Urteils-Wirrwarr wegen 8,50-Euro-Gesetz

Welche Zulagen und Zuschläge ein Unternehmen bei der Berechnung des gesetzlichen Mindestlohns berücksichtigen darf und welche nicht, ist Ansichtssache. Verschiedene Arbeitsgerichte haben bei Rechtsstreitigkeiten in dieser Sache mittlerweile entschieden. Nicht alle kommen zu demselben Urteil. Bestes Beispiel sind Entscheidungen zur Anrechenbarkeit von Urlaubsgeld auf den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn von 8,50 Euro brutto pro Stunde, die die Arbeitsgerichte Herne und Bautzen in diesem Sommer getroffen haben. Gericht widerspricht Gesetzgeber Aus Sicht des Arbeitsgerichts Bautzen ist ein zusätzliches Urlaubsgeld als spezielle Form einer Sonderzahlung nicht auf den Mindestlohnanspruch eines Mitarbeiters anrechenbar (Aktenzeichen (Az): 1 Ca 1094/15). Denn ein Unternehmen zahle es nicht für die Normalleistung seines Arbeitnehmers, sondern es kompensiere Zusatzkosten, die während des Urlaubs entstünden. "Das Urlaubsgeld ist damit funktional darauf gerichtet, die Wiederherstellung und den Erhalt der Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers zu unterstützen", führt das Arbeitsgericht in Ostsachsen zur Begründung aus. Der Bautzener Richter folgt mit dem Urteil vom 26. Juni einem Kollegen aus Berlin, der bereits im März in dieser Angelegenheit entschieden und die Rechtsauffassung des Gesetzgebers infrage gestellt hatte (Az: 54 Ca 14420/14). Damals ging es um eine Änderungskündigung, mit der eine solche Anrechnung erreicht werden sollte. Das Arbeitsgericht Berlin ist der Ansicht, der gesetzliche Mindestlohn solle unmittelbar die Arbeitsleistung entgelten. Andere Zahlungen wie ein Urlaubsgeld oder eine Sonderzahlung, deren Höhe von der Dauer der Betriebszugehörigkeit abhängt, hätten diesen Zweck nicht. Deshalb könnten diese auch nicht auf den Mindestlohn angerechnet werden, hieß es in dem Urteil. Eine entsprechende Änderungskündigung komme folglich nicht infrage. Beide Richter stützen sich auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), wonach die Einbeziehung von Vergütungsbestandteilen in den Mindestlohn nur dann nicht zu beanstanden ist, wenn sie das Verhältnis zwischen der Leistung des Arbeitnehmers und der Gegenleistung, die er dafür erhält, nicht verändert. Bund wartet Rechtsprechung ab Ganz anderer Meinung ist das Arbeitsgericht Herne (Az: 3 Ca 684/15). Der dortige Richter entschied am 7. Juli, dass es zulässig ist, wenn Arbeitgeber Weihnachtsgeld und zusätzliches Urlaubsgeld auf den gesetzlichen Mindestlohnanspruch anrechnen. Voraussetzung sei allerdings, dass das Geld monatlich und unwiderruflich ausgezahlt werde. Dann habe es Entgeltcharakter und weise einen unmittelbaren Bezug zur Arbeitsleistung auf. Denn laut der Begründung zum 8,50-Euro-Gesetz ist zusätzliches Urlaubsgeld als Bestandteil des Mindestlohns zu werten, wenn ein Arbeitnehmer es anteilig bekommt. Darauf verweist auch der Zoll, der kontrolliert, ob sich Arbeitgeber an das Mindestlohngesetz (MiLoG) halten. Bei Speditions-, Transport- und Logistikunternehmern sorgen die teilweise widersprüchlichen Entscheidungen für Verwirrung: Wer hat recht und wie macht man es richtig? Der Gesetzgeber zeigt sich indes unbeeindruckt. Bereits nach der Veröffentlichung des Berliner Urteils hatte das zuständige Bundesarbeitsministerium klargestellt, dass es sich lediglich um eine Einzelfallentscheidung handele, die an den derzeitigen Vorschriften nichts ändere. "Grundsätzlich sind solche Zahlungen des Arbeitgebers als Bestandteile des Mindestlohns anzurechnen, die die Normaltätigkeit des Arbeitnehmers abgelten", erklärte eine Sprecherin. Zahlungen, die ein Arbeitnehmer als Ausgleich für zusätzliche Leistungen erhalte, seien nicht anrechenbar. Wie "freiwillig" etwa ein Urlaubsgeld gezahlt werde, sei Interpretationssache - je nachdem, ob es im Tarifvertrag, im Arbeitsvertrag oder mündlich vereinbart worden sei. Auch bei den erstinstanzlichen Urteilen aus Herne und Bautzen wartet der Bund vermutlich die weitere Rechtsprechung ab. Beide sind bislang noch nicht rechtskräftig. Die Richter haben jeweils die Berufung bei Landesarbeitsgerichten zugelassen. Und vermutlich werden diese nicht die letzten Instanzen sein. Rechtsexperten rechnen damit, dass das Bundesarbeitsgericht angesichts der zunehmenden Klagen bezüglich der Anrechenbarkeit von Sonderzahlungen auf den Mindestlohn und der unterschiedlichen Ansichten der Richter ein Machtwort sprechen muss. Experte empfiehlt Monatsauszahlung Bis ein finales Urteil aus Erfurt vorliegt, das der Gesetzgeber womöglich zum Anlass nimmt, die bisherigen Vorschriften zu konkretisieren oder zu ändern, können allerdings noch Monate vergehen. Rechtsanwalt Benjamin Sokolovic aus Hannover rät, sich bis dahin nicht von den teilweise widersprüchlichen erstinstanzlichen Entscheidungen verrückt machen zu lassen. "Ich bin davon überzeugt, dass Urlaubsgeld auf den Mindestlohn anrechnungsfähig ist", betont der Experte für Arbeitsrecht. Er empfiehlt, diese Zahlung, die bisher häufig als Einmalzahlung vorgesehen ist, wie auch die Zahlung des Weihnachtsgeldes - im Einvernehmen mit dem Arbeitnehmer - auf zwölf Monate aufzuspalten. "Wenn diese Zahlungen sodann monatlich und unwiderruflich gezahlt werden, bestehen meines Erachtens keine Zweifel gegen die Anrechenbarkeit des Urlaubs- und im Übrigen auch des Weihnachtsgeldes." Vorschriften sind Auslegungssache Laut Sokolovic bestehen auch keine unionsrechtlichen Gründe gegen die Berücksichtigung von Einmalzahlungen bei der Berechnung des Mindestlohns. "Der EuGH hat betont, dass bei der Frage, ob ein Gehaltsbestandteil die Normalleistung vergütet, das nationale Verständnis von Vergütungselementen maßgeblich ist", sagt der Jurist. Das deutsche Arbeitsrecht sei hier sehr großzügig. Der Rechtsanwalt hält deshalb alle Zahlungen für mindestlohnwirksam, die als Gegenleistung für erbrachte Arbeitsleistung mit Entgeltcharakter im gesetzlichen Fälligkeitszeitraum ausgezahlt werden. "Wenn das MiLoG einen angemessenen Lebensunterhalt durch das eigene Einkommen ermöglichen soll, kommt es auf die Höhe der Zahlung selbst an und nicht darauf, worauf sie beruht", resümiert er. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Mindestlohn www.verkehrsrundschau.de/dossiers

