Was gehört nun in die 8,50 Euro und was nicht?

Die neue gesetzliche Lohnuntergrenze beschäftigt die Transport- und Logistikbranche derzeit wie kaum ein anderes Thema. Vor allem die Frage, welche Vergütungsbestandteile man bei den 8,50 Euro brutto je Zeitstunde anrechnen darf, bereitet vielen Unternehmern im Güterverkehr Kopfzerbrechen. Gehören etwa Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie Prämien zum Mindestlohn? Was gilt für Sachleistungen wie Waren- oder Tankgutscheine, was ist mit Spesen? Und: Welche Vergütung muss für Bereitschaftszeiten angesetzt werden? Fest steht, dass der seit 2015 geltende Mindestlohn das Budget einiger Branchenvertreter belastet. Doch nicht nur für diese lohnt es sich, die bisherige Vergütungspraxis zu überarbeiten. Um Mehrkosten zu begrenzen, sollte man nicht anrechenbare oder den Mindestlohn übersteigende Leistungen auf den Prüfstand stellen. Rechtlich ist es nicht ganz einfach, sich von Zulagen oder Zuschlägen zu lösen. Hinzu kommt, dass bei einigen Posten der Verdienstabrechnung noch immer unklar ist, ob sie als Bestandteile des gesetzlichen Mindestlohns anerkannt werden. Zweck der Zahlung ist entscheidend Generell gilt, dass ein Arbeitgeber nur solche Zahlungen bei der Kalkulation des Mindestlohns von 8,50 Euro berücksichtigen darf, die eine Gegenleistung für die vertraglich vereinbarte "Normalleistung" des Arbeitnehmers darstellen. Man spricht hier von einer funktionellen Gleichwertigkeit. Anders verhält es sich, wenn das finanzielle Extra nicht den Gegenwert zur Arbeitsleistung abbilden, sondern etwa einen zeitlichen und qualitativen Mehraufwand oder erschwerte Anforderungen gesondert vergüten soll. Doch schon bei geläufigen Sonderzahlungen wie dem Weihnachts- und Urlaubsgeld fangen die Probleme an: Laut dem Zoll, der im Auftrag der Finanzverwaltung die Einhaltung des Mindestlohns überwacht, sind Weihnachts- und Urlaubsgeld nur unter der Voraussetzung anrechnungsfähig, dass beides dem Arbeitnehmer tatsächlich und unwiderruflich ausbezahlt wird. "Wer also als Arbeitgeber die Weihnachts- oder Urlaubsgeldzahlung mit einem Freiwilligkeits- oder Widerrufsvorbehalt versieht, kann sie grundsätzlich nicht anrechnen", erklärt Benjamin Sokolovic, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands Verkehrsgewerbe Niedersachsen (GVN) und Rechtsanwalt für Arbeitsrecht. Zudem darf der Arbeitgeber solche typischen Einmalzahlungen bei der Berechnung des Mindestlohns ausschließlich für den Fälligkeitszeitraum berücksichtigen, in dem diese - gegebenenfalls auch anteilig - gezahlt werden. Eine einmalige jährliche Zahlung von Weihnachtsgeld im Dezember eines Jahres kann aus Sicht der Finanzverwaltung also nur auf den Mindestlohn im November angerechnet werden, da die Fälligkeiten der Mindestlohnzahlungen von Januar bis Oktober bereits abgelaufen sind. Juristen zweifeln an Rechenmethode Allerdings streiten Arbeitsrechtler darüber, ob es so tatsächlich funktioniert. Das liegt zum einen daran, dass der Arbeitgeber mit dem Weihnachtsgeld verschiedene Zwecke verfolgen kann: Nämlich Betriebstreue (Weihnachtsgeld) honorieren, geleistete Dienste belohnen (13. Gehalt) oder von allem ein bisschen. Wie bereits erläutert, sollen Zulagen und Zuschläge nach dem Willen des Gesetzgebers aber nur anrechenbar sein, wenn sie allein von der Erbringung der Normalarbeitsleistung abhängen. "Das würde bedeuten, dass man das Weihnachtsgeld anrechnen darf, ein 13. Gehalt aber nicht", sagt Elisabeth Schwartländer-Brand, Rechtsanwältin beim Verband Spedition und Logistik Baden-Württemberg (VSL). Sie betont, ein Arbeitsgericht könne auch anders entscheiden, wenn es zu einer Klage komme. Dennoch empfehle es sich aktuell, Sonderzahlungen lieber nicht