Serie E-Commerce

Serie E-Commerce Klicken und schicken Die Lust der Deutschen am Online-Shoppen verändert den Handel, aber auch die Aufgaben und Geschäftsfelder von Transport- und Logistikdienstleistern. Welche Herausforderungen und Chancen dadurch entstehen, zeigt die Serie E-Commerce. Wer würde da nicht vor Glück schreien? In nur vier Jahren zur ersten Umsatzmilliarde – dieses atemberaubende Ergebnis konnten soeben die Gründer des Online-Versandhändlers Zalando mit Sitz in Berlin verkünden. Damit hat sich das Unternehmen, 2008 in einer Berliner Studenten-WG gestartet, zu einem echten Schwergewicht im Netzhandel gemausert. Zum Vergleich: Das Versandhaus Otto Group existiert schon ein halbes Jahrhundert und kommt auf 11,5 Milliarden Euro Umsatz. Zuletzt meldete der Hamburger Traditionskonzern ein Plus von 1,7 Prozent, währenddessen wuchs Zalando um 100 Prozent (freilich schreibt das Start-up beim Ergebnis noch rote Zahlen). Aufstiege wie der von Zalando zeigen: Der Boom beim E-Commerce ist noch lange nicht zu Ende und wird den stationären Handel revolutionieren. „Einzelhandelsgeschäfte werden sich zunehmend zu Showrooms wandeln“, prognostiziert Christian Kille, Professor für Handelslogistik an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt (FHWS). Sprich: Händler werden nicht mehr das volle Produktsortiment vorhalten, sondern nur noch wenige Trendprodukte. Ihr Service für den Endkunden sei dann, dass sich dieser vor Ort dank moderner Technologien sein spezifisches Produkt selbst konfigurieren und nach Hause liefern lassen könne, so der Handelslogistik-Experte. Dies birgt große Potenziale für den stationären Handel angesichts des anhaltend rasanten Aufschwungs von E-Commerce. „Wir rechnen auch im nächsten Jahr mit zweistelligen Wachstumsraten“, bestätigt Ingmar Böckmann, Referent für E-Commerce und Logistik beim Bundesverband des Deutschen Versandhandels (BVH), Berlin. Als Segment mit besonders starkem Wachstum nennt er vor allem den Online-Lebensmittelhandel. „Alles, was mit der täglichen Bedarfsdeckung zu tun hat, bietet gute Chancen – das geht hin bis zu Toilettenpapier und Putzmittel“, so Böckmann. Überdurchschnittliche Zuwächse prognostiziert er außerdem dem Onlinehandel mit Möbeln sowie weißer und brauner Ware. Eine Umfrage unter 45.000 Kunden von Paketdiensten bestätigt die Trendaussage: Fast jeder dritte Verbraucher plant, in Zukunft verstärkt Großvolumiges im Netz zu ordern. Zu den Profiteuren des Online-Shoppingfiebers dürften also auch Transporteure und Spediteure gehören, die das Zwei-Mann-Handling beherrschen und Zusatzdienste wie Montage, Altgeräterücknahme und Verpackungsentsorgung beherrschen. Als erster Speditionsverbund wagte sich da die Kooperation IDS Logistik vor. Schon vor zwei Jahren platzierten die Stückgutlogistiker mit „IDS B2C“ und in Kooperation mit Hermes „B2C 2Mann“ zwei Produkte für die Belieferung von Privatkunden (B2C) und rüsteten dafür entsprechend ihre Prozesse in ihrem Netz um, erzählt IDS-Geschäftsführer Michael Bargl. Inzwischen macht das B2C-Volumen rund sechs Prozent der Gesamt-Sendungsmengen bei IDS aus. „Schwierig wird es für ein Stückgutnetz erst, wenn viele Sendungen für Privatkunden zugestellt werden müssen“, sagt Bargl. Grund: Jede B2C-Sendung müsse extra gekennzeichnet, dem Privatkunden vor Zustellung via Telefon oder SMS avisiert und letztlich so lange auf Lager bleiben, bis ein passender Zustelltermin gefunden sei, führt er aus. Eine weitere Herausforderung ist laut Bargl die richtige Verpackung: „Privatkunden reagieren auf etwaige Kratzer sehr sensibel“. Und an welchen Lösungen arbeitet derzeit IDS, um für Privatkunden noch attraktiver zu sein? „Das Bezahlen per Kreditkarte bei Zustellung steht bei uns ganz oben auf der Agenda“, verrät der Geschäftsführer. Distributionscenter rücken an die City Auch Hellmann Worldwide Logistics unterstützt