren für Bassen. Er hat beobachtet, dass in den vergangenen Monaten Italien, Frankreich und Osteuropa immer mehr in den Fokus rücken. Um an Rückfracht zu gelangen, würden immer mehr türkische Speditionen ihre Leistungen auf anderen Märkten anbieten. Dabei sind die wirtschaftlichen Beziehungen der Türkei mit Deutschland so intensiv wie mit keinem anderen Land der Welt. Deutschland steht auf Platz eins bei den Hauptabnehmerländern von in der Türkei hergestellten Produkten. Die meisten Produkte, die Türkei aus dem Ausland bezieht, kommen aus China. Auf Platz zwei folgt aber bereits Deutschland (siehe linke Grafik Seite 14). Wirtschaftlich gesehen ist Deutschland also für die Türkei enorm wichtig, umgekehrt spielt die Türkei aber auch eine bedeutende Rolle für Deutschland. Denn nach wie vor ist die Türkei ein wachstumsstarkes Land (siehe rechte Grafik Seite 14). "Im Putschjahr 2016 gab es ein Wirtschaftswachstum von 2,9 Prozent", sagt Stefan Iskan, Professor für Automotive SCM und Digitalisierung an der Hochschule Ludwigshafen. Er bewegt sich im Transport- und Logistikmarkt in der Türkei seit mehr als zwölf Jahren. Der These, dass mit den politischen Unruhen auch die Wirtschaft den Bach runtergeht, kann er nicht folgen und führt das Wirtschaftswachstum der Türkei im ersten Halbjahr 2017 an. Danach wuchs die Wirtschaft um fünf Prozent. "Im Vergleich zur Entwicklung in der Euro-Zone ist das immer noch ein attraktives Wachstum", sagt Iskan. Allerdings muss man diese Zahl mit Vorsicht genießen. "Ein wesentlicher Grund für das Wachstum sind staatliche Konjunkturmaßnahmen", sagt Necip Bagoglu, Türkei-Experte bei der Germany Trade & Invest GTAI, der Gesellschaft für Außenwirtschaft der Bundesrepublik Deutschland. So ist die Bauwirtschaft unter anderem aufgrund großer Infrastrukturprojekte ein Konjunkturtreiber. Zudem fördert der Staat über "massive Kreditausweitungen" Investitionen zur Ankurbelung der Wirtschaft. "Die Türkei braucht ein Wachstum von jenseits sechs Prozent, um ihre Arbeitslosenquote ausbalancieren zu können", nennt Iskan einen wesentlichen Grund für diese Politik. Doch Bagoglu sieht in der Zunahme des Bruttoinlandsproduktes kein nachhaltiges Wachstum und weist auf die hohe Inflationsrate von mehr als zehn Prozent hin, die für 2017 vorhergesagt ist, und auf die rückläufigen Investitionen in Anlagen: im ersten Quartal um zwölf, im zweiten Quartal um 8,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Frachtraten in die Türkei steigen Damit lässt sich erklären, warum die Spedition Bassen Logistic eine rückläufige Nachfrage spürt. Erschwerend kommt hinzu, dass laut Bassen-Manager Yildiz die türkischen Transportunternehmen wegen fehlender Rückladungen derzeit lieber Frankreich oder Osteuropa ansteuern. Die Folge in dem preislich gesehen laut Yildiz schon immer sehr schwankenden Markt: "Sonst haben wir um diese Jahreszeit etwa 2500 bis 2800 Euro für einen Lkw in die Türkei gezahlt. Jetzt liegen die Frachtraten bei 3000 bis 4000 Euro." Aber Yildiz ist dennoch optimistisch, zumal er auch keine großen Einbrüche erkennen kann. Er bezeichnet es als "unmöglich", dass es zu einem Abbruch der Wirtschaftsbeziehungen kommen wird. "Ich habe angesichts der Vorkommnisse mit einer schlimmeren Entwicklung gerechnet", sagt der Türkei-Kenner. Nach wie vor spürt er bei seinen Besuchen in der Türkei auch ein großes Interesse in der Wirtschaft, weiterhin mit deutschen Unternehmen zusammenzuarbeiten. Weshalb er davon ausgeht, dass das Geschäft mit der Türkei wächst. Spedition Göllner wagt den Sprung Das ist auch der Grund, warum die Spedition Göllner sich mit Türkei-Transporten befasst. "Die Türkei ist ein großer Markt mit 80 Millionen Einwohnern, der stetig wächst", sagt Geschäftsführer Christian Göllner. Seit gut einem Jahr ist die Spedition in der Türkei über ein Partnerunternehmen vertreten. Der