Wo fängt die Gier an?

Widersprechen sich Moral und Kapitalismus? Sind also moralisches, an christlichen Werten orientiertes Verhalten und auf Gewinnerzielung orientiertes unternehmerisches Handeln ein Widerspruch? Die Wirtschaft muss für den Menschen da sein, nicht die Menschen für die Wirtschaft. Laut Katechismus der katholischen Kirche muss wirtschaftliche Tätigkeit im Rahmen der sittlichen Ordnung und der sozialen Gerechtigkeit ausgeübt werden. Nicht alles, was in der Marktwirtschaft geschieht, darf als Kapitalismus verurteilt werden. Aber wenn das Geld zum Götzen wird und Börsenkurse das Maß aller Dinge werden, dann haben wir ein Wirtschaftssystem, das wir mit Papst Franziskus als "unerträglich" bezeichnen müssen. Ganz konkret: Ein schwarze Zahlen schreibendes Unternehmen entlässt Leute, um die Rendite zu verbessern. Ist das gerechtfertigt? Es ist das Recht eines Unternehmers, Gewinne zu erzielen, was ja auch im Interesse der Mitarbeiter geschieht, die bei ihm "in Lohn und Brot" stehen. Entlassungen aus reiner Profitgier sind abzulehnen, denn jeder Unternehmer ist dem Wohl seiner Beschäftigten und dem Gemeinwohl verantwortlich. Papst Franziskus spricht von einer "Wirtschaft, die tötet" und prangert zu Recht die Macht des Geldes an. Wo liegt die Grenze zwischen unmoralischer Gier und moralischem Unternehmertum? Ein Unternehmer ist dem Wohl der Menschen verpflichtet und nicht nur der Steigerung seiner Rendite. Es ist nötig, dass er Geld verdient, um die Löhne zu bezahlen und in sein Unternehmen zu investieren und Arbeitsplätze zu erhalten. Die Grenze ist fließend, aber sie ist dort überschritten, wo Arbeiter ausgebeutet und ihre Arbeitnehmerrechte missachtet werden. Müssen christliche Unternehmer anders handeln als andere? Wir Christen sind aufgefordert, nach dem Evangelium und den zehn Geboten zu leben und Zeugnis des Glaubens und der Nächstenliebe abzugeben. Das soll sich im Privatleben genauso äußern wie im Beruf. Auch Unternehmer stehen hier in der Pflicht. Es ist nicht verwerflich, Geld zu verdienen. Entscheidend ist, was man mit seinem Gewinn tut. Aber man muss gar nicht Christ oder katholisch sein, um nach der "Goldenen Regel" zu leben, wonach man andere so behandelt, wie man selbst behandelt werden möchte. Jeder Unternehmer sollte seine Mitarbeiter so behandeln, wie er gerne an deren Stelle behandelt werden wollte. Auf der anderen Seite: Was ist mit Angestellten, die angewiesen werden, ihren Kunden übers Ohr zu hauen? Wie in jeder anderen Lebenssituation muss er auch hier auf sein Gewissen hören. Ich darf mein eigenes unmoralisches Handeln nie damit rechtfertigen, dass ein anderer mich dazu aufgefordert hat. Einem Chef, der seine Mitarbeiter zwingt, Kunden zu betrügen, gehört das Handwerk gelegt. Die Kirche ist selbst Arbeitgeber, der Sparzwängen ausgesetzt ist. Bei welcher Entscheidung haben Sie persönlich sich die Frage gestellt: Ist hier ein Widerspruch zwischen wirtschaftlichem Denken und Moral? Wirtschaftliches Denken ist nicht zwangsläufig unmoralisch. Im Gegenteil: Es ist unmoralisch, Geld und Ressourcen zu verschwenden! Als ich 2002 in Bamberg Erzbischof wurde, habe ich das Erzbistum in einer finanziell sehr dramatischen Lage vorgefunden. Es waren Sparmaßnahmen nötig, ein schmerzhafter Konsolidierungsprozess musste gestartet werden, was auch einen Einstellungsstopp für alle Bereiche bedeutete, und auch Stellen mussten abgebaut werden. Unter Einbeziehung der Mitarbeiter-Vertretungen haben wir immer nach fairen Lösungen gesucht. Heute steht das Erzbistum wieder auf festen Füßen. Was ist Ihr moralisches Leitmotto für Ihr Handeln als Manager eines Bistums? - Üb immer Treu und Redlichkeit. - Was du ererbt von deinen Vätern, bewahre es und gib es an die nächste Generation weiter. - Das Gebot der Nächstenliebe ist für jeden Christen die oberste Maxime. Das gilt auch für mich als Bischof. Religion und Kapitalismus Ist die Marktwirtschaft unmoralisch? Mit diesem Thema beschäftigt sich die katholische Kirche immer wieder. Neuen Schwung bekam die Debatte, weil das neue Kirchenoberhaupt, Papst Franziskus, den Kapitalismus und das weltweite Wirtschaftssystem als unerträglich bezeichnet hatte. Über den Spagat zwischen Unternehmertum und Nächstenliebe sprach die VR mit Ludwig Schick, der als Erzbischof das Bistum Bamberg führt und managt. tr

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