Unter Generalverdacht

Am 22. Dezember 2014 leitete das Bundeskanzleramt dem Bundesrat die "Verordnung zur Änderung der Fahrpersonalverordnung, der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) und der Verordnung über den grenzüberschreitenden Güterkraftverkehr und den Kabotageverkehr" mit der Bitte zu, die Zustimmung des Bundesrates herbeizuführen. Mogelpackung statt Weihnachtspaket Der Entwurf dieser aus dem Verkehrsministerium stammenden Verordnung, der zuvor den Verbänden zur Kenntnisnahme und Stellungnahme zugeleitet worden war, enthielt überwiegend Anpassungen der Fahrpersonalverordnung und der StVZO, die durch Änderungen des EU-Rechts erforderlich wurden. Das neue Unionsrecht sollte, wie es in der Verordnungsbegründung hieß, den Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft um - der Verkehrsminister hatte da scharf und genau kalkuliert - 869.500 Euro je Jahr vermindern: ein Weihnachtsgeschenk für die deutsche Wirtschaft. Das war offenbar zu schön, um wahr zu werden. Denn was als Weihnachtspaket daherkam, erwies sich nach der Behandlung in der Länderkammer schlicht als Mogelpackung. Kurz vor der entscheidenden Bundesratssitzung am 6. Februar 2015 empfahl der Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik dem Bundesrat, der Verordnung nur mit einer Änderung zuzustimmen: In Paragraf 20a Absatz 2 sollte eine Auftraggeberverantwortung festgeschrieben werden, deren Verletzung selbstverständlich hohe Bußgelder nach sich ziehen muss. Auch Brandbriefe der Verbände dagegen fruchteten nichts mehr: Am 6. Februar 2015 verabschiedete der Bundesrat die Verordnung mit folgender Ergänzung: "Die an der Beförderungskette beteiligten Unternehmen haben mit dem Ziel, die Einhaltung der Vorschriften zu gewährleisten, zusammenzuarbeiten und sich abzustimmen. Der jeweilige Auftraggeber hat dafür Sorge zu tragen, dass das beauftragte Verkehrsunternehmen die Vorschriften einhält. Er hat sich vor dem Vertragsabschluss mit einem Verkehrsunternehmen und während der Vertragslaufzeit in angemessenen Zeitabständen darüber zu vergewissern und darauf hinzuwirken, dass das beauftragte Verkehrsunternehmen aufgrund seiner personellen und sachlichen Ausstattung sowie seiner betrieblichen Organisation in der Lage ist, die vorgesehenen Transportaufträge unter Einhaltung der Vorschriften durchzuführen." Attacke gegen Auftraggeber Nach der Auftraggeberhaftung in Paragraf 7c Güterkraftverkehrsgesetz (GüKG), der zivilrechtlichen und bußgeldrechtlichen Auftraggeberhaftung nach den Paragrafen 13 und 21 Mindestlohngesetz kommt nun die Auftraggeberhaftung im Fahrpersonalrecht. Also neue Kontroll-, Dokumentations- und Aufbewahrungspflichten für die Wirtschaft. Keine Kostenersparnis, sondern erhebliche Mehrkosten im Logistikbereich! Überraschend war diese Attacke gegen die deutschen Firmen nicht: Im vergangenen Sommer hatte der nordrhein-westfälische Arbeitsminister Guntram Schneider bereits eine "Kampfansage an die KEP-Branche" gerichtet und eine Initiative angekündigt, mit der er die "Verantwortung des Auftraggebers stärken" wolle. Die jetzt in die Verordnung gedrückten Kontrollpflichten verkennen aber völlig die Gegebenheiten der Branche: Gütertransport ist ein Massengeschäft, bei dem Auftraggeber oft Hunderte oder Tausende von Sendungen zum Transport übergeben, die dann mehrfach umgeschlagen und mit verschiedenen Frachtführern zu den jeweiligen Empfängern befördert werden. Im internationalen Transport werden die Beförderungen vielfach "gebrochen". Die verladende Wirtschaft arbeitet in hohem Maße mit Speditionen, die die Versendung der Güter besorgen und den Transport lediglich organisieren; die den Transport im einzelnen durchführenden Frachtführer sind dem Verlader oft nicht bekannt. Überdies fehlt es an einer realen Kontrollmöglichkeit. Der Transportunternehmer, mit dem der Verlader regelmäßig überhaupt keine unmittelbare vertragliche Beziehung hat, ist weder auskunftsverpflichtet noch etwa gehalten, Dokumente über die Einhaltung der Sozialvorschriften zur Einsichtnahme vorzulegen. Dies wäre auch datenschutzrechtlich höchst bedenklich, da damit sensible personenbezogene Daten Dritten zugänglich gemacht würden. Den Vertretern der Länder im Bundesrat scheinen diese Wirtschaftsrealitäten aber herzlich egal zu sein. Vielleicht wissen sie auch nicht, wie es in einer arbeitsteiligen Wirtschaft zugeht. Auch NRW-Arbeitsminister Schneider hatte ab dem 24. Lebensjahr bereits hauptamtlich als Funktionär für den Deutschen Gewerkschaftsbund auf der Unternehmensgegenseite gestanden. Da wundert es nicht, dass die Wirtschaft direkt unter Generalverdacht gestellt und angenommen wird, dass ohne erneute staatliche Regieanweisungen das Recht am sprichwörtlich laufenden Band gebrochen wird. Machtwort vom Bundeskanzleramt Solche Regieanweisungen sind überflüssig. In einer modernen und im Prinzip rechtskonform arbeitenden Wirtschaft muss ein Kaufmann auf die Redlichkeit eines anderen Kaufmanns und auf dessen Gesetzestreue vertrauen dürfen. Dies gilt zumal dann, wenn, wie im Logistikbereich, die Anbieterseite nur agieren darf, wenn ihr eine staatliche Behörde zuvor Zuverlässigkeit - also Rechtstreue - und finanzielle Leistungsfähigkeit zugebilligt hat. Dieses Vertrauen in den redlichen Kaufmann darf nicht durch einen Generalverdacht begründendes Misstrauen und eine gesetzlich erzwungene Bespitzelung der Vertragspartner ersetzt werden. Notwendigenfalls muss das Bundeskanzleramt hier ein Machtwort sprechen. Aus Verladersicht ist das, um die Bundeskanzlerin zu zitieren, tatsächlich "alternativlos". Keine Sache der Verlader Wenn die verladende Wirtschaft ihre transportbezogenen Vorgaben so gestaltet, dass diese ohne Gefährdung der Vorschriften über Arbeits-, Lenk- und Ruhezeiten realisiert werden können, liegt eben diese Durchführung im alleinigen Verantwortungsbereich des Frachtführers. Kontrollen, ob deren Fahrer die Sozialvorschriften einhalten, können nicht Sache der Verlader sein.

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