Zeitpunkt für den Markteinstieg war nicht günstig, da fast zeitgleich mit dem Putschversuch in der Türkei. "Anfangs hat sich das Geschäft auch schwerer entwickelt, aber mittlerweile läuft es gut an", sagt Meral Koc, Projektleiterin Türkei bei der Spedition Göllner. Das Unternehmen, das 270 Mitarbeiter an acht Standorten beschäftigt, will an seinem Türkei-Engagement festhalten. "Es gibt zwar nach wie vor politische Risiken, aber wir gehen davon aus, dass der türkische Markt weiterhin wächst", sagt Göllner. Zudem hat die Spedition auch mehrere Niederlassungen in Russland. Und da auch der Warenaustausch zwischen Russland und der Türkei stark ist, hofft Göllner auf eine große Nachfrage nach Transportleistungen zwischen diesen beiden Staaten. Sowohl Bassen Logistic wie auch die Spedition Göllner arbeiten in Deutschland mit türkischsprachigen Mitarbeitern und in der Türkei mit einem Partner zusammen. "Gerade, wenn wir dort den Vorund Nachlauf anbieten, sind Marktkenntnisse vor Ort von großer Bedeutung", sagt Göllner. Der Partner der Spedition Bassen ist schon seit einigen Jahren die in Istanbul ansässige Spedition Ansa. Die Kooperation ist mittlerweile so intensiv, dass Bassen und Ansa mit dem Gedanken spielen, sich auch gesellschaftlich miteinander zu verflechten. Professor Iskan sieht aktuell "eine günstige Zeit, sich durch Beteiligungen oder Aufkäufe in den türkischen Markt einzukaufen." Er beobachtet, dass sich eine Reihe von deutschen und internationalen Logistikdienstleistern einzelne türkische Unternehmen genauer ansehen. "Zudem erhält man bei gezielter Auswahl eines türkischen Partners bereits Netzwerke in dem gesamten Perspektiv-Korridor Richtung Asien, den vormaligen GUS-Staaten und Nahen Osten gleich mit", nennt er einen weiteren Vorteil einer Zusammenarbeit mit einem türkischen Dienstleister vor Ort. Diesen Weg ist auch die Spedition Hoyer in Hamburg gegangen. Vor bereits zwanzig Jahren hat der auf Chemie spezialisierte Dienstleister den Schritt in die Türkei gewagt und sich hier zunächst vor allem auf den intermodalen Transport von Flüssigchemikalien in die Türkei konzentriert. 2012 hat Hoyer dann die Mehrheit an der türkischen Spedition Aktifsped erworben. "Damit hat Hoyer die Aktivitäten auf den inländischen Markt, Exportsendungen nach Europa und den Straßentransport in benachbarte Länder Zentralasiens ausgedehnt", schildert Ekin Timan, Geschäftsführer der Spedition Aktifsped, die Ausdehnung des Tätigkeitsbereichs. Hoyer hofft auf den Iran als neuen Markt Geht es um die Aktivitäten in der Türkei, darf bei allen drei Speditionen ein Argument nicht fehlen: die Rolle der Türkei als Brückenkopf für andere Regionen. Bei Hoyer als große Chemiespedition war damit zu rechnen: "Insbesondere nach Lockerung der Sanktionen hat der Iran als größter Produzent petrochemischer Erzeugnisse ein hohes Marktpotenzial für Tank Container Operator. Vor diesem Hintergrund arbeitet Hoyer an Strategien, in dieser Region noch aktiver zu werden", sagt Timan. Etwas überraschend ist da vielleicht die Aussage von Yildiz als Vertreter der im Vergleich zu Hoyer doch deutlich kleineren Spedition: "Wir sehen als derzeit größte Chance in der Türkei die Nutzung der Seidenstraße und damit die Verbindung in weiter östlich gelegene Staaten", sagt Yildiz und hat offenbar keine Bedenken, sich außerhalb Europas zu engagieren. Und auch Göllner, erst seit einem Jahr im Türkei-Geschäft aktiv, sieht sein Engagement ebenso vor dem Hintergrund, die "Türkei als Sprungbrett zu anderen Staaten in der Region zu nutzen". Ein Grund dafür, dass die Spediteure die Türkei als Brückenfunktion für neue Märkte nutzen wollen, ist möglicherweise die Situation im türkischen Transportmarkt: "Die Türkei verfügt über eine der größten und modernsten Landverkehrsflotten in Europa. Die sind in der Hand türkischer Player, die über sehr