Steht die Logistikbranche vor dem Ausverkauf?

Es war in der europäischen Transportund Logistikszene wohl der Paukenschlag des Jahres: US-Logistikdienstleister XPO Logistics übernimmt den französischen Transportriesen Norbert Dentressangle. Stolze 3,2 Milliarden Euro will XPO dafür auf den Tisch legen. Sollten die Wettbewerbshüter ihr Okay geben, wäre dies der erste Megadeal dieses Jahres - und wohl nicht der letzte. So sorgte bereits im April FedEx mit seinen Übernahmeplänen von TNT für Furore. Damit nicht genug: Auch die Raben Group expandiert in Deutschland mächtig weiter, Beispiel dafür ist der soeben verkündete Kauf der Spedition Balter in Mülheim-Kärlich und damit der Einstig von Raben in den Cargoline-Verbund. Das Geld für Aufkäufe ist da "Aufgrund des Konsolidierungszwangs in der Branche ist dies aber nur der Anfang. Die Übernahmewelle rollt erst an", beobachtet Cornelius Geber, Geschäftsführer der CG Beteiligungs- & Management in Hamburg und zuvor lange Jahre Topmanager diverser Logistikgrößen. Auch und insbesondere in Deutschland seien Finanzinvestoren, vor allem aus USA und Asien, an Speditions- und Logistikunternehmen interessiert. "Das Geld dafür ist da", ist sich Geber sicher, der selbst an verkaufswilligen Branchen-Unternehmen interessiert ist und hier mit dem Beratungsunternehmen MCF in Hamburg zusammenarbeitet. Was die Übernahmewelle treibt Der Geschäftsführer wörtlich: "Spätestens in fünf Jahren sind 25 bis 30 Prozent der Unternehmen, die wir heute kennen, entweder vom Markt verschwunden oder haben sich mit anderen Firmen zusammengeschlossen", schätzt er. "Übrig bleiben nur die heute schon größeren international tätigen Mittelständler und großen Logistikkonzerne", wagt er einen Blick in die Zukunft. Vor allem in den Paket- und Stückgutnetzen sei ein weiterer Konzentrationsprozess vorgezeichnet, glaubt er. Treiber dafür seien dort nicht nur der anhaltende Wettbewerbsdruck, sondern auch die fortschreitende Digitalisierung der Geschäftsprozesse und die damit einhergehende Verschlankung der Ablauforganisation, begründet Geber seine Einschätzung. Auch eine Analyse der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC), die zu Jahresanfang aufgelegt wurde, kommt zu dem Schluss: Die Zahl der Fusionen und Übernahmen in der Logistik steigt wieder. So wurden laut der Studie in der Transport- und Logistikbranche schon im vergangenen Jahr europaweit 21 Deals abgeschlossen, bei denen es um eine Summe von über 45 Millionen Euro ging. Zum Vergleich: 2013 kamen gerade einmal zehn dieser Großgeschäfte zustande. "Die Gründe dafür sind so vielfältig wie die Branche: Wachstum in neuen Märkten, eine bessere regionale Abdeckung, aber auch Partizipation an Wachstumsfeldern wie Online-Handel und die Automatisierung von Logistikprozessen", sagt Dietmar Prümm, Leiter des Bereichs Transportation & Logistics bei PwC in Deutschland. Auch international lässt sich dieser Trend zu mehr "Mergers und Acquisitions" (kurz: M&A, Fusionen und Übernahmen) beobachten, hier hat die Zahl der Deals im letzten Jahr um 60 Prozent zugelegt. Am hektischsten ist das Geschehen derzeit in der Schifffahrt mit 53 Großdeals weltweit. Riesige Unterschiede bei Kaufpreisen Zusammen mit der Nachfrage steigen auch die Preise: Wenn heute ein Logistikunternehmen den Besitzer wechselt, wird im Schnitt ein Preis gezahlt, der beim Zweifachen des Umsatzes (Medianwert) liegt - der höchste Wert seit zehn Jahren. Allerdings handelt es sich bei diesen Zahlen um Werte, die PwC für den Logistiksektor weltweit erhoben hat. Innerhalb