Wenn der Dieselmotor verstummt ...

Normalerweise würde diese Situation Panik hervorrufen: Ohne Vorwarnung geht bei Reisetempo 85 im Schubbetrieb plötzlich der Motor aus. Aber anstatt sofort den Warnblinker zu setzen und Unheil vorausahnend auf der Standspur auszurollen, freut man sich in diesem Truck förmlich darüber. Bedeutet es doch, dass gerade Diesel gespart wird. Des Rätsels Lösung: Wir sitzen im Scania G 320 Hybrid und in der aktuellen Rollphase wird die kinetische Energie genutzt, um die links am Fahrzeugrahmen untergebrachte, 225 Kilo schwere Lithium-Ionen-Batterie wieder mit Strom zu füllen, was man im Zentraldisplay am Füllbalken für die Hybrid-Batterien beobachten kann, wenn er sich langsam nach rechts in Richtung der 100-Prozent-Marke schiebt. Auch die Servolenkung wird über den Akku mit Strom versorgt, sodass die Lenkkräfte im gewohnten Rahmen bleiben. Und weil auf ein Gefälle meist eine Steigung folgt, wird der frisch gewonnene Strom gleich wieder eingesetzt. Zuerst springt der "Verbrenner" in Form des bekannten neun Liter großen DC09-Fünfzylinders mit 320 PS wieder an. Das Starten übernimmt übrigens der Elektromotor - der nur für den Kaltstart benötigte Anlasser würde die ständigen Startvorgänge nicht lange mitmachen. In der Steigung wandert der Balken im Zentraldisplay dann wieder langsam nach links, denn der 130 Kilowatt starke Elektromotor unterstützt den Fünfzylinder hier mit seinen 1050 Newtonmetern Drehmoment. Das spart ein paar Zehntel Diesel und sorgt auf der anderen Seite dafür, dass dem Hybrid-Scania der Begriff Geschwindigkeitsverlust am Berg fremd zu sein scheint. Der Hybrid spart vor allem in der Stadt Sein ganzes Sparpotenzial offenbart der Hybrid aber im Stadtverkehr. Durch das unzählige Anfahren und Abbremsen will Scania hier bis zu 18 Prozent Sprit gegenüber einem vergleichbaren Diesel-Lkw einsparen können. Also runter von der Autobahn. Nur eine der Situationen, die vom Fahrer Mitdenken erfordert, damit das Hybrid-System seine ganze Leistungsfähigkeit entfalten kann: Denn beim Ausrollen sollte der Ladeschalter im Armaturenbrett aktiviert werden. Dann lädt der Generator die Batterie mit höherer Leistung und verzögert die Fuhre nebenbei in gewünschtem Maße, wodurch man sich den Tritt auf den antiquiert wirkenden Motorbremsknopf im Fußraum für die Scania-typisch nicht eben kräftige Auspuffklappe meist sparen kann, und zusätzlich den Ladestand der Batterien erhöht. Und die werden in der Stadt umso öfter benötigt. Kommt der G 320 Hybrid zum Stehen, schaltet sich der Fünfzylinder umgehend ab. Angefahren wird immer rein elektrisch, was auch den Kupplungsverschleiß reduziert. Dafür ist wieder die Mitarbeit des Fahrers gefordert, denn je gefühlvoller er aufs Gaspedal tritt, desto länger lässt sich das Zuschalten des Verbrennungsmotors hinauszögern, was dann schon mal eine Gedenksekunde lang dauern kann. Nach wenigen Metern startet der Diesel Nicht ganz erschlossen hat sich uns, warum das System nicht länger im E-Modus verweilt und den Diesel bereits wieder zuschaltet, obwohl die Batterie noch über 80 Prozent Kapazität verfügt. Scania begründet dies damit, dass die Batterie nur im Schubbetrieb geladen wird, man aber für jeden Anfahrvorgang genügend Strom bereitstellen will. Wie auch immer, während unserer urbanen Testfahrten fiel der Ladezustand der Akkus nie unter 