gut entwickelte Kontraktlogistik-Lösungen etwa im Fashion- und Automotive-Bereich verfügen", sagt Türkei-Experte Iskan. Seine Einschätzung: "Dieser Markt ist längst schon aufgeteilt." Das wiederum heißt nicht, dass dort nicht doch eine Menge passiert und möglich ist. Murat Kavrar, bei Ekol, einer der größten türkischen Speditionen, für die Türkei verantwortlich, sieht vor allem nach dem Wegfall der Sanktionen im Iran großes Potenzial in der Türkei, um von dort aus Transporte und die Logistik zwischen Iran und Europa zu steuern und zu organisieren. Zudem investiert die türkische Regierung kräftig in Infrastrukturprojekte, und zwar über alle Verkehrsträger. "Ziel ist es, die Türkei zu einem führenden Logistik-Hub auszubauen", sagt Kavrar. Dazu stellt das Land zudem Geld für den Aufbau großer Logistikzentren zur Verfügung. "Davon werden türkische Logistikdienstleister in Form von sinkenden Kosten profitieren und international weiter expandieren", besagt seine Vorhersage. Wichtige Branchen für die Türkei und damit auch für die Logistikdienstleister sind seiner Auffassung nach die Automobilindustrie, aber auch der Maschinenbau, der Energiesektor, die Textilindustrie sowie der Handel. Wenn also auch auf politischer Ebene kräftig gezündelt wurde, hat dieses Feuer bislang keine oder kaum Auswirkungen auf die Wirtschaft gehabt - sieht man vielleicht vom Tourismus ab. Doch wie nachhaltig das Wachstum ist und was passiert, sollten die Krisenherde auch in den Nachbarstaaten wieder aufflammen und für größere Schäden sorgen, diese Fragen bleiben akut, weshalb ein Engagement in der Türkei mit Risiken behaftet ist. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Türkei www.verkehrsrundschau.de/dossiers Neuer Logistik-Masterplan sorgt für Hoffnung Aufschwung bei den türkischen Speditionen Das Jahr 2017 ist für die türkischen Speditionen gut angelaufen. Wie GTAI (Germany Trade & Invest) mitteilt, ist die Zahl der Transporte per Lkw in die und aus der Türkei von Januar bis Mai 2017 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum deutlich gestiegen. Exportseitig gab es einen Zuwachs um 8,4 Prozent. Dabei erhöhten sich die Transporte der türkischen Firmen sogar um 9,9 Prozent, begünstigt durch eine steigende Nachfrage aus der EU nach Gütern die in der Türkei produziert werden. Die Zahl der Transporte in die Türkei ist noch kräftiger geklettert, und zwar um 9,2 Prozent. Auch hier gilt, dass türkische Lkw noch stärker gefragt waren und deren Zahl um 13,5 Prozent zugenommen hat.Wie das GTAI weiter berichtet, will die türkische Regierung Ende 2017 einen Logistik-Masterplan verkünden, der 2018 umgesetzt werden soll. Davon versprechen sich die türkischen Logistikdienstleister weitere Impulse. Deshalb haben auch die größeren Speditionen eine Reihe von Investitionen angekündigt: Ekol will die Zahl seiner Sattelzüge von derzeit 5500 auf 10.000 im Jahr 2020 erhöhen. Mars Logistik investiert 30 Millionen Euro in ein neues Logistikzentrum bei Istanbul und will seinen Umsatz 2017 wie schon 2016 um zwölf Prozent steigern. cd Logitrans in der Türkei Deutscher Pavillon auf der Logitrans Vom 15. bis 17. November öffnet die Messe Logitrans 2017 ihre Pforten in Istanbul. Auch viele deutsche Unternehmen werden sich auf dem Expo Center IFM präsentieren. So gibt es wieder den Deutschen Pavillon des Bundeswirtschaftsministeriums, in dem unter anderem Unternehmen wie Dachser, der Fährhafen Sassnitz, Fahrzeugwerke Krone, Schenker, Schmitz Cargobull, die Spedition Göllner und Universal Transport ausstellen.Zu der letzten Logitrans 2016 kamen 13.500 Besucher aus mehr als 50 Ländern und 180 Austeller aus 26 Ländern. In diesem Jahr hoffen die Veranstalter - ein Joint Venture der Messe München und von EKO Fair Limited - die Bilanz aus dem Vorjahr zu übertreffen. cd

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