an die Arbeitsleistung zu knüpfen. Das Arbeitsgericht Berlin hat am 4. März 2015 diesbezüglich ein erstes Urteil gefällt, das den bisherigen Berechnungshinweisen des Bundes zu widersprechen scheint (Aktenzeichen: 54 Ca 14420/14). Das Gericht entschied, dass der Arbeitgeber ein zusätzliches Urlaubsgeld und eine jährliche Sonderzahlung nicht auf den gesetzlichen Mindestlohn anrechnen dürfe. Eine Änderungskündigung, mit der eine derartige Anrechnung erreicht werden solle, sei unwirksam. Noch hat das Gericht die Urteilsgründe nicht schriftlich niedergelegt. Sollten die Richter damit die Auffassung vertreten, dass Weihnachts- und Urlaubsgeld generell nicht angerechnet werden können, würde dies die bisherige Handhabung infrage stellen. Kein Kommentar vom Ministerium Das dem Zoll übergeordnete Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) wollte das Urteil im Einzelnen nicht kommentieren. Zum einen seien der konkrete Fall und die Urteilsgründe (noch) nicht bekannt, zum anderen handele es sich um ein erstinstanzliches Urteil noch ohne Modellcharakter, sagte eine Sprecherin des BMAS. Auf eine Diskussion über Widersprüche zwischen den Vorgaben des Gesetzgebers und der Rechtsprechung, aus denen sich für die Wirtschaft derzeit viele Unsicherheiten ergeben, wollte sie sich nicht einlassen. Trotzdem bleibt die Frage: Welcher Argumentation sollen Transport- und Logistikunternehmer in der Praxis folgen? "Wenn der Arbeitgeber im Einklang mit den aktuellen Empfehlungen des Zolls und des BMAS handelt, muss er zumindest von dieser Seite nichts befürchten", sagt Alexander Bredereck, Fachanwalt für Arbeitsrecht in Berlin. Das bestätigt auch Schwartländer-Brand: "Entscheidend ist für uns, wie der Zoll prüft." Bredereck betont aber: "Es kann aber immer passieren, dass einzelne Arbeitnehmer klagen." Der Gesetzgeber habe viele Punkte beim Mindestlohn nicht explizit geregelt, was den Arbeitsgerichten nun Raum zur Auslegung lasse, so der Anwalt. Das könne letztlich nur eine klarstellende Regelung im Gesetz oder eine Durchführungsverordnung ändern. Wegen der mitunter ungenauen Formulierung des Mindestlohngesetzes besteht derzeit auch eine gewisse Rechtsunsicherheit in Bezug auf Boni. "Bei Bonuszahlungen ist nach der Zielrichtung zu differenzieren", erklärt GVN-Hauptgeschäftsführer Sokolovic. "Sofern Bonuszahlungen überdurchschnittliche qualitative Arbeitsergebnisse oder vertraglich nicht geschuldete Zusatzleistungen ausgleichen sollen, sind diese nicht anrechenbar." Würden Boni dagegen leistungsunabhängig gezahlt, komme eine Anrechnung grundsätzlich in Betracht. Nach Einschätzung von Schwartländer-Brand vom VSL dürfte demnach etwa eine reine Anwesenheitsprämie anrechenbar sein, eine Anhängerzulage hingegen aber ebenso wenig wie eine Qualitätsprämie für spritsparendes oder unfallfreies Fahren. Eindeutiger ist die Rechtslage bei vermögenswirksamen Leistungen sowie Nacht-, Sonn-, Feiertags-, Überstunden- und Schmutzzulagen. "Da sie nicht die Normalleistung abgelten, sondern einen ganz anderen Zweck verfolgen und anderen Bindungen unterfallen, sind diese Vergütungsbestandteile nicht anrechenbar", sagt Sokolovic. Aufwendungserstattungen wie Spesen können ebenfalls nicht auf den gesetzlichen Mindestlohn angerechnet werden. Verträge an den Mindestlohn anpassen Transport- und Logistikbetriebe, die noch nicht reagiert haben, sollten in der jetzigen Situation ihre Vergütungsstruktur schnell umstellen und so viele Entgeltbestandteile wie möglich in Fixvergütung umwandeln. Doch wie funktioniert das? "Auf der sicheren Seite ist der Arbeitgeber, der es schafft, seine Mitarbeiter eine entsprechende Vertragsänderung unterzeichnen zu lassen", sagt Anwalt Bredereck. Das geht aber nur im