Elektromobilität: Hamburg will Ladepunkte auf 10.000 erhöhen

Bürokratieentlastung: Bundesrat stimmt neuer Verordnung zu

Automobilzulieferer: Bosch will weitere Stellen streichen

A7 wird zeitweise gesperrt

Schwerpunktkontrollen: Viele Verstöße von Lkw und Bussen

Alle Schlagzeilen

Urteils-Wirrwarr wegen 8,50-Euro-Gesetz

HASHTAG

#Mindestlohn

Mindestlohn auch für Flüchtlinge

Sachsen-Anhalt: Gedämpfte Stimmung im Jubiläumsjahr

MiLoG-Tipp: Urlaubsgeld am besten monatlich auszahlen

MEISTGELESEN

Emons Spedition siedelt sich am c-Port an

Bund und Länder fördern Brennstoffzellen-Lkw von Daimler Truck

Fiege baut Logistikzentrum bei Leipzig

STELLENANGEBOTE

Schichtleiter (w/m/d) Logistik - Warenausgang

Area HR Business Partner

Head of Logistics (w/m/d) mit fundierter Erfahrung im internationalen Versand

Leiter (w/m/d) Logistik Teilbereich Warenausgang

Koordinator (m/w/d) Intralogistik mit Teamleitungsfunktion

WEITERLESEN

NEWSLETTER