Sprit-Spar-Traum geplatzt

Beim Platooning-Versuch von DB Schenker und MAN auf der A 9 zwischen München und Nürnberg wurden zwischen drei und vier Prozent Kraftstoff eingespart - weit weniger als die erhofften 10 oder gar 15 Prozent. Das gaben die beiden Unternehmen und die das Projekt begleitende Hochschule Fresenius am vergangenen Freitag bei der Ergebnispräsentation im Bundesverkehrsministerium (BMVI) bekannt. Das auf den ersten Blick enttäuschende Ergebnis sei aber zum Teil den rechtlichen Vorgaben für den Versuch geschuldet, erläuterte ein MAN-Vertreter gegenüber der Verkehrs-Rundschau: So habe das zuständige bayerische Verkehrsministerium ein absolutes Tempolimit von 80 Stundenkilometer vorgeschrieben - dadurch habe der GPS-Tempomat zum Beispiel bei Gefällefahrten nicht das Potenzial ausschöpfen können, indem er den Lkw bis 85 Stundenkilometer rollen lässt. Vor allem aber sei ein Mindestabstand von 15 Metern vorgeschrieben worden. Technisch möglich und sicherheitstechnisch vertretbar ist heute laut MAN-Vorstandschef Joachim Drees ein Abstand von 12,50 Meter. Bei entsprechender Lockerung der Vorgaben seien zehn Prozent Kraftstoffersparnis realistisch. Die Mehrheit der Fahrer befürwortet übrigens im Anschluss an die Versuchsfahrten einen kürzeren Abstand von zehn bis zwölf Metern: Sie erhoffen sich davon, dass weniger andere Fahrzeuge versuchen in die Lücke einzuscheren. MAN-Projektleiter Walter Schwertberger sieht als größte technische Herausforderung, das Bremsverhalten der Lkw im Platoon richtig einzuschätzen und aufeinander abzustimmen. Selbst bei technisch baugleichen Lkw gebe es Unterschiede durch Beladung und Reifenzustand. Beim Einsatz von Lkw verschiedener Hersteller ("Multi-Brand-Platooning") kumuliere sich dieses Problem. "MAN kann das zum Glück mit der Schwestergesellschaft Scania ausprobieren", ergänzte Drees mit einem Schmunzeln. Die Frage, wie die finanziellen Vorteile durch Platooning bei Fahrzeugen verschiedener Speditionen verteilt werden können, wurde nicht vertieft. Lediglich der BMVI-Abteilungsleiter Tobias Miethaner warf das heute offenbar unverzichtbare Stichwort "Blockchain" in den Raum. Vorstufe zum automatisierten Fahren Zufrieden zeigten sich MAN, Schenker und Fresenius-Hochschule gleichermaßen mit der technischen Zuverlässigkeit im Versuch. Die Verfügbarkeit des Systems lag bei 98 Prozent. Auf den rund 35.000 im Platoon gefahrenen Kilometern wurden zwei Systemausfälle verzeichnet. In beiden Fällen wurden die Fahrzeuge automatisch "in einen sicheren Zustand" gebracht. Auch die Fahrer im Folgefahrzeug mussten die Hand am Lenkrad behalten, sodass sie unmittelbar zur Übernahme bereit waren. Im Durchschnitt war nur alle 2000 Kilometer ein manueller Eingriff ins System nötig - sehr viel seltener als beim hochautomatisierten Fahren, wie Schwertberger betonte. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass nur bei trockener Fahrbahn und guter Sicht im Platoon gefahren werden durfte. Nach Schwertbergers Ansicht reduziert Platooning die Komplexität des automatisierten Fahrens und erleichterte den Einstieg. "Ich glaube, dass wir hier ein echtes Erfolgsmodell haben, das wir schon bald auf die Straße bringen können", sagte er - ohne den Konkurrenten Daimler zu erwähnen, der Anfang 2019 Platooning ad acta gelegt hatte und sich stattdessen auf vollautomatisiertes Fahren konzentrieren will. Ein 5G-Netz sei übrigens auch nicht erforderlich: Mit dem WLAN-Standard ITS-G5 sei Platooning unabhängig von der Mobilfunkversorgung möglich. Auf einen Zeitpunkt, zu dem Platooning in den Regelbetrieb gehen könnte, wollte sich dennoch keiner der Beteiligten festlegen. Wo ist Platooning sinnvoll? Diametral entgegengesetzte Standpunkte waren zu der Frage zu vernehmen, ob Platooning eine Zukunft in Mitteleuropa hat. Einer der Projektbeteiligten sagte hinter vorgehaltener Hand, der Betrieb auf einer Strecke wie München-Nürnberg sei nicht sinnvoll, weil der Konvoi dort viel zu oft aufgelöst werden müsse - an Autobahnkreuzen (nicht Anschlussstellen), Baustellen und Gefällestrecken über vier Prozent. Auflösen und erneutes Zusammenführen koste aber jeweils 0,1 Liter Diesel/100 km. Hinzu kämen in den Zwischenraum einscherende Fahrzeuge - im Durchschnitt einer pro Tour -, was ebenfalls ein automatisches Auflösen des Platoons auslöse. Außerdem sei es in Mitteleuropa kaum