Spaß am Stromern

Da war sie wieder, die berüchtigte Reichweitenangst: Als sich beim Test des vollelektrischen Nissan E-NV 200 kurz nach der Restmarke von 14 Kilometern die Anzeige komplett in zwei nichtssagende Striche verwandelte und die digitale Tankuhr auf dem letzten Reservestrich stand, begann das Bangen. Allerdings zu Unrecht, wie sich später an der rettenden Stromzapfsäule zeigen sollte: Nach der 86 Kilometer langen Testrunde in Stadt, Überland und auf der Autobahn wäre wohl noch mehr drin gewesen in den 48 Modulen der 24-kWh-Lithium-Ionen-Batterie. "Bevor es ganz zu Ende geht, kommt erst eine weitere Warnstufe sowie Notmodus, bei dem das Fahrzeug in Schleichfahrt aus dem Gefahrenbereich befördert werden kann", weiß Martin Pick, Betriebsleiter der Münchner Nissan-Niederlassung Mükra. Wobei Nissan aber darauf verweist, dass die Mehrzahl der Elektro-Kunden sowieso nie mehr als 80 Kilometer pro Tag zurücklegt. Insofern ist die Testfahrt fast eine Ausnahme, die aber auch die Schwächen der Infrastruktur offenbart: Zwei der im Nissan-Navi angezeigten öffentlichen Ladesäulen existieren gar nicht, die Stadtwerke-Säule im Parkhaus Fröttmaning - angepriesen mit einem Plakat "100 Prozent Ökostrom" - ist prompt defekt. Da bleibt nur der Weg zum nahegelegenen Renault-Händler. An dessen meist verwaister 32-Ampere-Station muss man allerdings mehr Zeit mitbringen als später an der CHAdeMO-Hochleistungssäule bei Nissan: Vier Stunden für "einmal volltanken" hier, eine Stunde dort. Beim Test begnügen wir uns mit 106 Kilometern Reichweite und denken, damit für die erwähnten 86 Kilometer Überlandfahrt genug Puffer zu haben. Dass das eine "Best-Case"-Prognose ist, erst recht wie die 170 Kilometer Reichweite im labortheoretischen NEFZ-Zyklus, erwies sich auf dem abschließenden Autobahnstück: Trotz moderater Gangart mit maximal 105 km/h und ausgeschalteter Klimaanlage zählen die Kilometer gefühlt im Verhältnis 1:2 herunter. Autobahn und Berge kosten Strom Immerhin kommt dem Strom-Van hier die verbesserte Aerodynamik samt flachem Unterboden zupass. Überland schwinden an steileren Stichen schon mal vier Kilometer Reichweite auf ein paar hundert Metern. Bergab wird aber, insbesondere wenn der schon nach Gaspedallupfen stramm verzögernde B-Fahrmodus aktiviert ist, clever rekuperiert (bis zu 14 Prozent) und die Reichweite bleibt länger konstant. Am längsten im Stadtbetrieb: Auf der extremen Stop-and-Go-Simulation unterbietet die Reichweitenanzeige die gefahrenen 18 Kilometer sogar um drei Kilometer, ein Zeichen für den generell hohen Wirkungsgrad von E-Maschinen und den fast anstrengungsfreien Antritt aus dem Stand. Das Pedalgefühl ist übrigens natürlich, wer's eilig hat, kann per Kickdown die 254 Newtonmeter und 80 kW rasant von der Leine lassen. Wie am Schnürchen zieht der E-Van mit seinem einstufigen Getriebe von dannen. Und wie beim Wandler-Automaten kriecht der NV übrigens auch los, sobald man von der Bremse geht. Zur gehobenen Agilität des Elektro-Vans trägt auch die zur Unterbringung der E-Technik verbreiterte Spur sowie der tiefere Schwerpunkt durch die 267 Kilo schweren, unterflur verlegten Akkus bei. Das verhilft neben einer stämmigeren Optik zu mehr Steifigkeit der Karosserie. Der 4,2-Kubik-Van liegt sicher auf der Straße und soll dank um 16 Zentimeter verlängerter Schnauze auch im Crashfall mehr Sicherheit bieten. Die 400 Kilo Testballast meistert der Testwagen souverän, man traut dem Fahrzeug die über ein höheres Gesamtgewicht auf 770 Kilo gesteigerte Nutzlast problemlos zu. 100 Kilo Ballast bedeuten laut Nissan drei Prozent Mehrverbrauch. Der Federungskomfort wirkt ebenfalls erwachsener und ausgewogener als beim Standardmodell. Dass man selbst nach einem langen Tag am Steuer entspannt aussteigt, dafür sorgt die wohltuende Geräuschkulisse: An Ampeln blickt man genervt auf die altmodischen Verbrenner nebenan. Und anders als bei ihnen kostet einmal Volltanken nicht viel: "Hundert Kilometer im Elektro-Van machen nicht mal drei Euro, beim Diesel sind es acht", rechnet Nissan vor. Und führt gleich noch die 40 Prozent niedrigeren Wartungskosten an: Kein lästiger Ölwechsel, kein Keilriementausch, deutlich niedrigerer Bremsverschleiß. In einer Nissan-Modellrechnung über fünf Jahre bei 20.000 Kilometern jährlich soll der Stromer zum Diesel netto durch geringere Energieund Wartungskosten 2750 Euro Ersparnis herausfahren: 4472 statt 7218 Euro beim Diesel. Den geringeren Verschleiß an Nerven führt der Nissan-Mann fairerweise nicht mit an. Da dauert es natürlich immer noch eine ganze Weile, bis sich der netto etwa um ein Drittel höhere Anschaffungspreis der Elektro-Version (inklusive Akkus) final amortisiert. Wobei der Kunde die Wahl hat zwischen Vollkauf (netto ab 25.000 Euro) oder Kauf mit separater Batteriemiete mit diversen Laufzeiten (netto ab 20.000 Euro). Dass die Preise für ein E-Fahrzeug und im Vergleich etwa zu High-Tech-Stromern wie dem BMW I3 so moderat sind, hat der E-NV 200 zum einen dem Willen des Herstellers zu verdanken, weltweit der führende Anbieter von Elektrofahrzeugen zu werden. Und zum anderen natürlich dem Effekt, den die Verwendung des Antriebsstrangs aus dem bereits 110.000-fach verkauften Nissan Leaf - weltweiter E-Bestseller - mit sich bringt. So oder so: Der "Business Case" rückt mit dem clever und konsequent gemachten E-NV 200 näher, für Umwelt (erst recht mit Ökostrom) und Anwohner ist er längst gegeben. Alle Tests und Fahrberichte seit dem Jahr 2008 für Premium-Abonnenten unter www.verkehrsrundschau.de/testdatenbank

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