der Transport- und Logistikbranche gibt es indes riesige Unterschiede bei den Kaufpreisen: Während Investoren für Flug- oder Seehäfen das Sieben- oder auch Fünffache des Umsatzes zahlen, bringt der Verkauf eines Straßentransportunternehmens im Schnitt nur etwas weniger als die aktuelle Umsatzsumme ein. Lediglich Busunternehmen sind noch unattraktiver und gehen für die Hälfte des Umsatzes über den Tisch. Alle internationalen Rekordmeldungen können allerdings nicht über eine Tatsache hinwegtäuschen: Deutschland ist und bleibt ein Entwicklungsland, wenn es um Fusionen und Übernahmen geht. Im vergangenen Jahr wurden insgesamt nur 64 Deals verkündet, an denen heimische Unternehmen beteiligt waren (Geschäfte aller Volumina, nicht nur Großdeals). In die Schlagzeilen geschafft hat es zum Beispiel die Übernahme der chilenischen Reederei CSAV durch Hapag-Lloyd oder die Beteiligungen der Fraport AG am Flughafen Ljubljana sowie an 14 griechischen Regionalflughäfen Doch diese globalen Großgeschäfte sind untypisch. Wenn deutsche Unternehmen auf Einkaufstour gehen, dann meist, um andere heimische Betriebe oder Betriebsteile zu übernehmen. Nur bei jedem fünften Deal sind deutsche Investoren im Ausland in Erscheinung getreten. Wenn hierzulande Logistik- oder Transportbetriebe ihren Besitzer wechseln, ist meist ein Nachfolgeproblem der Auslöser. Das typische Szenario: Der Inhaber steuert auf das Rentenalter zu, doch keines der Kinder hebt die Hand, um die Geschäftsführung zu übernehmen - und einen externen Manager lehnt die Familie ab. "Häufig hat man auch die Situation, dass größere Investitionen anstehen, die der Betrieb nicht aus eigener Kraft stemmen kann", erklärt Harm Schnakenberg, geschäftsführender Gesellschafter von Centum Capital, Hamburg. Er ist darauf spezialisiert, Unternehmerfamilien bei der Veräußerung ihres Betriebs zu beraten. Seine Kunden kommen auch aus der Transport- und Logistikbranche, meist sind es mittlere und große Dienstleister; Kleinbetriebe dagegen werden bei einem Nachfolgeproblem eher von Mitarbeitern weitergeführt. "Je größer der Betrieb, desto wahrscheinlicher ein Verkauf an Externe", fasst Schnakenberg zusammen. Branche rückt ins Visier von Investoren Die Firmenkäufer kommen meist aus derselben Branche und sind in der Regel ein paar Nummern größer als der übernommene Betrieb. "Ein typischer Fall wäre, wenn ein großer Spieler versucht, die weißen Flecken in seinem Landtransport-Netzwerk zu schließen", sagt Steffen Wagner, Experte für den Logistiksektor bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG in Frankfurt/Main. Profis klopfen dagegen nur selten an. Während weltweit an rund 40 Prozent aller Unternehmensdeals ein Finanzinvestor beteiligt ist, spielen sie auf dem deutschen Markt bisher kaum eine Rolle. Das hat einen einfachen Grund: Transportbetriebe sind wirtschaftlich für solche Profis nicht besonders interessant. Der Wettbewerb auf dem Markt ist groß, die Erträge sind in der Regel gering. "Für die Familie mag das auskömmlich sein, doch Finanzinvestoren suchen höhere Renditen", erklärt Übernahmeberater Schnakenberg. Hinzu kommt, dass bei Speditionen viel in der Bilanz steht, was sich anfassen lässt: Fahrzeuge, Hallen, Büros, Stapler. Das mögen Finanzinvestoren nicht. Sie bevorzugen Firmen, die mit Ideen und Wissen ihr Geschäft machen, etwa Softwareschmieden oder Maschinenbaufirmen - da hier der Ertrag pro investiertem Euro höher ist. Allerdings könnte sich das in Zukunft ändern: Da die Zinsen derzeit so niedrig sind, könnten selbst die dünnen