Vorzeigeanlage geht 2017 ans Netz

Mehr Güter auf die Bahn: Das ist die Forderung aus der Bevölkerung, das ist auch das Credo nahezu jeder politischen Partei. Mehr Güter auf die Bahn: Das ist jedoch mehr als nur ein frommer Wunsch. Denn die Prognosen sind eindeutig und sagen zumindest dem Kombinierten Verkehr (KV) ein Wachstum voraus. So soll sich laut einer Studie aus dem Jahr 2014, die das Bundesverkehrsministerium in Auftrag gegeben hat, die Verkehrsleistung im KV auf der Schiene zwischen 2010 und 2030 um 74,1 Prozent erhöhen. Das entspricht einem jährlichen Plus von 2,8 Prozent. Eine beachtliche Zahl, vor allem, wenn man Aussagen aus dem Markt glauben darf, wonach es schon jetzt immer wieder mal zu Engpässen im Schienennetz und in den Umschlagterminals kommt. München und Köln sind fast voll Wolfgang Müller redet nicht lange um den heißen Brei herum. Er weiß um die Engpässe: "Das Terminal in München ist nach der 2012 fertiggestellten Erweiterung fast schon wieder voll. Auch in Köln gibt es kaum noch freie Kapazitäten", sagt der Geschäftsführer der DUSS (Deutsche Umschlaggesellschaft Straße Schiene). Die DUSS ist Herr über 24 Terminalstandorte in Deutschland. Gesellschafter sind die Deutsche Bahn (DB) Netz mit 75 Prozent, die DB Mobility Logistics und der Operateur Kombiverkehr (jeweils 12,5 Prozent). Ist also die DUSS schuld, dass Terminals wie in München an den Kapazitätsgrenzen arbeiten und es dort an den Eingangstoren somit immer wieder zu Staus kommt? Trägt die DUSS die Verantwortung dafür, wenn die Verlagerung ins Stocken gerät? Solche Schlussfolgerungen gehen Müller entschieden zu weit. "Da stoßen zwei Interessen aufeinander", so sein erster Einwand. Einerseits der Kunde, der sich über ein halbleeres Terminal freue, weil es dann keine Wartezeiten gibt. Auf der anderen Seite der Betreiber, der eine hohe Auslastung anstrebe, damit sich die Investitionen in das Terminal rentieren. Und zwar auch aus Sicht des Steuerzahlers, da der Staat den Bau einer solchen Anlage mit 70 bis 80 Prozent der Baukosten bezuschusst. Bei einer guten Auslastung könne es dann aber schon mal zu Verzögerungen kommen. Das zweite Gegenargument von Müller: Zu 100 Prozent seien die Terminals nicht gefüllt. "Es gibt durchaus noch Umschlagkapazitäten, allerdings überwiegend in der Nacht", sagt Müller. Man versuche, den Kunden die bestmöglichen Angebote zu machen, aber die DUSS könne die Kapazitäten nicht beliebig erweitern. Neues Terminal im Augsburger GVZ "Klar ist aber auch, dass wir nicht einfach warten, bis die Terminals überquellen", so der DUSS-Geschäftsführer. Sein Unternehmen geht von einem jährlichen Wachstum bis 2030 in Höhe von "zwei bis drei Prozent" aus. "Immer mehr Güter werden in Containern transportiert, selbst Schüttgüter", sagt Müller. Die Schiene profitiere von diesem Trend, weshalb die DUSS auch kräftig investiere, in München beispielsweise vier Millionen Euro in ein neues Depot, wo weitere Container zwischengelagert werden können. "Damit schaffen wir neue Stellplätze und können Container zuführen, wenn es bei den Kränen freie Kapazitäten gibt", erläutert Müller. Allerdings gesteht Müller zu, dass eine Erweiterung der Umschlagkapazitäten in München Stand heute aufgrund von Platzmangel nicht möglich ist. Auch deshalb plant die DUSS gemeinsam mit der Augsburger Localbahn und der Spedition Nuber im Augsburger GVZ (Güterverkehrszentrum) den Bau eines neuen Terminals. In Augsburg gibt es bislang nur eine kleine Anlage mit einer Kapazität von 60.000 Ladeeinheiten. Der neue KV-Bahnhof soll fast doppelt so viele Boxen umschlagen können und auch für Sendungen aus dem Münchener Westen eine Alternative werden und somit München-Riem entlasten. Erweitert wird auch die Anlage in Leipzig, wo das Terminal ein weiteres Modul mit zwei Kränen und vier 700 Meter langen Gleisen erhält. Statt bislang 110.000 bis 120.000 Einheiten steht Anfang 2017 eine Umschlagkapazität von 220.000 Einheiten zur Verfügung. 