Ochsen- statt Stierkampf

Die Fünfzigerjahre waren golden in Ulm: Das heimische "Goldochsen"-Bier floss in Strömen und Magirus erreichte auf deutschen Baustellen zeitweise über fünfzig Prozent Marktanteil. Das scheint in Turin keiner zu wissen. Denn beim Trakker beschränkt sich Iveco - seit den Siebzigerjahren Mutter von Magirus - auf nötigste Modellpflegemaßnahmen. Ob das reicht, um den Anschluss an die Konkurrenz zu halten, musste der auf 40 Tonnen ausgeladene Baubulle Iveco Trakker 260T45 beweisen. Der erste Eindruck ist positiv: Die Armaturentafel verfügt beim Vorführer über das optionale, zum Fahrer drehbare Multimediasystem, das mit einem kräftigen Zug oder Druck aus oder in die Waagerechte befördert werden kann. Übersichtliche Anzeigen, tief gezogene vordere Seitenfenster und eine Kleiderstange an der Rückwand zeugen von Praxiskenntnis. Ebenso wie der seitliche Tritt plus Galerie am Dach, um die Kippbrücke zu checken. Vorne schützt der bewährte dreiteilige Stahlstoßfänger. Sonst schlägt sich der mittlerweile mehr als 25 Jahre alte Rohbau wacker: An den Spiegeln und schlanken A-Säulen kann man gut vorbeisehen und die weit nach unten gezogenen Fenster erleichtern den Blick nach schräg unten. Schaltung kann ein Update vertragen Die treppenförmigen Stufen machen das Ein- und Aussteigen einfacher und die untersten Stufen klappen zumindest nach hinten weg. Die Tanks sind beide beifahrerseitig gepackt, während die Abgasbox fahrerseitig hängt und sich den Platz mit den Batterien teilt, an die man gut herankommt. Nach dem Dreh am Zündschlüssel fällt der Cursor 13 in leisen Leerlauf und punktet auch auf der übrigen Passage mit dezenten Manieren und Geräuschen. Die ZF-AS-Tronic samt der Schaltzeiten gefällt dagegen weniger. Im Standardmodus versucht der Trakker trotz voller Ausladung möglichst schnell die hohen Fahrstufen zu erreichen, was teils prinzipbedingt lange Schaltpausen bedeutet. Trotz kleiner Spreizung der automatisierten 16-Gang-Box "pausiert" sie vor allem zwischen den Gruppen so lang, dass man in anspruchsvollem Terrain besser manuell eingreift, was man offroad ohnehin tut. Der Cursor 13 punktet mit kräftigem Durchzug und hoher Drehfreude und gewann wie die meisten Wettbewerber durch Euro 6 noch mal an Standfestigkeit in niedrigen Drehzahlbereichen. Auch unter 900 Touren lässt sich das im Schweizer Arbon entwickelte Triebwerk nicht aus der Ruhe bringen, was der Fahrer vor allem in der Grube oder auf engen Serpentinenstrecken schätzt. Das spart die eine oder andere Rückschaltung - falls man manuell fährt. Denn die Eurotronic hat leider nicht so viel Vertrauen in die Steher-Qualitäten des Cursor 13 und springt sicherheitshalber gern mal zwei Gänge zurück. Wo der Trakker auf Stadtbus macht Bei der Verzögerung unterstützt die Motorbremse den Intarder, die Radbremsen sorgen rundum für eine gleichmäßige Verzögerung. Beim Heranrollen an Ampeln verzögern sie sehr gleichmäßig, um im letzten Moment fest zuzuschnappen. Befremdlich wirken im Kipper die aus den Stadtbussen stammenden Drücktaster für die Getriebe-Grundeinstellungen vorwärts/rückwärts/neutral. Dafür liegt die sonstige Getriebesteuerung gut bedienbar am Lenkstockhebel. Zwar bietet auch der Trakker einen Offroadmodus, der aber wie bei fast allen anderen Herstellern eher Hektik ins Schaltprogramm bringt. Nachdem auch Iveco auf Traxon umsteigen wird, bleibt zu hoffen, dass die neue ZF-Box mit einer neuen Iveco-eigenen Software mehr Intelligenz und Geschwindigkeit in die Schaltvorgänge bringt. Die Qualitätsoffensive trägt Früchte Die Lenkung findet einen feinen Kompromiss aus Exaktheit und Leichtgängigkeit und zeigt sich auch von tiefen Löchern oder Querfugen kaum beeindruckt. Allein der Verstellbereich des Lenkrades dürfte größer ausfallen: Selbst ganz geneigt "liegt" es noch ziemlich flach respektive dem Fahrer auf dem Schoß. Immerhin fasst es sich gut an. Überhaupt trug die Qualitätsoffensive Früchte: Selbst auf schlechten Wegen herrscht Ruhe im Bereich der Armaturentafel. Fehlt nur, dass Iveco dem Trakker das nervige Blinkerpiepen abgewöhnt. Erstaunlich komfortabel präsentiert sich die beim Testwagen komplett mechanische Federung: Beladen bügelt sie sämtliche Unebenheiten gut aus und selbst ohne Fracht "reitet" der Bulle noch manierlich. Aufbauseitig werden die mechanischen Bordwände durch kräftige Federn unterstützt, brauchen aber eine zupackende Hand. Das gilt auch für den Unterfahrschutz hinten mit seinem dreieckigen Profil. Dort bleibt allenfalls leicht feuchtes und entsprechend klebriges Schüttgut liegen. Die Gesamthöhe des Trakker bleibt mit 3,3 Metern im Rahmen, mit 12.530 Kilo Leergewicht gehört der 260T45 aber nicht zu den Leichten seines Segments. Dass der Trakker in Summe gute Anlagen hat und sich bis auf die lahme Schaltung keine groben Patzer leistet, bestätigt auch eine Facebook-Umfrage. Leider fehlen ihm aber auch herausragende Stärken, die zu entwickeln etwas mehr kosten würde. So wurden aus den einst wilden Ulmer Bullen zahme Ochsen aus Madrid: Brave Zugtiere, die einen guten Job machen, aber Potenzial für mehr hätten!

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