Zukunfts-Visionen und harte Fakten

Bei 322 Weltpremieren von 2066 Ausstellern aus 45 Ländern ist es nicht einfach, die 65. Internationale Automobilausstellung auf wenige Themen zu reduzieren. Doch ein paar Highlights der diesjährigen IAA Nutzfahrzeuge 2014 stechen heraus und werden auch nachdem sich die Tore der Messe in Hannover geschlossen haben, in der Branche fortwirken. Beliebtestes Fotomotiv auf der diesjährigen IAA war wohl der Future Truck. Der autonom fahrende LKW (siehe VR 39/2014, Seite 46) faszinierte viele Besucher. Auch Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) ließ es sich auf seinem Messerundgang nicht nehmen, sich mal in die Zukunftsvision des selbstfahrenden LKW zu setzen. "Die Digitalisierung wird das Autofahren revolutionieren", sagte der Minister zuvor bei der offiziellen Messeeröffnung. Beim automatisierten Fahren seien die deutschen Hersteller mit führend und gestalteten die Zukunft des Fahrens ganz maßgeblich mit. Runder Tisch soll offene Fragen klären "Intelligente Verkehrstechnologien können den Fahrer entlasten und Fahrfehler auffangen", war sich der Verkehrsminister sicher und verwies auf den runden Tisch mit allen Beteiligten, den sein Haus ins Leben gerufen hat, um die noch offenen rechtlichen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Fragen zu diskutieren und zu klären. Sicherlich ein wichtiger und damit richtiger Schritt. Denn während die einen den autonom fahrenden Daimler-Truck als Chance für das Transport- und Logistikgewerbe sehen, kritisieren andere die präsentierte Technik als "Zukunftsträumerei", die in dieser Form in naher Zukunft kaum Wirklichkeit werden wird. Dass die mit dem Future Truck präsentierte Digitalisierung aber die Welt der LKW-Fahrer in der einen oder anderen Art verändern wird, sehen auch die Kritiker des autonomen Fahrens. "Unsere Unternehmen wollen die bestehenden Assistenzsysteme konsequent erweitern und ausbauen", beschrieb Matthias Wissmann, Präsident des Verband der Automobilindustrie (VDA), den Fahrplan. "Der nächste Schritt wird das teil-automatisierte Fahren sein. Der Fahrer wird bei Routineaufgaben entlastet und er wird vor Gefahren gewarnt", so der Gastgeber der IAA. Das bedeute weniger Stress für den Fahrer, "auch die Unfallzahlen werden damit weiter nach unten getrieben", so Wissmanns Versprechen. So mancher Branchenvertreter forderte deshalb in Hannover von der Politik, weitere Assistenzsysteme verpflichtend bei Neufahrzeugen vorzuschreiben, zum Beispiel den Abbiegeassistenten, den Daimler kürzlich vorgestellt hatte (siehe VR 37, Seite 58). Aber nicht nur Daimler hat sich mit dem autonomen Fahren und Assistenzsystemen beschäftigt, auch einige Zulieferer sind fleißig gewesen: Denn die von den Systemlieferanten entwickelten Komponenten wie elektronische Lenkungen und Sensoren legen die digitalen Grundlagen. Zum Beispiel gelingt es ZF Friedrichshafen dank moderner Technik heute schon, einen Lang-LKW halbautomatisch einzuparken. Wie das genau funktioniert, konnten Besucher der IAA anhand des "ZF Innovation Trucks" auf dem Freigelände der Messe unter dem Motto "Revolution an der Rampe" bestaunen. Lang-LKW mit dem Tablet einparken In dem Sattelzug-Prototypen ist die Hybridversion des automatischen Getriebesystems Traxon mit der Überlagerungslenkung Servotwin von ZF Lenksysteme und Telematiklösungen von Openmatics kombiniert. So lässt sich der inklusive Auflieger und Anhänger mehr als 25,25 Meter lange 40-Tonner bei niedrigem Tempo mittels einer Tablet-Fernsteuerung über Bluetooth rangieren. Nach Angaben des Antriebs- und Fahrwerktechnikherstellers passiert das lokal emissionsfrei, weil ausschließlich der Elektromotor des Hybridsystems aktiv ist. Ein Jahr lang haben zwölf Ingenieure am Innovations-Truck getüftelt. Die dazugehörige Rangier-App lässt sich laut ZF intuitiv bedienen - mit einem Finger können Fahrer oder Disponenten den LKW millimetergenau in die gewünschte Position manövrieren. Das ginge sogar vom Schreibtisch aus. Aber auf der IAA war mehr zu sehen als Zukunftsvisionen. Die meisten Nutzfahrzeughersteller stellten handfeste Produktinnovationen in den Vordergrund ihres Messeauftritts (siehe Seite 70). LKW als