Berlin. Das Deutsche Verkehrsforum (DVF) sieht in der EU-Ratspräsidentschaft, die Deutschland zum 1. Mai 2020 für ein halbes Jahr übernimmt, eine große Chance, die europäische Verkehrspolitik krisenfester zu machen. Der Verband wünscht sich von der Bundesregierung aus diesem Anlass ein verstärktes Engagement, um den Mobilitätssektor fit für die Zukunft zu machen und robuster zu gestalten.
„Die Corona-Pandemie hat den größten wirtschaftlichen Schaden seit dem zweiten Weltkrieg angerichtet. Sie hat aber auch den Handlungsbedarf in der europäischen Verkehrspolitik deutlich aufgezeigt“, erklärte dazu der DVF-Präsidiumsvorsitzende Raimund Klinkner am Montag. Als Beispiele nannte er die Gefährdung unserer Versorgungssicherheit durch nicht abgestimmte Grenzschließungen oder die Abhängigkeit von bestimmten Lieferketten, die sich auf sehr wenige Produzenten in Drittländern konzentrierte – etwa bei Schutzmasken.
Das sind die Topthemen aus Sicht des Mobilitätsverbands
Die wesentlichen Handlungsfelder der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im Bereich der Mobilität sollten aus Sicht des DVF mit Berücksichtigung der Corona-Hilfsmaßnahmen auf folgende Themenschwerpunkte gerichtet sein:
- Transeuropäische Verkehrsnetze ausbauen und modernisieren
- Klimaschutzmaßnahmen umsetzen
- Digitalisierung vorantreiben
- Europäischen Binnenmarkt vollenden
Konkret bedeutet das laut dem Mobilitätsverband, die transeuropäischen Verkehrsnetze schneller zu realisieren: „Das TEN-V-Netz ist entscheidend für ein durchgängigen Schienenverkehr in Europa. Dazu müssen technische Hürden beim europäischen Zugsicherungs- und Leitsystem an den Landesgrenzen abgebaut und die digitale automatische Kupplung eingeführt werden. Neben den baulichen Maßnahmen muss sich aber auch rechtlich und regulatorisch der europäische Netzgedanke durchsetzen. Unabgestimmte Grenzschließungen dürfen zukünftig in dieser Form nicht mehr stattfinden“, sagte Klinkner.
Unternehmen benötigen Hilfe bei Umsetzung der Klimaziele
Hinsichtlich der Klimaziele 2030 sollte nach Ansicht des DVF der Fokus weniger auf einer Verschärfung als vielmehr darauf liegen, wie die Unternehmen darin unterstützt werden können, die Vorgaben zu erreichen. Zudem sollte darüber nachgedacht werden, das Reduktionsniveau ab 2021 nicht linear ansteigen zu lassen, sondern die technologischen Umsetzungszeiträume besser abzubilden. Dazu müssten die Reduktionsvorgaben bis 2025 moderat, ab 2025 deutlich und nach 2030 nochmals stärker steigen.
Dann würde Deutschland auch einen starken Mittelabfluss wegen Nichteinhaltung der CO2-Jahreseinsparmengen vermeiden. "Diese Finanzmittel könnten sinnvoller in die Entwicklung klimafreundlicher Mobilität investiert werden", sagt Klinkner. Außerdem: Die Investitionsanstrengungen, die etwa zur Entwicklung der Wasserstofftechnologie notwendig sind oder aber der Aufbau großer Kapazitäten zur Erzeugung synthetischer Kraftstoffe, müssen im europäischen Verbund erfolgen.
Mehr Digitalisierung kann Effizienz der Logistikwirtschaft erhöhen
Besonders wichtig ist dem DVF die Digitalisierung: Sie zahlt auf die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft ebenso ein wie auf die Klimaziele. Dazu Klinkner: „Zum einen muss der physische Aufbau mit Glasfaser und mobilem Breitband verstärkt werden. Zum anderen erreicht man besonders in der Logistikwirtschaft durch die Digitalisierung der Prozesse enorme Effizienzgewinne, also Vermeidung von Leerfahrten, weniger Staus und bessere Integration innerhalb der jeweiligen Verkehrsträger.“
Zur Vollendung des europäischen Binnenmarkts gehört laut DVF auch die Umsetzung einer europäischen Industriepolitik samt einer Strategie für Wasserstoff und E-Fuels, die Unterstützung für den Ausbau einer EU-weit einheitlichen Tank- und Ladeinfrastruktur, die Verwirklichung des Single European Sky und eine internationale Lösung beim Klimaschutz für den Luftverkehr und Seeverkehr. Das europäische Kartellrecht müsse sinnvolle Fusionen europäischer Unternehmen ermöglichen, die im globalen Wettbewerb stehen. Angesichts großer internationaler Unternehmenszusammenschlüsse sei dies die einzige Möglichkeit, den Industrie- und Produktionsstandort Europa zu stärken und einen Ausverkauf der europäischen Unternehmen zu verhindern. (ag)