Netzhändler entlang der Wertschöpfungskette mit Services wie Lagerhaltung, Kommissionierung, Retourenhandling sowie Adress- und Bonitätsprüfung, Debitorenmanagement, Inkasso und Kundendienst – im Fullservice wird der Webshop programmiert und betrieben. „Wie bieten das gesamte Fulfillment an, der Kunde braucht theoretisch nur noch eine Idee“, wirbt Klaus Dotzler, Business Development & Sales Manager der E-Commerce-Sparte von Hellmann. Am Ende der Lieferkette wird die Sendung einem 2-Mann-Service oder großen KEP-Diensten übergeben. „Sie werden am stärksten von den kommenden Zuwächsen profitieren“, sagt er voraus. Doch es gibt auch noch völlig unbesetzte Geschäftsfelder. So bieten Internetgrößen wie Amazon oder Wal-Mart ihren Kunden schon heute an, bestellte Ware noch am selben Tag zu liefern. Experten erwarten, dass dieser Service bald auch in Europa angeboten wird. Auch Google hat in den USA soeben erste Same-Day-Gehversuche gestartet. Eine Folge: Die Grüne Wiese ist passé, der Onlinehandel muss seine Distributionszentren näher an die Ballungsgebiete heranrücken – das zumindest prognostizieren die Marktforscher von Jones Lang LaSalle in einer aktuellen Studie. Die Einführung von Same Day könnte sich nicht nur für die KEP-Branche als Segen erweisen. „Gerade in der Zuführung der Distributionszentren können Spediteure aktiv werden“, sagt Horst Manner-Romberg, Unternehmensberater aus Hamburg. Gefragt seien hier zum Beispiel sogenannte „Milk Runs“, also regelmäßige Pendelverkehre. Manner-Romberg sieht beim Aufbau der Netzwerke sogar den Mittelstand im Vorteil: „Die großen Dienstleister haben zu starre Systeme.“ Seine Vision: Kleine Transportunternehmer nutzen geschickt ihre bestehenden lokalen Liefertouren, um sie mit der Belieferung der Same-Day-Zentren zu kombinieren. Ein Beispiel: Einer der besten KEP-Dienstleister in Stuttgart war jahrelang ein Unternehmen, das die lokalen Friseure mit Verbrauchsmaterial belieferte und die Pakete quasi nur „mittransportierte“. Sicher ist allerdings auch: Auf der letzten Meile muss sich etwas ändern. Geht es weiter so steil bergauf wie bisher, werden sich die Transportvolumina bis 2020 verdoppeln.Vor allem in den Innenstädten dürfte das Modell „drei Lieferwagen bringen jeweils ein Paket“ bald an seine Grenzen stoßen. Abhilfe versprechen hier Plattformen wie Tiramizoo oder Shutl. Sie bringen über eine Internetplattform lokale Händler mit lokalen Kurierdiensten zusammen, die dort zu fixen Preisen ihre Touren anbieten können. Damit wären dann solche Lieferkonzepte möglich: Der Kunde bestellt Ware im Netz, der Kurier holt sie in einem stationären Laden ab und steht noch am selben Tag mit dem Paket vor der Tür. Experten nehmen diese Konzepte durchaus ernst: „So kann der lokale Handel den Internetriesen Paroli bieten“, ist Branchenkenner Manner-Romberg überzeugt. Der britische Anbieter Shutl hat den Service bereits in 40 Städten ausgerollt und erreicht 75 Prozent der Bevölkerung. Schlussfolgerung: Kurierdiensten mit IT-Kompetenz, die gleichzeitig flexibel bei der Lieferung sind, könnten die Plattformen reichlich neue Kunden bescheren. Gezielte Kundenansprache zählt Wenn es um die Auswahl der Transportdienstleister geht, hat das in der Internet-Pionierzeit oft praktizierte Modell „WKW“ („wer kennt wen“) ausgedient. „Vieles ist professioneller geworden und läuft über Ausschreibungen“, beobachtet Thomas Lauber, Director E-Fulfillment bei Logwin in Aschaffenburg. Das Unternehmen hat unter anderem die Handelslogistik für die Trendmarke Bench übernommen. Frachtführern, die sich bei Webshops bekannt machen wollen, empfiehlt Lauber, sowohl auf einer der zahlreichen E-Commerce-Messen als auch auf Treffen der jeweiligen Branche mit einem Stand präsent zu sein (zum Beispiel Textil und Möbel). Dass Online- und Offlinelogistik aus einer Hand kommen, ist übrigens keineswegs Standard. „Vielerorts sind die Kanäle noch aus der Tradition heraus getrennt“, so Lauber. In der Praxis heißt das: Neuanbieter, die den Webshop als Kunden gewinnen wollen, treten in der Ausschreibung gegen den langjährigen Laden-Logistiker an. Was müssen Transport- und Speditionsfirmen bieten, um im Internethandel bestehen zu können? Zunächst einmal IT-Kompetenz. Klaus Dotzler von Hellmann zählt den geforderten Leistungskatalog auf. „Lückenlose Datenkommunikation, Tracking & Tracing, automatische Avisierung beim Kunden per Telefon oder E-Mail.