Kosten-Killer Ob MAN, Scania, Iveco oder Volvo - alle Hersteller betonten dabei besonders das Thema Verbrauchsreduzierung. Die neuen Euro-6-Trucks wurden durchweg an allen Messeständen als Erfolg gefeiert. So präsentierte die Volkswagen-Tochter MAN ihre neue Efficient Line als "Kosten-Killer für die Kunden". Die neue Euro-6-Generation reduziere den Dieselverbrauch noch einmal um 6,5 Prozent. Der NFZ-Hersteller Iveco fokussierte seine Gasantriebslösungen mit CNG und LNG. Und Scania bezeichnet sich in Hannover als "Leader in umweltfreundlichen Transporten" und berichtete von Pilotprojekten mit Biodiesel und Biogas, unter anderem mit dem Schweizer Handelshaus Coop und verkündete stolz, schon die dritte Generation von Euro-6-LKW präsentieren zu können. Die Hersteller betonten in Hannover in diesem Jahr auffällig stark die Themen Umwelt, Verbrauch und CO2-Emissionen. Vielleicht auch getrieben von der Furcht, dass die EU-Komission doch noch einen CO2-Grenzwert für NFZ ab 3,5 Tonnen erlassen könnte, verpflichteten sich alle OEMs, die CO2-Emissionen bis 2020 um 20 Prozent zu reduzieren (siehe Seite 18). Elektro-LKW für Frischeprodukte Hingegen kaum noch was zu hören war auf der diesjährigen IAA etwas zum Thema Elektromobilität. Im Vergleich zur Messe vor zwei Jahren hatten die großen Hersteller hierzu kaum etwas mitgebracht. Nur wer sich genau umschaute, entdeckte wenige, aber dafür hochinteressante Neuerungen: So zeigte beispielsweise die Lebensmittelspedition Meyer Logistik zusammen mit Nutzfahrzeuge Rohr, E-Force One und Frigoblock einen vollelektrischen 18-Tonner-Verteiler-LKW. Das Besondere an diesem Elektrofahrzeug: Auch die Energie für die Kühltechnik wird von den Batterien zur Verfügung gestellt. Der LKW wird in den kommenden Wochen zusammen mit einem weiteren Fahrzeug im Großraum Berlin die Belieferung von Lidl-Märkten übernehmen und verfügt laut Meyer-Logistik-Geschäftsführer Matthias Strehl über eine Reichweite von 300 Kilometern und verursache eine Geräuschemission von nur 45 Dezibel (siehe VR 38/2014, Seite 18). Neben den Trendthemen wurde auf der IAA aber auch über die zurückgehende Nachfrage nach Nutzfahrzeugen diskutiert (siehe Seite 27). Fakten, die sich auch durch Visionen und Innovationen nicht einfach ändern lassen. Viele Nachrichten und Videos zur IAA 2014 finden Sie auch im Internet unter www.verkehrsrundschau.de/iaa Chinesischer Nfz-Hersteller Dongfeng präsentiert sich erstmals auf der IAA "Mein Name ist Huang Gang, Sie können mich Gary nennen", so stellte sich der Präsident von Dongfeng Commercial Vehicles in Hannover der versammelten Motorweltpresse vor. Chinas bedeutendster Nutzfahrzeughersteller präsentierte sich erstmals auf der weltgrößten Nutzfahrzeugmesse IAA. Die Spannung war groß, wie sich der chinesische Nutzfahrzeugriese, der bisher vor allem in seinem Heimatland aktiv ist, auf der Weltbühne präsentieren würde. Im besten Business-Englisch erläuterte "Gary" die Ziele seines Unternehmens: "Wir wollen unsere Investitionen in Forschung und Entwicklung steigern und wettbewerbsfähige Produkte für den Weltmarkt anbieten." Der 47-jährige Huang Gang steht seit Juli 2013 an der Spitze von Dongfeng Commercial Vehicles, zuvor hat er seit 1990 in verschiedenen Positionen im Unternehmen gearbeitet.Davor studierte Gang an der Tsinghua University. Der Dongfeng-Chef unterstrich auf der IAA auch die gute und ausbaufähige Partnerschaft, die sein Unternehmen mit dem Volvo-Konzern unterhalte. Einige Marktexperten spekulieren sogar, ob es in Zukunft nicht zu einer stärkeren Verbindung zwischen Chinas Nummer eins und Volvo kommen wird. Laut Medienberichten strebt Volvo Trucks eine 45-prozentige Beteiligung an Dongfeng an.Dongfeng hat nach eigenen Angaben derzeit eine Produktionskapazität für 200.000 mittlere und schwere LKW im Jahr und produziert wesentliche Komponenten wie Motoren, Achsen, Kabine etc. selbst. Dongfeng versucht vor allem in Osteuropa, Afrika, Südamerika, sowie dem Mittleren Osten und in der Asean-Region Fuß zu fassen. Die Rede von Dongfeng-Chef "Gary" findet sich auch als Video im Internet unter www.verkehrsrundschau.de/iaa. ak

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