"Wir erwarten jetzt Entscheidungen"

Frau Lühmann, wir treffen uns im Berliner Hauptbahnhof zum Interview. Darf man daraus eine Präferenz für den Verkehrsträger Schiene ableiten? (lacht) Nein, wir müssen die drei Verkehrsträger Straße, Schiene und Wasserstraße gemeinsam denken und entwickeln. Nur dann werden wir den gestiegenen Ansprüchen auf Mobilität gerecht. Der Berliner Hauptbahnhof ist mir gut vertraut, da ich hier regelmäßig in den Zug steige, um in meinen Wahlkreis Celle /Uelzen zu fahren. Im Übrigen, ich war auch schon Beifahrerin auf einem Lang-LKW. Das war hochinteressant. Sie liefern das Stichwort. Die Verfassungsklage Ihrer Fraktion gegen den Feldversuch ist abgewiesen worden. Überdenken Sie jetzt Ihre Position? Die Gerichtsentscheidung bedeutet, dass der Feldversuch zu Ende geführt wird. Eine Ausweitung der Strecken steht nicht zur Debatte. Die Unternehmen, die Lang-LKW auf die Straße schicken, haben Planungssicherheit bis Ende 2016. Im Übrigen erwarte ich nicht, dass dieser Feldversuch neue Erkenntnisse bringt. Bereits 2005 haben einzelne Bundesländer Ausnahmegenehmigungen für Lang-LKW für bestimmte Strecken erteilt. Ich verweise auch darauf, dass sich bis Ende April nur 38 Unternehmen mit 72 Lang-LKW angemeldet hatten. Das bedeutet, Ende 2016 können die Unternehmen ihre teuren Lang-LKW einmotten? Nach derzeitiger Rechtslage könnten wir den Lang-LKW nach Beendigung des Feldversuchs nicht einfach freigeben. Dies widerspräche einer EU-Richtlinie. Außerdem hat sich das Europäische Parlament gegen Lang-LKW im grenzüberschreitenden Verkehr ausgesprochen. Das Europäische Parlament ist gerade neu gewählt worden. Sehen Sie Chancen, dass aus der Ablehnung des Lang-LKW doch noch eine Zustimmung wird? Das lässt sich im Moment noch nicht absehen. Wir müssen mit der EU über die berechtigten Bedenken sprechen. Aber es beginnt zur Zeit die Diskussion darüber, dass bestimmte Verkehre, etwa zwischen zwei an Autobahnen gelegenen Verteilzentren, ökologisch vorteilhaft sein könnten. Das sollten wir ergebnisoffen diskutieren. Eine generelle Freigabe des Lang-LKW schließe ich aus. Bleiben wir beim Verkehrsträger Straße. Das Wegekostengutachten verlangt eine Senkung der LKW-Maut. Wie will die große Koalition trotzdem die Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur sicherstellen? Das stark gesunkene Zinsniveau zwingt uns tatsächlich zu einer Senkung der LKW-Maut. Die EU wird im Herbst die Wegekostenrichtlinie evaluieren und über die Kriterien der Berechnung werden wir in diesem Zusammenhang sprechen müssen. Nach meiner Ansicht müssen wir die geltende Richtlinie optimieren und die Berechnung stärker an den tatsächlichen Kosten orientieren. Die Stau- und Umweltkosten müssen klarer dargestellt werden. Was die aktuelle Finanzlücke von etwa zwei Milliarden Euro angeht, so erwarte ich, dass der Bundesfinanzminister diese Mindereinnahmen ausgleicht und dies im Herbst bei den Beratungen über den Haushalt 2015 mitteilt. Am 1. Juli 2015 sollen zusätzliche 1000 Kilometer Bundesstraße in die LKW-Maut einbezogen werden, ab Herbst 2015 auch LKW ab 7,5 Tonnen. Ab 2018 soll die Maut auf allen Bundesstraßen kommen. Wie ist der Stand der Vorbereitung? Wir dürfen jetzt keine Zeit mehr verlieren, denn uns gehen Optionen verloren. Das sage ich auch in Richtung Verkehrsministerium. Jetzt müssen Entscheidungen getroffen werden, die eigentlich schon von der schwarz-gelben Vorgängerregierung hätten gefällt werden müssen. Dazu gehört auch die Frage der Zukunft des Mautkonsortiums Toll Collect. Es gibt Anbieter, die die für 2018 avisierte Mauterhebung auf allen Bundesstraßen schon zu einem früheren Zeitpunkt als möglich darstellen. Die SPD-Verkehrspolitiker sind ungeduldig und erwarten Entscheidungen. Das Güterkraftverkehrsgewerbe mahnt, dies sei eine zusätzliche Belastung und ginge letztlich zulasten der Verbraucher. Alle Berechnungen zeigen, die Transportkosten in Deutschland sind erschreckend niedrig. Auf der anderen Seite leidet das Gewerbe unter einem extremen Nachwuchsmangel. Wenn