Paris. In der Auseinandersetzung um die Schaffung einer Ersatzlösung für das aufgegebene Projekt einer Ökosteuer hat sich die Lage in Frankreich Ende letzter Woche verschärft. Die führenden Gewerbeverbände im Bereich des Strassengütertransports hatten zunächst noch einmal ihre „Totalopposition“ gegen die nunmehr von der Regierung geplante „Transitsteuer“ für LKW unterstrichen. Wenige Tage später erklärten FNTR, Union TLF, Unostra und der Verband der Umzugsunternehmen CSD unisono ihre zuvor geführten Gespräche mit Transportstaatssekretär Alain Vidalies für gescheitert und kündigten Protestaktionen gegen das neue Projekt an, das seit 1. Oktober in eine kostenfreie Testphase eingetreten ist.
Diese komme zu spät und gehe nicht weit genug, heisst es in der gemeinsamen Erklärung der vier Organisationen. Nicht nur für den Straßengütertransport wäre die Steuer ein Schlag, auch für die gesamte Wirtschaft des Landes und die Attraktivität all seiner Regionen. Das Vorhaben sei unkompatibel mit der Krisensituation und den „hochgradig ungleichen“ Wettbewerbsbedingungen in der EU. Nach wie vor sprechen die Verbände von „Ökosteuer“ und nicht von einer „Transitsteuer“, wie das Projekt jetzt offiziell umbenannt wurde. Es werde überdies zu inakzeptablen regionalen Disparitäten führen und Konkurrenzspannungen zwischen den einzelnen Landesteilen erzeugen.
Angesichts des „doppelten Skandals mit den Autobahnen (Anspielung auf die kürzlich vom Pariser Wettbewerbsrat kritisierten „überdimensionerten Gewinne“ der privaten Autobahnbetreiber; - d.Red.) und der Ökosteuer fordern die Gewerbeverbände eine völlige Neuorientierung der Politik zur Finanzierung der Verkehrsinfrastrukturen des Landes. Sie rufen „alle Transporteure und sämtliche Wirtschaftsakteure“ in den Regionen und den Departements dazu auf, sich gegen die „Ökosteuer“ zu mobilisieren. Dies dürfte zumindest in der Bretagne offene Ohren finden, deren Protestbewegung der „bonnets rouges“ (rote Mützen) das ursprüngliche Ökosteuerkonzept zu Fall gebracht hatte.
Protestaktionen sollen „demnächst” beginnen
Über die Form der Proteste äußern die Verbände offiziell noch nichts, sondern nur, sie würden „demnächst“ beginnen. Von einzelnen Sprechern wurde jedoch angedeutet, dass damit gegen Mitte Oktober zu rechnen sein werde, und zwar in Form von Straßenfilteraktionen und Schneckentempo-Fahrten. Am weitesten ging der Verband OTRE, der eine Bestreikung des gesamten Gütertransports in Frankreich nicht ausschloß.
Anfänglich insgesamt gegen das Ökosteuerprojekt eingestellt, hatten sich die Verbände nach dem quasi einhelligen Votum des Parlaments für seine Einführung und auch wegen der Aussicht auf einen Erstattungsmechanismus zu Lasten der Verlader darauf mehr oder weniger eingerichtet. In Anbetracht des Planungschaos, mit dem das Vorhaben nach der Aufgabe der Ökosteuer seinen Fortgang nahm, bedingt durch technische Probleme mit immer neuen Terminverschiebungen im Gefolge, hat sich die Haltung des Gewerbes jedoch mehr und mehr verhärtet. Nunmehr sind alle Gewerbeverbände auf die Radikalposition der OTRE eingeschwenkt, die schon im November vorigen Jahres Straßen blockiert und die schlichte Aufgabe des Steuervorhabens verlangt hatte.
Ende Juni legte Umwelt- und Energieministerin Ségolène Royal eine abgespeckte Version vor, die statt der ursprünglich geplanten 15.000 nur noch 4.000 Strassenkilometer einbeziehen sollte und seither unter dem Namen „Transitsteuer“ figuriert. Deren Start ist vorige Woche ein weiteres Mal verschoben worden und soll jetzt „in den ersten Monaten des Jahres 2015“ erfolgen. Inzwischen trifft das staatliche Vorhaben „bei der Basis auf massive Ablehnung“, zitiert die Pariser Les Echos einen leitenden Branchenvertreter. Sollte Paris das Projekt ganz fallenlassen, stünden Entschädigungszahlen für den Systembetreiber Ecomouv in Höhe von mutmaßlich 900 Millionen Euro an. Bei neuerlichen Gewerbeaktionen mit dem Ziel, den Straßengütertransport in Frankreich zu behindern, wenn nicht lahmzulegen, um damit den Staat bezüglich des Steuervorhabens in die Knie zu zwingen, fände der Staat aber wahrscheinlich Unterstützung seitens der öffentlichen Meinung. Er könnte nämlich hervorheben, dass die Aktionisten kürzlich schon einmal einen Vorteil gegenüber anderen gesellschaftlichen Gruppen erhalten hätten.Von der angekündigten Erhöhung der Dieselsteuer zur Kompensierung der durch die Aufgabe der Ökosteuer bedingten Einnahmeausfälle ist der Strassengütertransport ausgenommen. (jb)