Der neue Vorsitzende des Verkehrsausschusses im EU-Parlament ist Fahrrad- und Bahnfan: Zittert nun die Auto- und LKW-Lobby in Brüssel?
Michael Cramer: Wir müssen die Mobilität verändern, um den Klimawandel zu stoppen. Der Verkehr ist heute für 24 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich und im Gegensatz zu anderen Bereichen sind die CO2-Emissionsn seit 1990 sogar gestiegen. Zum Vergleich: In der Industrie haben wir eine Senkung um 32 Prozent, in den Haushalten um 24 Prozent, im Energiesektor um 16 Prozent. Im selben Zeitraum sind die CO2-Emissionen im Verkehr aber um 28 Prozent gestiegen! Der Verkehr frisst also die Erfolge auf, die in anderen Sektoren mit Milliarden unserer Steuergelder erreicht wurden. Ich bin überzeugt davon, dass wir die Mobilität sichern und das Klima schützen können.
Welchen Einfluss hat ein Grüner Ausschussvorsitzender auf die EU-Verkehrspolitik?
Zweifelsohne steht der Vorsitzende noch etwas mehr im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit. Bei Trilogen, also direkten Verhandlungen zwischen Parlament, Rat und Kommission, ist der Verkehrsausschussvorsitzende ein wichtiger Gesprächspartner. Zwar muss der dann dort - wie übrigens auch die Berichterstatter - die Mehrheits-Position des Ausschusses vertreten. Wenn es aber um die Kompromissfindung geht, hat das Wort des Vorsitzenden schon ein enormes Gewicht und er kann Verhandlungsspielräume nutzen.
Bei welchen Themen wollen Sie vor allem ansetzen?
Wir wollen, dass Europa zusammenwächst. Wenn Sie sich das Eisenbahnnetz anschauen, ist Europa heute immer noch ein Flickteppich mit Lücken exakt an den Staatsgrenzen. Seit 20 Jahren haben wir Milliarden investiert aber viele Lücken, die durch Krieg und Nachkriegszeit entstanden sind, noch immer nicht geschlossen, weil das Geld vor allem in Großprojekte fließt. Prioritäten haben milliardenschwere Tunnel in den Alpen, die vielleicht in 20 Jahren zur Hälfte fertig sind z.B. Lyon-Turin oder der Brenner-Basistunnel. Künftig müssen die kleineren Projekte die Priorität bekommen. Zum Beispiel die in den letzten Kriegstagen zerstörte Rheinbrücke zwischen Freiburg und Colmar. Oder: Für jeweils 100 Mio. Euro könnte die fünfstündige Fahrzeit von Berlin nach Breslau oder die vierstündige von Berlin nach Swineousjie halbiert werden. Für die Überwindung der 660 Meter lange Schienenlücke zwischen dem deutschen Sebnitz und dem polnischen Dolní Poustevna haben wir 25 Jahre gebraucht. Das muss Europa schneller und besser machen!
Sie hatten den Klimaschutz angesprochen. Was wollen Sie in dieser Legislaturperiode erreichen?
Wir haben als Ausschuss mit großer Mehrheit beschlossen, dass wir - anders als die Kommission - nicht nur Ziele bis 2030 (30 %) und 2050 (60 %) vorgeben, sondern bis 2020 eine Reduktion im Verkehrssektor um 20 Prozent auf Basis der Werte von 1990 festschreiben wollen. Das entspricht dem gesamten Ziel der EU, das Angela Merkel als Klimakanzlerin durchgesetzt hat. Dieses Ziel haben wir auf den Verkehrssektor übertragen, denn man kann später nicht den zweiten und dritten Schritt machen, wenn der erste nicht gegangen wurde.