gegenseitigen Einvernehmen. Er empfiehlt daher, ruhig etwas Geld draufzulegen. Auf den ersten Blick ein teurer Rat. Aber: "Der Arbeitgeber erspart sich damit, Versuchskaninchen für eine diffuse Gesetzgebung zu sein", erklärt der Experte. Darüber hinaus können Arbeitgeber prüfen, ob sie Zulagen und Zuschläge einseitig streichen können. Das ist allerdings nicht so einfach. "In vielen Fällen haben Mitarbeiter einen Rechtsanspruch auf Urlaubs- oder Weihnachtsgeld, Boni und Spesen, etwa aus dem Arbeitsvertrag, einer Betriebsvereinbarung, aus einem auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifvertrag oder einer sogenannten betrieblichen Übung", warnt Doris-Maria Schuster, Fachanwältin für Arbeitsrecht in der Kanzlei Gleiss Lutz (siehe Interview-Kasten). Verwirrung bei den Bereitschaftszeiten Heiß diskutiert wird im Transport- und Logistikgewerbe momentan auch die Vergütung von Bereitschaftszeiten. Das BMAS hat auf Nachfrage Mitte März noch einmal bekräftigt, dass Bereitschaftszeiten grundsätzlich mit 8,50 Euro brutto je Zeitstunde vergütet werden müssen, soweit sie nach der Rechtsprechung als vergütungspflichtige Arbeitszeit anzusehen sind. Auf den ersten Blick ein Widerspruch zu Paragraf 21a des Arbeitszeitgesetzes, der besagt, dass Zeiten, die der Arbeitnehmer beispielsweise als Beifahrer verbringt oder auf die Be- und Entladung wartet, keine Arbeitszeiten sind? Nicht unbedingt, meint VSL-Rechtsanwältin Schwartländer-Brand. "Die Rechtsprechung hat aber bereits früher klargestellt, dass Paragraf 21a Arbeitszeitgesetz zwar etwas über die Arbeitszeit aussagt, nicht aber über die Vergütungspflicht." Mit wie viel Euro die Bereitschaftszeit entlohnt werden muss, ist noch nicht abschließend geklärt. Umstritten ist etwa, ob es genügt, wenn ein Frachtführer seinem Fahrer im Monatsdurchschnitt über 8,50 Euro zahlt, für Beifahrerzeiten aber weniger als den Mindestlohn. Auf der sicheren Seite ist vorerst derjenige, der jede Stunde Bereitschaftszeit fix mit mindestens 8,50 Euro vergütet und damit dem BMAS folgt. Da im MiLoG nichts über Bereitschaftszeiten steht und es auch keine Durchführungsverordnung gibt, herrscht in diesem Punkt dennoch Rechtsunsicherheit. Sie wird, wie in den anderen Fällen auch, wohl erst durch höchstrichterliche Entscheidungen beseitigt werden können. Bis diese vorliegen, kann es noch Monate oder sogar Jahre dauern. -- Waren-, Tank- und Verpflegungsgutscheine So funktioniert die Anrechnung nach dem Mindestlohngesetz Knifflig wird die Berechnung des Mindestlohns bei Sachbezugswerten des Arbeitgebers. Darunter fallen Einnahmen des Arbeitnehmers, die nicht in Geld bestehen. Zum Beispiel Waren-, Tank- oder Restaurantgutscheine, Jobtickets oder Handynutzung." Diese Leistungen können grundsätzlich angerechnet werden", sagt Benjamin Sokolovic, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes Verkehrsgewerbe Niedersachsen (GVN)."Der Wert der vereinbarten Sachbezüge oder die Anrechnung der überlassenen Waren auf das Arbeitsentgelt darf aber die Höhe des pfändbaren Teils des Arbeitsentgelts nicht übersteigen. Der Spielraum ist hier sehr gering. Bei einer durchschnittlichen monatlichen Arbeitszeit von 170 Stunden und einem Bruttostundenlohn von 8,50 Euro beträgt das monatliche Bruttoeinkommen 1445 Euro. Das ergibt für einen Alleinstehenden ohne Unterhaltsverpflichtungen ein Nettoeinkommen von 1061,21 Euro. Unter Berücksichtigung der Pfändungsfreigrenze sind 10,47 Euro pfändbar. "Der Wert der vereinbarten Sachbezüge darf also 10,47 Euro pro Monat nicht übersteigen", erklärt Sokolovic. In welcher Höhe Sachbezugswerte anrechenbar sind, hängt damit immer von einer Berechnung im Einzelfall ab. ir

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