37,2 Millionen Euro investiert die DUSS. Müller ist bereits seit 1990 Geschäftsführer der DUSS. Unter seine Ägide sind alle KV-Terminals der DUSS geplant und errichtet worden. Ende 2017 geht er in Ruhestand. Doch bis dahin will er noch ein Projekt abschließen, das seiner Tätigkeit womöglich die Krone aufsetzen könnte: die Schnellumschlaganlage in Lehrte bei Hannover. Lange Jahre galt dieses Projekt als eines, das die Terminal-Landschaft revolutionieren sollte. Wahre Wunderdinge erhoffte man sich von dieser Anlage, die die Container aus den Seehäfen Hamburg und Bremerhaven wie am Fließband durch das Hinterland schleusen sollte: Schneller und größer als alle bisher dagewesenen Terminals sollte sie sein. Über 20 Jahre wurde darüber gesprochen, geplant und immer wieder der Baubeginn angekündigt und verschoben. "Die Anlage befindet sich im Bau", kann Müller verkünden. "Und ich werde nicht in den Ruhestand gehen, bevor das Terminal in Betrieb genommen wurde", verspricht er. Ein ehrgeiziger Zeitplan, denn Ende 2017 ist Schluss für den Ingenieur. Ein Grund, warum sich der Baubeginn über Jahre hingezogen hat: Das Terminal unterscheidet sich ganz wesentlich von anderen. Die Seehäfen wollen die Boxen so schnell wie möglich aus ihren Häfen befördern, weil es Platzmangel gibt. Lehrte sollte als Transformator dienen: Die Züge kommen "bunt" (also nicht geordnet nach Destinationen) nach Lehrte rein. Erst dort werden sie auf eine Entfernung ausgerichtet per Schnellumschlag neu zusammengestellt. "Wir gehen davon aus, dass in Lehrte 70 Prozent der Sendungen von einem Zug auf den anderen wechseln", so Müller. Dazu sind zwei Besonderheiten notwendig, die es so in der Terminal-Landschaft bislang noch nicht gegeben hat: Zum einen wird es sogenannte Längsförderer geben. Die haben die Aufgabe, die Ladeeinheiten von der Entladestelle zur nächsten Beladestelle (Lkw oder Zug) zu transportieren. Als Längsförderer kommen Automated Guided Vehicles (AGV) zum Einsatz, wie man sie aus den Häfen kennt. Das sind Containertransportfahrzeuge, die programmiert werden können und dann automatisch vom Aufnahmeort zum Entladeort fahren. Die Antriebsenergie erhalten die AGV aus Batterien, deren Strom CO2-frei erzeugt werden soll. "Damit werden die Kräne entlastet, die langsamer sind und auch deutlich mehr Energie benötigen würden", schildert Müller die Vorteile. Umschlag erfolgt IT-gesteuert Die zweite Besonderheit in Lehrte: Die Umsteigevorgänge sollen über ein spezielles EDV-Programm gesteuert werden. Das neue Betriebsführungssystem soll bereits auf der neuen KV-Drehscheibe Duisburg-Meiderich zum Einsatz kommen, deren Inbetriebnahme für Ende 2015 geplant ist. Insgesamt 61,3 Millionen Euro investiert DUSS in die neue Anlage des größten Binnenhafens der Welt. Das Terminal wird mit zwei Kränen starten und über eine Umschlagkapazität von jährlich 100.000 bis 150.000 Ladeeinheiten (LE) verfügen. "Wir werden in Duisburg die erste Stufe des Umsteigekonzeptes realisieren", sagt Müller, weshalb er auch von einem "kleineren Lehrte" spricht. Allerdings kommen in Duisburg noch keine