65 Prozent, weshalb entsprechend Luft - oder besser Strom - für einen längeren E-Betrieb bliebe ... Immerhin ist die Batterie so schneller wieder vollgeladen, um per Tastendruck auf den rein elektrischen Betrieb umzuschalten, was in Zukunft wichtig werden könnte, wenn die Lärmgrenzen für Wohngebiete strenger würden. Die kann der Hybrid im E-Modus fast lautlos durchrollen. Allerdings nur bis zu 45 km/h schnell, andernfalls schaltet sich der Diesel wieder zu. Die Übersetzung besorgt die Zwölfgang-Opticruise, die auch im E-Modus die Fahrstufen souverän wechselt. Allzu lang sollte die Strecke allerdings nicht sein. Zwar verspricht Scania im E-Betrieb bis zu drei Kilometer Reichweite, im VR-Test war der Akku aber bereits nach 1,3 Kilometern am Ende, auch wenn Heizung und Klimaanlage während des elektrischen Fahrens automatisch deaktiviert werden. Dann muss per Dieseleinsatz erst wieder geladen werden, was auch während der Fahrt geschehen kann und im Test exakt sechs Minuten benötigte. Grund für den schnellen Energieverbrauch: Die eigentlich auf 5 kW/h ausgelegten Batterien beschneidet Scania für eine längere Lebensdauer auf 1,2 kW/h. Bis zu sieben Jahre soll der Akku so mitmachen, bevor ein gewiss teurer Austausch fällig wird. Der Hybrid kostet gewaltig Aufpreis Aber beim Kapitel Kosten fordert der Hybrid von seinem Betreiber sowieso Leidensfähigkeit: Zu den knapp 80.000 Euro fürs Chassis kommen noch mal satte 50.000 Euro für die Hybridtechnik. Leichter zu verschmerzen ist zumindest beim 26-Tonner (alternativ ist der Hybrid auch als 18-t-Zweiachser lieferbar) das Zusatzgewicht. Das gesamte Hybridmodul schlägt mit 750 Kilo zu Buche. Zudem erwägt der Gesetzgeber, das zulässige Gesamtgewicht von Elektro- oder Hybrid-Lkw um das durch die Technik entstehende Zusatzgewicht zu erhöhen. Und die Verbrauchsersparnis? Der auf 16,34 Tonnen ausgeladene Testwagen überwand die anspruchsvolle, gemischte VR-Verteiler-Testrunde mit 21,1 l/100 km, womit der Hybrid durchaus sparsam unterwegs war. Und im reinen Stadtverkehr dürfte der Verbrauchsvorteil sicher noch höher ausfallen. Doch selbst wenn man die von Scania propagierten 18 Prozent zugrunde legt, würde es bei einer angenommenen Ersparnis von 4 l/100 km und einem Netto-Dieselpreis von 92 Cent pro Liter über 1,3 Millionen Kilometer dauern, bis sich die 50.000 Euro Mehrpreis amortisieren würden. Im Verteilerverkehr illusorisch, erst recht ohne Batteriewechsel. Für die Anschaffung eines G 320 Hybrid bedarf es also anderer Argumente als reine Zahlen. Und die könnten durch drohende Fahrverbote für normale Diesel-Lkw in Städten schon bald nahen. Dann würde das Abschalten des Dieselmotors während der Fahrt sicher schnell bei mehr Lkw zum Normalfall werden. Alle Tests und Fahrberichte für Abonnenten www.verkehrsrundschau.de/testdatenbank Fazit Die Hybrid-Zeit wird kommen Noch rechnet sich die Anschaffung eines Hybrid-Lkw nicht. Trotzdem könnte Scanias Mut, bei den schweren Verteilern ein solches Antriebskonzept anzubieten, in Zukunft belohnt werden. Der Fahrer wird übrigens schnell zum Hybrid-Fan werden. Nach kurzer Eingewöhnung freut man sich jedes Mal, wenn der Dieselmotor verstummt und der leise E-Motor das Kommando übernimmt. Auch auf der Autobahn.Kontakt: jan.burgdorf@springer.comTest-Redakteur Jan Burgdorf

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