vorstellbar, mehr als zwei Lastwagen hintereinander zu koppeln. Er persönlich sehe als geeignetes Einsatzgebiet eher Skandinavien an, wo ein Platoon über längere Strecken ungestört fahren könne. "In Nordeuropa wird es schneller gehen", sagte DB-Logistikvorstand Alexander Doll diplomatisch. Chung Anh Tran von der DB AG hingegen plädierte dafür, den Platooning-Versuch in Deutschland schrittweise auszudehnen. Er schlug vor, ein Positivnetz zu schaffen und auf diesem weitere Schritte zu gehen - zum Beispiel Multi-Brand-Platooning. Für den Versuch sollten hochfrequentierte Strecken ausgewählt werden, weil dort der verringerte Platzbedarf den Verkehr am stärksten entlaste. Nach seinen Angaben sind im europäischen Schenker-Stückgutnetz 40 Prozent der Kilometerleistung vom Start bis zum Ziel Platooning-geeignet, wenn man berücksichtigt, dass rund 25 Prozent der Relationen mehrmals pro Tag bedient werden. Weitere Kilometer seien möglich, wenn man Lkw-Züge auf Teilstrecken im Platoon fahren lässt. Skeptische Fahrer überzeugt Ein wesentlicher Aspekt des Versuchs war die Akzeptanz bei den zehn Lkw-Fahrern, die im Praxisbetrieb eingesetzt wurden. Um sie zu untersuchen, hat die Hochschule Fresenius ausführliche Vorher- und Nachher-Interviews geführt. Bei der Vorher-Befragung überwog Skepsis: Genannt wurde Horror vor der Vorstellung, lange hinter einer "weißen Wand" des Führungsfahrzeugs hinterherfahren zu müssen, ohne vom Verkehrsgeschehen vorne etwas mitzubekommen; hilfloses Ausgesetzt-Sein gegenüber dem System; Risiko von Hackerangriffen und schließlich auch Angst vor der Abwertung des Berufs Lkw-Fahrer oder sogar vor dem Verlust des Arbeitsplatzes. Bei der Nachher-Frage zeigten sich neun der zehn Fahrer zufrieden und seien bereit gewesen, den Versuch fortzuführen. Hoch gewürdigt wurde vor allem die Eingriffsgeschwindigkeit der Bremse im Folgefahrzeug ("In der Zeit hätte ich nicht einmal den Fuß vom Gaspedal gehoben bekommen"). Sorgfältig per EEG (Elektroenzephalografie) gemessen wurde die nervliche Belastung der Fahrer. Laut Professor Christian Haas gab es keine signifikanten Unterschiede zwischen Single- und Platoonfahrt. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass von den 145 Kilometern Entfernung zwischen den beiden Schenker-Hubs nur zwei Drittel im Platoon-Modus zurückgelegt wurden und der längste einzelne Platoon-Abschnitt 30 Minuten dauerte. "Wir können natürlich keine Aussage treffen, wie es über fünf oder sechs Stunden aussieht", betonte Haas. Wie die anderen Verkehrsteilnehmer auf Platoon-Verbünde reagieren, konnten die Projektteilnehmer im Versuch übrigens nicht sinnvoll untersuchen: Die Lastwagen waren vorne und hinten wie Schwertransporte mit gelbem Blinklicht ausgestattet, sodass alle rechtzeitig gewarnt waren. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Elektro-Lkw www.verkehrsrundschau.de/dossiers Die Idee Kolonnenfahren soll Sprit und CO2 sparenDer Luftwiderstand ist beim Lkw auf der Autobahn einer der wesentlichen Faktoren für den Dieselverbrauch und damit den CO2-Ausstoß. Hier setzt Platooning an: Indem mehrere Lkw in engem Abstand hintereinanderfahren, können sie den Windschatten des Vordermannes nutzen. Bei rein manuellem Fahren ist das aus Gründen der Verkehrssicherheit jedoch nicht vertretbar. Deswegen werden die Fahrzeuge mittels "elektronischer Deichsel" virtuell zusammengekuppelt. Brems-, Beschleunigungs- und Kurvenmanöver des ersten Fahrzeugs werden vom Führungsfahrzeug per speziellem WLAN-Standard (ITS G5) in die nachfolgenden Lkw übertragen und nahezu verzögerungsfrei von deren automatischen Fahrfunktionen nachvollzogen. Erste Versuche gab es im EU-Forschungsprojekt "Sartre" 2009 bis 2012.Eine breitere Öffentlichkeit erreichte das Thema im April 2016 mit der European Truck Platooning Challenge, einer Sternfahrt von Platoons unterschiedlicher Hersteller nach Rotterdam. 2017 beschlossen MAN und DB Schenker eine Partnerschaft, um Platooning auf dem digitalen Testfeld auf der A 9 zwischen München und Nürnberg in der Logistikpraxis zu erproben. Neben MAN beschäftigen sich auch andere Lkw-Hersteller mit dem Thema: DAF zum Beispiel betreibt einen Versuch in Großbritannien, Iveco beteiligt sich an zwei aktuellen EU-Projekten und auch die MAN-Schwester Scania will am Thema dranbleiben. roe

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