aber LKW-Fahrer nicht ausreichend zur Verfügung stehen, ist unter anderem eine pünktliche Anlieferung von Waren gefährdet. Ich denke da zum Beispiel an VW in Wolfsburg, ein weltweit agierendes Unternehmen, das ohne die Einhaltung zeitgenauer Absprachen nicht länger wettbewerbsfähig wäre. LKW-Fahrer haben einen harten Job und sollten besser bezahlt werden. Die Auswirkungen auf die Endverbraucherpreise wären marginal und eine Frage der Gerechtigkeit. Ist die geplante Mautpflicht ab 7,5 Tonnen eigentlich das letzte Wort? Denkt die Koalition nicht längst daran, auch Fahrzeuge unter dieser Grenze zu bemauten? Die Grenze von 7,5 Tonnen ist zwischen SPD, CDU und CSU fest vereinbart. Wichtiger ist mir aber die Erweiterung der LKW-Maut auf alle Bundesstraßen, die zu einer wesentlichen Erhöhung der Mauteinnahmen führt. Wenn es Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) gelingt, ab Jahresbeginn eine PKW-Maut einzuführen, die Ausländer nicht diskriminiert, Inländer nicht zusätzlich finanziell belastet und wirtschaftlich erhoben werden kann, macht doch eine Mautlücke zwischen 3,5 und 7,5 Tonnen keinen Sinn? Allein auf Drängen des Koalitionspartners CSU ist die PKW-Maut in den Koalitionsvertrag aufgenommen worden. Verkehrsminister Dobrindt hat nun ein Konzept vorgelegt, das deutlich über die Koalitionsvereinbarungen hinausgeht, nämlich eine Infrastrukturabgabe, die auf allen deutschen Straßen gelten soll. Jetzt muss nicht nur geprüft werden, ob sie mit dem Europarecht vereinbar ist, sondern auch, welche Auswirkungen die Maut auf Handel und Tourismus in den Grenzregionen hat. Wenn die Maut so kommt, hätten Sie Recht. Eine mautfreie Zone zwischen 3,5 und 7,5 Tonnen wäre schwer zu vermitteln. Die Fernbusse sind zunächst nicht bemautet worden, gewissermaßen als Anschubfinanzierung nach Eintritt in den neuen Markt. Angesichts der Etablierung als Verkehrsmittel müssen wir nach Vorlage des Zwischenberichts 2015, spätestens aber nach der verabredeten Evaluierung 2017, über eine Omnibusmaut nachdenken. Bleiben wir beim lieben Geld. Die Bund-Länder-Kommission "Nachhaltige Verkehrsinfrastrukturfinanzierung" hat im vergangenen Herbst parteiübergreifend einstimmig festgestellt, dass die Finanzmittel um rund 7,2 Milliarden Euro jährlich aufgestockt werden müssten. Gerade mal 1,25 Milliarden Euro will die große Koalition pro Jahr zur Verfügung stellen. Ist das nicht frustrierend für die verkehrspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion? Überhaupt nicht. Die Kommission hat ausgerechnet, dass drei Milliarden Euro bei den Landkreisen fehlen, eine Milliarde bei den Landesstraßen und drei Milliarden Euro beim Bund. Diese fehlenden drei Milliarden Euro hat der Bund immerhin fast zur Hälfte ausgeglichen, die Mauterweiterung wird das noch fehlende Geld bringen. Entscheidend ist aber auch, dass der Bereich Verkehr jetzt gleichberechtigt neben den Themen Soziales und Bildung steht. Ich bin froh über diese Entwicklung. Es wird anerkannt, dass der Wohlstand in Deutschland ohne eine gute Infrastruktur nicht zu halten ist. Jetzt kommt es darauf an, dass die vorhandenen Mittel effektiver eingesetzt werden. Das kommt mir irgendwie bekannt vor. Ex-Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) hat davon gesprochen, seine Vorgänger auch. Eigentlich doch eine Selbstverständlichkeit. Minister Ramsauer hat den Fokus auf Erhalt vor Neubau gelegt. Das war richtig, auch wenn es Schlupflöcher gab. Die große Koalition hat sich auf den Grundsatz der Überjährigkeit geeinigt und damit eine Forderung des Gewerbes und der Branchenverbände aufgegriffen. Das bedeutet, nicht verbrauchte Mittel für Verkehrswege können über das Jahr hinaus investiert werden. Die Überjährigkeit der Mittelverwendung wird allgemein begrüßt, doch bedeutet diese noch nicht, dass die knappen Mittel effektiver eingesetzt werden ... Richtig, doch wird der Bund künftig den Fokus der Bautätigkeit auf Entlastung von Knoten richten, die einen größeren verkehrlichen Nutzen bringen. Nehmen Sie den Bau der Autobahn A 14 von