Zurück an die Arbeit

Der Rücken schmerzt vom langen Sitzen. An der Rampe muss der Fahrer wieder beim Entladen mit anpacken, damit es schneller geht. Die Zeit sitzt ihm im Nacken. Am nächsten Morgen meldet er sich krank, er kann sich kaum bewegen vor Schmerzen. Der Fahrer fällt für mehrere Wochen aus. Ein typischer Fall: In der Transport- und Logistikbranche sind die meisten Krankentage auf Muskel-Skelett-Erkrankungen und Rückenschmerzen zurückzuführen. Summieren sich die Fehlzeiten innerhalb von zwölf Monaten auf sechs Wochen und mehr, sind Arbeitgeber in der Pflicht. Sie müssen mit dem kranken Mitarbeiter Kontakt aufnehmen und Hilfen anbieten, die ihm eine Rückkehr in den Job ermöglichen. "Das betriebliche Eingliederungsmanagement, kurz BEM, ist für den Mitarbeiter freiwillig, für den Arbeitgeber aber verpflichtend", klärt Rechtsanwältin Angela Huber auf. Ziel sei es, gemeinsam geeignete Maßnahmen zu entwickeln, die dem Betroffenen helfen, seine Arbeitsfähigkeit wiederzuerlangen und weiteren Erkrankungen vorzubeugen. "Das können Hebebühnen oder -hilfen für Mitarbeiter mit Schulter- oder Rückenproblemen sein, höhenverstellbare Schreibtische, ergonomische Sitze in Fahrzeugen, aber auch eine stufenweise - ärztlich begleitete - Wiedereingliederung, eine befristete Befreiung von der Schichtarbeit, längere Pausenzeiten, Teilzeitregelungen bis hin zur Versetzung an einen anderen Arbeitsplatz", führt die Münchener BEM-Expertin aus. Fahrer verschweigen Krankheiten In der Praxis hakt es jedoch häufig bei der Umsetzung. Kleinen und mittleren Unternehmen fehlt es an Expertise und Personal. Meist ist der Personalchef für das betriebliche Eingliederungsmanagement zuständig. "Oftmals genießt dieser aber nicht das Vertrauen der Mitarbeiter", gibt Stefan Buchner, Geschäftsführer und Gründer der Berliner Unternehmensberatung für Betriebliches Gesundheitsmanagement (UBGM), zu bedenken. In der Verkehrsbranche stellt sich zudem schnell die Frage nach der Fahrtüchtigkeit. Fahrer verschweigen mitunter Erkrankungen, weil sie Angst um ihren Arbeitsplatz haben. "Langzeiterkrankte Mitarbeiter müssen aber keine Kündigung befürchten", stellt Buchner klar. "Erklärtes Ziel des BEM ist es vielmehr, das Arbeitsverhältnis weiterzuführen." Vertrauensperson auswählen Damit dies gelingt, sollten Arbeitgeber bei der Auswahl des BEM-Beauftragten besondere Sorgfalt walten lassen. "Es muss eine Vertrauensperson mit einem guten Standing in der Firma sein. Mitarbeiter brauchen Vertrauen, um sich öffnen und gute Maßnahmen entwickeln zu können", weiß Rechtsanwältin Huber. Diese müssen dann aber auch umgesetzt werden. "Deshalb sollte der BEM-Beauftragte mit den Führungskräften auf Augenhöhe reden können", sagt die Mediatorin. Fehlt das Vertrauen, offen miteinander zu reden, sei ein externer Fallmanager, der vermittelt, immer die bessere Wahl. "Dann muss sich die ganze Unternehmenskultur ändern - vom Wegschauen zum Sich-Kümmern." Ein schneller Wiedereinstieg in den Job gelingt nur, wenn Arbeitgeber und Mitarbeiter an einem Strang ziehen. Der kranke Kollege allein entscheidet, ob er am BEM teilnimmt oder nicht. Chefs sollten deshalb den Betroffenen über die Ziele, die Beteiligten und den Ablauf des betrieblichen Eingliederungsmanagements aufklären. "Datenschutz und Vertraulichkeit spielen dabei eine zentrale Rolle", betont Huber, die als ausgebildete Disability Managerin Mittelständer bei der BEM-Einführung unterstützt. So sind Personalund BEM-Akte strikt getrennt voneinander aufzubewahren und dürfen nicht für Dritte zugänglich sein. "Mitarbeiter müssen keine medizinischen Diagnosen offenlegen, und ohne ihre Zustimmung darf keine BEM-Akte angelegt werden", sagt Unternehmensberater Buchner. Gibt der kranke Kollege sein schriftliches Einverständnis, gilt es in weiteren Gesprächen zu klären, ob es betriebliche Ursachen für die Erkrankung gibt - sich etwa Fehl- oder Überlastungen am Arbeitsplatz oder Ärger in der Abteilung negativ auf die Gesundheit auswirken. Wenn der Mitarbeiter dies möchte, können der Betriebsrat und gegebenenfalls die Schwerbehindertenvertretung an den Gesprächen teilnehmen. Es kann auch helfen, den Betriebsarzt einzubeziehen. Gegen den Willen des Betroffenen darf der Chef jedoch nichts durchsetzen. "Der Mitarbeiter muss