Margen der Transportwirtschaft für sogenannte Private-Equity-Firmen langsam interessant werden. Sie sitzen auf hohen Bar-Reserven, die möglichst lukrativ angelegt werden müssen. Es ist also möglich, dass sich bei so manchem Mittelständler in der Provinz bald Finanzprofis aus Frankfurt, London oder New York melden. Eines ist allerdings auch klar: Die dann angebotenen Kaufsummen liegen deutlich unter dem, was ein Logistikriese zahlt, der sein Netzwerk mit einem Zukauf verbessern will. Nur selten gekauft: defizitäre Betriebe Theoretisch gäbe es zumindest in Deutschland reichlich Potenzial für Übernahmen und Fusionen. Schätzungen zufolge tummeln sich 50.000 Betriebe auf dem Markt, von denen viele eigentlich zu klein sind, um alleine zu existieren - klassische Kandidaten für eine Übernahme also. Dennoch kommt es nur selten dazu. "Seit Jahren wird eine große Konsolidierungswelle erwartet, aber ich sehe sie noch nicht", sagt KPMG-Partner Wagner. Dass defizitäre oder sogar insolvente Speditionsbetriebe aufgekauft werden, habe hierzulande Seltenheitswert. Die Gründe dafür seien vielfältig, so Wagner, "deutsche Banken sind zum Beispiel geduldiger, wenn Kreditlinien überzogen werden". Insgesamt kämpfen kaufwillige Unternehmen auf dem deutschen Logistikmarkt mit einem großen Problem: "Es fehlt einfach das Angebot an übernahmefähigen Betrieben", erklärt der Berater Wagner. Das sei nicht nur im Segment des Straßentransports spürbar, sondern quer durch die Branche. "Asiaten versuchen zum Beispiel händeringend, ihre Luft- und Seefrachtaktivitäten durch Zukäufe zu stärken." Auch hier mangele es jedoch schlichtweg an passenden Zielfirmen. Es gibt nur einen Bereich, der auch in Deutschland derzeit die Übernahmefantasie anregt: der E-Commerce. Ausgelöst vom Boom beim Internetshopping kaufen vor allem große Logistiker derzeit Know-how zu. Dabei gibt es zwei typische Szenarien: Einerseits rüsten viele Dienstleister in Sachen IT-Kompetenz nach. Sie übernehmen junge Firmen, die sich darauf spezialisiert haben, Angebot und Nachfrage zusammenzubringen. Ein Beispiel für ein solches Unternehmen ist Checkrobin aus Österreich. Es macht, grob gesagt, jedermann zum Paketboten. Das Prinzip: Der Versender gibt die Größe der Sendung und Zieladresse in eine App ein, Privatleute übernehmen per Klick den Auftrag und befördern das Paket mit ihrem eigenen Pkw. Die Betreiber solcher Plattformen sind unter den Großen der Logistikbranche derzeit sehr gefragte Kaufziele. Das zweite, ebenfalls sehr verbreitete Szenario: "Große KEP-Dienste kaufen Firmen zu, um auf der letzten Meile flexibler zu werden oder Same-Day-Delivery anzubieten, was mit dem eigenen Netzwerk nicht möglich wäre", weiß Marktkenner Wagner. Kurz: Das rege Kaufgeschehen wird sich in der Logistik fortsetzen, wie Experten vermuten. Ein Treiber ist die zunehmende Globalisierung: Der Abbau von Handelsschranken ermöglicht einen besseren Zugang zu internationalen Märkten, gleichzeitig wächst die Mittelschicht in vielen Schwellenländern - und damit die Zahl der potenziellen Kunden. "Vor diesem Hintergrund müssen sich viele Logistikdienstleister technologisch und geografisch weiterentwickeln, um weltweit zuverlässige Lieferketten aufbauen zu können", warnt PWC-Mann Prümm. Die Serie M&A: Firmen erfolgreich kaufen und verkaufen - Teil 1: Steht in der Logistikbranche eine Übernahmewelle an?- Teil 2: Wie sich der Wert einer Transport- und Logistikfirma ermitteln lässt- Teil 3: Best Practice - Unternehmensbewertung

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