Magdeburg nach Schwerin mit Auswirkung auch auf die Verkehre in meinem Heimatland Niedersachsen. Dieses wichtige Projekt kann ohne ausreichend hohe Mittel in den Ländern Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern auf Jahre hinaus nicht verwirklicht werden. Hier sollten wir von starren Länderquoten abweichen - im Sinne des effektiven Mitteleinsatzes. Um Effektivität geht es auch beim privat finanzierten Autobahnbau. SPD und Union sind sich uneins, ob Öffentlich Private Partnerschaften (ÖPP) wirklich kostengünstiger sind als haushaltsfinanzierter Straßenbau. Das aktuelle Problem besteht darin, dass das Bundesverkehrsministerium sich bei der Evaluierung der Projekte auf ein anderes Berechnungsverfahren stützt als der Bundesrechnungshof, der unsere Kritik an der Effektivität von ÖPP stützt. Ich bin der Ansicht, dass ÖPP in den meisten Fällen nicht kostengünstiger sind. Für künftige Projekte brauchen wir unabhängige Gutachten und gemeinsame Kriterien, auf die sich die Verkehrspolitiker der Koalition mit dem Verkehrsministerium einigen werden. Zum Verkehrsträger Schiene. Die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV) mit der Deutschen Bahn muss verlängert werden. Konzernchef Rüdiger Grube fordert eine deutliche Erhöhung des jährlichen Bundeszuschusses über die bisherigen 2,5 Milliarden Euro hinaus. Die Bahnlobby spricht bereits von 3,5 Milliarden Euro. Die Verhandlungen werden derzeit geführt. Die Erwartungen der DB können nicht zu 100 Prozent erfüllt werden, aber wir sehen den gestiegenen Bedarf beim Erhalt der Schienenwege. Im Interesse aller werden wir jedoch über Qualitätskennziffern den sinnvollen Einsatz von Steuergeldern überprüfen. Das scheinen komplizierte Verhandlungen zu sein. Da fügt es sich, dass sie jetzt in den DB-Aufsichtsrat eingezogen sind und Grube damit auf gute Kontakte zum Koalitionspartner SPD setzen kann. Nach meinem Eindruck hatte Herr Grube schon immer gute Kontakte zur Politik. Ich werde meinen Beitrag im Sinne des Unternehmens und der Kunden leisten. Ex-Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) wechselt Anfang nächsten Jahres als Cheflobbyist zur DB. Er soll als Generalbevollmächtigter für politische und internationale Beziehungen zuständig sein. Sollte für Politiker eine Karenzzeit gelten, wenn sie in die Wirtschaft wechseln? Eindeutig Ja. Eine rückwirkende Regelung ist allerdings nicht möglich. Eine Karenzzeit sollte länger als 12 Monate betragen. Im Koalitionsvertrag ist von einer "angemessenen Regelung" die Rede, die für ausscheidende Kabinettsmitglieder angestrebt wird. Sie gehören dem Bundestag seit 2009 an und befassen sich seitdem mit der Verkehrspolitik, seit Beginn der Legislaturperiode als Sprecherin der Fraktion. Da kennt man sich unter den Fachpolitikern ... SPD und Union sind sich inhaltlich einig, dass das Verkehrssystem gestärkt werden muss. Wir diskutieren sachlich und nüchtern über unsere teilweise abweichenden Vorstellungen zu dem einen oder anderen Problem. Richtschnur ist dabei immer der Koalitionsvertrag. Das Vertrauensverhältnis, insbesondere zu meinem Pendant, dem verkehrspolitischen Sprecher der Union, Ulrich Lange, ist sehr gut. Vita Kirsten Lühmann (SPD) Kirsten Lühmann wurde 1964 in Oldenburg geboren und lebt heute mit ihrer Familie in Celle (Niedersachsen). Nach dem Abitur trat sie 1983 im Rahmen eines Versuchs des Landes Niedersachsen als eine der ersten Schutzpolizistinnen in den Polizeidienst ein. Zum Aufstieg in den gehobenen Polizeidienst absolvierte sie ein FH-Studium zur Diplom-Verwaltungsfachwirtin.Seit 2005 ist sie stellvertretende Vorsitzende des SPD-Unterbezirks Celle. Bei der Bundestagswahl 2009 kandidierte sie für die SPD im Wahlkreis Celle-Uelzen und schaffte den Einzug in den Deutschen Bundestag über die Landesliste. Bereits in der letzten Legislaturperiode gehörte Lühmann dem Verkehrsausschuss im Bundestag an - damals noch als stellvertretende Sprecherin ihrer Partei. Seit Januar 2014 ist sie verkehrspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion. jök