immer einbezogen werden", stellt Huber klar. Schließlich geht es um seine Arbeitsfähigkeit. Haben sich die Beteiligten auf konkrete Hilfen geeinigt, ist es wichtig, diese auch zeitnah umzusetzen. "Eine positive Mundpropaganda im Betrieb ist die beste Werbung für das BEM", meint die Rechtsanwältin. Der Arbeitgeber kann viel für die Gesundheit seiner Beschäftigten tun. Dem Fahrer mit Rückenproblemen helfen ergonomische Sitze und persönliche Coachings, wie er Bewegungsprogramme in den Pausenzeiten umsetzen kann. "Der Chef sollte die Rahmenbedingungen so gestalten, dass der Fahrer etwas für seine Gesundheit tun kann", erklärt Buchner. "Flexiblere Fahrund Pausenzeiten, aber auch reduzierte Arbeitszeiten im Fernverkehr sind möglich", sagt der BEM-Experte. Denkbar sei auch eine Umschulung, um den Mitarbeiter in der Logistik oder im Verwaltungsbereich einsetzen zu können. "Die Kosten übernimmt die Agentur für Arbeit, wenn der Betrieb eine Beschäftigungsgarantie von mindestens zwei Jahren gibt", informiert Buchner. Finanzielle Hilfen und Zuschüsse gibt es auch von den Reha-Trägern wie Rentenversicherung (Ausgestaltung des individuellen Arbeitsplatzes), Berufsgenossenschaften (Wege- und Arbeitsunfälle) sowie den Integrationsämtern (zum Beispiel bauliche Maßnahmen, Hebehilfen oder Arbeitsassistenz). Beratung erhalten Unternehmen bei den Servicestellen, die in allen Landkreisen und kreisfreien Städten vertreten sind (www.reha-servicestellen.de). Motiviert zurück an den Arbeitsplatz Funktioniert das BEM, profitieren beide Seiten. Die Kollegen fühlen sich wertgeschätzt und kehren motiviert an ihren Arbeitsplatz zurück. "Ihre Arbeitsunfähigkeitszeiten reduzieren sich signifikant", stellt Huber in der Praxis immer wieder fest. Langjährige, erfahrene Mitarbeiter bleiben dem Unternehmen erhalten und werden wieder leistungsfähig. Mehr zum Thema im Dossier Unternehmensführung www.verkehrsrundschau.de/dossiers Das sagt das Arbeitsrecht - Gesetzliche Pflicht: Jeder Arbeitgeber, egal, ob Klein- oder Großunternehmen, muss Mitarbeitern, die innerhalb eines Jahres in der Summe sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt krankheitsbedingt fehlen, ein betriebliches Eingliederungsmanagement anbieten. Tun sie dies nicht, manövrieren sie sich juristisch ins Abseits. Eine krankheitsbedingte Kündigung ist ohne ernsthafte Suche nach milderen Mitteln, wie sie das BEM vorsieht, häufig unverhältnismäßig.- Ablehnung durch Mitarbeiter: Verweigern erkrankte Arbeitnehmer die Teilnahme am BEM, hat dies keine unmittelbaren arbeitsrechtlichen Konsequenzen. Die Ablehnung ist "kündigungsneutral". In einem Kündigungsschutzprozess kann es sich jedoch nachteilig auswirken, da der Mitarbeiter nicht mitgeholfen hat, seinen Arbeitsplatz zu sichern.- Hohe Hürden für Kündigung: Selbst wenn ein BEM stattgefunden hat, scheitern krankheitsbedingte Kündigungen häufig vor Gericht, denn die Darlegungs- und Beweislast liegt beim Arbeitgeber. Er muss nachweisen, dass er alle Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um den Arbeitsplatz zu erhalten. sah BEM-Massnahmen - Technisch: Umrüstung des Arbeitsplatzes und Ausstattung mit Hilfsmitteln (zum Beispiel ergonomischer Stuhl, höhenverstellbarer Tisch, Hebehilfen, Türöffner)- Organisatorisch: Anpassung von Arbeitszeit und Aufgaben (zum Beispiel stufenweise Wiedereingliederung, befristete Befreiung von der Schichtarbeit, befristete Teilzeitarbeit, Pausenregelung, Homeoffice, Jobsharing, einzelne Urlaubstage, Teilzeit mit Erwerbsminderung, befristete Aufgabenänderung, Umsetzung, Versetzung an einen anderen Arbeitsplatz)- Persönlich: Reha-Maßnahmen, Therapien, Gesundheitsförderung (zum Beispielmedizinische Reha, Physiotherapie, Reha-Sport, Rückenschule, Stressmanagement, Psychotherapie, Mediation)- Stufenweise Wiedereingliederung: Die auch als Hamburger Modell bezeichnete Wiedereingliederung ist die am häufigsten genutzte BEM-Maßnahme. Der Mitarbeiter kehrt zunächst stundenweise in den Job zurück. Die Arbeitsbelastung wird unter ärztlicher Aufsicht langsam gesteigert. In dieser Zeit sind die Beschäftigten weiterhin krankgeschrieben und erhalten Krankengeld von der Krankenkasse oder Übergangsgeld vom zuständigen Rehabilitationsträger. sah

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