“ Dass der eigentliche Transport von A nach B reibungslos verlaufe, werde natürlich vorausgesetzt, so Dotzler, „entscheidend ist, wie gut der Dienstleister die Datenkommunikation und somit den Prozess steuert.“ Ähnlich lautet das Urteil von Versandhandelsexperte Böckmann: „Was im E-Commerce in Zukunft zählt, ist die Convenience für den Endkunden.“ Lieferung zum Wunschtermin etwa werde bald Standard sein. „Der Auslieferer ist die Visitenkarte des Shops. Mangelt es hier an Qualität, fällt das auf den Händler zurück.“Auf welche weiteren Besonderheiten zudem bei Onlinekunden zu achten ist, lesen Sie im zweiten Teil der Serie in der Ausgabe VerkehrsRundschau 19/2013. ❙❚■ Constantin Gillies, freier Journalist, Eva Hassa Die Serie E-Commerce verändert die Transportwelt Die Revolution im Handel und ihre Folgen für Transporteure VR 18: Transport- und Lieferketten im Wandel VR 19: Onlineshops als Kunden finden und binden VR 20: Nadelöhr Privatkunde – so klappt die Zustellung VR 21: 3-D-Drucker: Chancen und Risiken für Logistiker Stichwort Fullfilment Fulfillment-Logisticservices Mit einem Klick einkaufen – so lautet das Versprechen der Online-Händler. Dafür, dass die Ware auch beim Kunden ankommt, sorgen sogenannte Fulfillment-Logistikdienstleister. Sie übernehmen für die Webshops oft Lagerhaltung, Kommissionierung, Verpackung und Versand. Auf Wunsch wird zusätzlich die kaufmännische Seite abgedeckt (Zahlungsabwicklung, Mahnwesen etc.). Wichtig im E-Commerce: Fulfillment-Dienstleister kümmern sich auch um Retouren (bei Zalando sind es 50 Prozent). Eine Auswahl führender Anbieter: Amazon: Externe Händler können ihre Ware im Versandzentrum des Internetkaufhauses einlagern und von Amazon verschicken lassen. Amazon tritt dabei öffentlich nicht als Lagerdienstleister in Erscheinung. Mit dem Transport werden die klassischen Paketdienstleister wie DHL beauftragt. DHL E-Parcel: Die Dienstleistung von Deutsche Post DHL für Internethändler: Auf Wunsch stellt DHL sogar den Webshop. Baur Fulfillment Solutions: Der Versender aus Burgkunstadt übernimmt mit diesem Service die Lagerung und Komissionierung. Für den Transport wird auf Dienstleister zurückgegriffen. Zu den Kunden gehören Fressnapf, Bon Prix, S.Oliver, etc. Arvato:. Das Tochterunternehmen von Bertelsmann übernimmt unter anderem für Marc O’ Polo das Fulfillment. E-Seller’s Friend: Das Unternehmen wickelt pro Jahr für Onlinehändler 500.000 Sendungen ab. Es verfügt über ein eigenes 12.000 Quadratmeter großes Lager. E-Seller‘s Friend ist ein Angebot der Stuttgarter Andreas Christ Spedition und Möbeltransport. cg Interview Sinkende Mengen in der Filialbelieferung Für welche Szenarien im Handel sich Spediteure rüsten müssen, sagt Martin Groß-Albenhausen, Geschäftsführer der BVH Services. E-Commerce erlebt derzeit einen wahren Boom. Wird der stationäre Einzelhandel von den reinen Online-Händlern Amazon & Co. in Zukunft völlig verdrängt werden? Martin Groß-Albenhausen: Der stationäre Handel vor Ort stirbt nicht aus. Das Internet wird zwar die Bestellmöglichkeiten von Produkten verändern, es wird aber immer Waren geben, die Endverbraucher anfassen wollen, bevor sie sie kaufen. Zudem errichten immer mehr Onlineshops Stores in Innenstädten. Was bedeuten diese Entwicklungen konkret für Spediteure und Transporteure? Wesentliche Neuerung ist: Immer mehr