Elektromobilität: Hamburg will Ladepunkte auf 10.000 erhöhen

Bürokratieentlastung: Bundesrat stimmt neuer Verordnung zu

Automobilzulieferer: Bosch will weitere Stellen streichen

A7 wird zeitweise gesperrt

Schwerpunktkontrollen: Viele Verstöße von Lkw und Bussen

Alle Schlagzeilen

"Wir erwarten jetzt Entscheidungen"

HASHTAG

#Personalie

Kirsten Lühmann sieht Einsatz des Lang-LKW differenziert

Michael Cramer will höhere LKW-Maut

Gerichtsverfahren zur Elbvertiefung beginnt am Dienstag

MEISTGELESEN

Emons Spedition siedelt sich am c-Port an

Bund und Länder fördern Brennstoffzellen-Lkw von Daimler Truck

Fiege baut Logistikzentrum bei Leipzig

STELLENANGEBOTE

Schichtleiter (w/m/d) Logistik - Warenausgang

Koordinator (m/w/d) Intralogistik mit Teamleitungsfunktion

Area HR Business Partner

Head of Logistics (w/m/d) mit fundierter Erfahrung im internationalen Versand

Leiter (w/m/d) Logistik Teilbereich Warenausgang

WEITERLESEN

NEWSLETTER