Ein weiteres zentrales Thema ist der unfaire Wettbewerb der Verkehrsträger. Jede Lokomotive zahlt auf jedem Streckenkilometer eine „Maut“. Die muss bezahlt werden und sie ist in der Höhe unbegrenzt. Auf der Straße ist die Maut dagegen eine freiwillige Angelegenheit der Mitgliedstaaten. In Deutschland gilt sie nur für LKW ab 12 Tonnen auf Autobahnen und wenigen Bundesstraßen. Auch der Flugverkehr steht in einem unfairen Wettbewerb zur Bahn. Die europäischen Airlines bekommen von den Steuerzahlern jedes Jahr 30 Milliarden Euro weil sie im Gegensatz zur Bahn keine Mehrwertsteuer auf Auslandsflüge zahlen und keine Kerosinsteuer. Deshalb brauchen wir die Diskussion um fairen Wettbewerb – vor allem durch die Internalisierung externer Kosten, sonst haben die umweltfreundlichen Verkehrsträger keine Zukunft.
Zählen Sie da den Lang-LKW dazu?
Der Gigaliner oder Monstertruck wird uns noch länger beschäftigen und er ist ökologisch nicht sinnvoll, auch wenn mancher einen Öko-Laster daraus machen will. Grenzüberschreitende Verkehre der Gigaliner hat das Europäische Parlament mit breiter Mehrheit abgelehnt, weil wir zunächst eine Folgeabschätzung für deren Einsatz benötigen. Es gibt Untersuchungen, dass 50 Prozent des Eisenbahngüterverkehrs auf die Straße verlagert wird. Das kann niemand wollen.
Noch ein Wort zur LKW-Maut in Deutschland: Wurden mit den neuen Mautsätzen die Akzente richtig gesetzt?
Die Vorschläge sind völlig verrückt! Die Mautsätze für LKW werden aufgrund der Entwicklungen an den Kapitalmärkten gesenkt, obwohl wir nicht genug Geld bekommen, um die Infrastruktur zu erhalten. Und das schreibt die EU-Richtlinie zur Eurovignette, anders als oftmals behauptet, nicht verpflichtend vor. Die Bundesregierung entscheidet darüber, ob veränderte Zinsbedingungen weitergegeben werden. Und das Konzept ist einfach nicht durchdacht. Die zugrundeliegenden Zahlen sind aus meiner Sicht künstlich bewertet. Wir haben eine Untersuchung in Auftrag gegeben und die zeigt, dass jedes Auto in Deutschland mit 2100 Euro vom Steuerzahler bezuschusst wird, weil keine Folgekosten mitberechnet werden. Der LKW schädigt die Straße 60.000 Mal stärker als ein PKW – die LKW-Maut ist daher im Vergleich immer noch sehr niedrig. In der Schweiz ist die LKW-Maut dreimal so hoch wie in Deutschland. Sie gilt für alle LKW ab 3,5 Tonnen und auf allen Straßen. Weil es so teuer ist haben sich auch Wettbewerber zusammengetan und kooperieren beim Transport – die Effizienz wurde also verbessert und die Schweizer Volkswirtschaft ist nach wie vor eine der weltweit erfolgreichsten. Dort fährt kein LKW halbleer herum, um zehn Kisten Rotwein zu transportieren. Die Kosten für Verbraucher haben sich durch die leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe um gerade einmal 0,5 Prozent erhöht. Billiger kriegen Sie Umweltschutz nicht hin.
Haben Alexander Dobrindts Pläne für eine PKW-Maut in Deutschland Aussicht auf Durchsetzbarkeit in der EU?
Die Kommission sagt: solange wir das gesamte Konzept nicht kennen, legen wir uns nicht fest. EU-Verkehrskommissar Siim Kallas hat zuletzt in einem Zeitungsartikel noch einmal ganz klar gesagt: „Eine PKW-Maut darf nicht einfach mit der KFZ Steuer verrechnet werden.“ Schon der Begriff „Maut für Ausländer“ ist europafeindlich. Das ist Wasser auf die Mühlen der Rechtsradikalen und Euroskeptiker. Eines ist klar: Wenn die Maut in Deutschland kommt, werden die anderen Länder nachziehen, beispielsweise die Beneluxländer. Und das geht dann auch wieder zulasten der deutschen Autofahrer. Außerdem sind wir der Meinung, dass eine Vignette asozial und unökologisch ist. Wer viel fährt soll auch mehr zahlen.
Also kein grünes Licht aus Brüssel?
Nein das geht gar nicht. Wir sollten nicht die Passkontrollen, die wir überwunden haben, durch Mautkontrollen ersetzen.
Das Interview führte Dietmar Winkler