Handelshäuser wandeln sich zu Showrooms. Händler bieten also künftig nicht mehr das volle Produktsortiment, sondern ein Kernsortiment von gängigen Aktions- oder Trendprodukten. Endverbraucher können dann vor Ort ihr Produkt wählen oder konfigurieren lassen und sich dieses im Idealfall noch am selben Tage nach Hause senden lassen, wobei ich bezweifle, dass Same Day in Deutschland der große Trend wird. Für Spediteure bedeutet das: In der Filialbelieferung bricht künftig wohl Sendungsvolumen von Regalware weg. Andererseits entstehen mehr Zustellverkehre an Privatkunden oder bei der Abholung durch Privatkunden in Filialen. Diese wollen aber nicht auf viele lokale Zusteller täglich warten, sondern möglichst von einem oder zwei konsolidiert beliefert werden. Wie gerüstet sind Transport- und Logistikfirmen für die Wünsche der Privatkunden? Ich bin da sehr zufrieden. Es gibt inzwischen für fast jeden Produktbereich tolle Lösungen in der Transport- und Logistikbranche – egal ob es sich um die Zustellung von „weißer Ware“, Möbeln, Computern oder Textilien handelt. Anspruchsvoll ist aber die Zustellung von Lebensmitteln - vor allem in punkto Temperaturführung. Welche Logistik-Services bieten noch großes Wachstumspotenzial? Ziel aller Versandhändler ist es, die Cut-Offs-Zeiten noch weiter nach hinten zu legen, um spontane Bestellungen schnell zu liefern. Dafür benötigen sie das Know-how der Spediteure. Zudem bergen die beiden Themen „Retouren“ und „Bezahlsysteme“ noch viel Potenzial. eh Interview „Die Kommunikation mit Endkunden ist für viele Neuland“ Vor welche Herausforderungen der Online-Handel mittelständische Speditionen stellt und welche Chancen er bietet, sagt Patrick von Oy, Geschäftsführer der Rieck Logistik-Gruppe in Großbeeren bei Berlin. Welche Leistungen erbringt das Logistikunternehmen Rieck für Onlinehändler? Patrick von Oy: In der Regel übernehmen wir Leistungen innerhalb der Beschaffungslogistik, gerne auch für Luft- und Seefrachten, da die Händler ihre Ware oft aus aller Welt bekommen. Die Produkte werden dann in unserem Lager kommissioniert, verpackt und weiter verteilt. Wie haben Sie diese Kunden gewonnen? Dabei hat uns sicher unser Hauptsitz in Berlin geholfen, schließlich konzentriert sich hier seit einigen Jahren die E-Commerce-Branche. Viel läuft über Empfehlungen. Es gibt aber auch nur wenige Dienstleister, die die nötige IT-Kompetenz besitzen. Wir haben schon vor zehn Jahren die Weichen für die Endkundenbelieferung gestellt und das Geschäft sukzessive ausgerollt. Wie heikel ist die Privatkunden-Zustellung? Sendungen, die weniger als 31,5 Kilogram wiegen und unter den bekannten Größengrenzen liegen, verteilen wir über KEP-Dienste. Großvolumiges wie Möbel, Stühle oder Sessel verschicken wir mit unserer eigenen Spedition. Das ist eine große Herausforderung, weil Speditionskunden traditionell eher Firmen und weniger Privatpersonen sind. Das Avisieren von Sendungen und die Kommunikation mit dem Endkunden, um die Entsorgung von Paletten und Verpackungsmaterial zu klären, ist Neuland für viele. Privatpersonen haben aber mittlerweile Verständnis dafür, dass Logistikleistungen ihren Preis haben. Eine Palette von Berlin nach Freiburg zu transportieren, die Waren in den dritten Stock zu tragen plus eventuelle Retouren sind ein enormer Aufwand, der bezahlt werden muss. Alle Marktteilnehmer befinden sich aber noch in einer gewissen Lernphase. Welches Segment des Onlinehandels bietet für Logistiker die besten Chancen? Ganz klar der Bereich der großvolumigen Sendungen wie Weißware oder Möbel. cg „Wir rechnen auch im kommenden Jahr mit zweistelligen Wachstumsraten im E-Commerce“ Ingmar Böckler, Referent, Bundesverband des Deutschen Versandhandels „Entscheidend ist, wie gut ein Dienstleister die Datenkommunikation und den Prozess steuert “ Klaus Dotzler, Business Development Manager, Hellmann E-Commerce