AGV zum Einsatz, diese Aufgabe werden Lkw übernehmen. Müller ist überzeugt, dass die Anlage in Lehrte zum Fahrplanwechsel 2017/2018 fertiggestellt ist und damit im Dezember 2017 ihren Betrieb aufnehmen kann. "Im ersten Jahr werden wir mit einer Kapazität von 100.000 bis 120.000 Ladeeinheiten starten", sagt Müller. Die möglichen 400.000 LE will man erst dann realisieren, wenn sich das System eingespielt hat. 137 Millionen Euro steckt die DUSS in diese Vorzeigeanlage. Auch wenn das ursprüngliche Terminal etwas abgespeckt wurde, weil mal geplant war, die Paketverteilzentren der Post im KV zu verbinden und auch über Lehrte laufen zu lassen: Die Anlage ist ein interessantes Projekt. Man darf gespannt sein, ob sie auch tatsächlich so funktioniert wie geplant. Dann hätte Lehrte Vorbildcharakter. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Railcargo www.verkehrsrundschau.de/dossiers KV-Operateure und Spediteure sind in der Pflicht Eine App zur Vermeidung von Wartezeiten an den Terminals Immer wieder sind die Klagen zu hören: Transportunternehmer, die die langen Wartezeiten vor den KV-Terminals anprangern.Die Ursachen sind vielfältig. Aber Wolfgang Müller ist sich darüber im Klaren, dass auch verspätet eintreffende Züge zu Wartezeiten führen. "Wir haben häufig schon früher die Information, wenn sich Züge verspäten", sagt er, "aber wir wissen leider nicht, welche Transportunternehmen die Sendungen abholen und können diese Info nicht weiterleiten." Denn die Auftraggeber der Transportunternehmen sind die KV-Operateure oder die KV-Speditionen."Auch wir haben ein hohes Interesse daran, dass es nicht zu Staus vor unseren Anlagen kommt", sagt Müller. Deshalb entwickelt die DUSS derzeit eine App, die die Fahrer über Verspätungen informiert. Die würde man sogar kostenlos weitergeben. Doch diese Variante sieht Müller nur als Notlösung an. "Letztlich müssen die Auftraggeber der Transportunternehmen die Lkw-Fahrer informieren, weil die genau wissen, wen sie eingesetzt haben", sieht er die Operateure und die KV-Spediteure in der Pflicht. Er ist zuversichtlich, dass eine solche App kommt. Allerdings werde die das Problem auch nicht vollständig lösen können, weil auch andere Faktoren dazu führen, dass es zu Staus an den Terminals kommt. Zudem benötigt ein Fuhrunternehmen immer einen gewissen zeitlichen Vorlauf, will er noch in die Disposition eingreifen. cd Wettbewerb zum Lkw Umschlag "geschenkt" Terminals kosten Geld, und zwar nicht wenig. Terminalbetreiber versuchen daher, über den Umschlag das Geld wieder hereinzuholen. "Die Umschlagpreise kosten zwischen 21 und 22 Euro. Das ist im Prinzip geschenkt", sagt Müller und zieht einen Vergleich zu den Parkkosten bei Flughäfen: "Da müssen Sie für das Abstellen eines Pkw pro Tag bis zu 28 Euro zahlen." Im Terminal hingegen würden Boxen häufig zwei Mal umgeschlagen und könnten für einen Tag kostenfrei abgestellt werden. "Die Kisten sind jedoch 13,60 Meter lang, ein Pkw nur fünf Meter", sagt Müller.Müssen die Kunden also mit einer Preiserhöhung rechnen? "Eher nicht", sagt er, "das verträgt der Markt nicht." Denn es gäbe ein klassisches Regulativ, den Lkw. Der Umschlag sei Teil der Transportkette im KV. Damit stünden auch die Terminals im Wettbewerb zur Straße. Aber es gibt ja zahlreiche Umschläge in den Terminals, sodass doch eine so große Summe zusammenkommt, die nicht nur die Investitions- und Betriebskosten deckt. Denn laut Müller schreibt die DUSS schwarze Zahlen. cd

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