Brunsbüttel/Kiel. Die Schleusen des Nord-Ostsee-Kanals in Brunsbüttel sind derart heruntergekommen, dass nur noch kleine Frachter den Nord-Ostsee-Kanal befahren können. „Das ist ungefähr so, als dürften auf dem Frankfurter Flughafen keine Airbusse landen und auf der Autobahn zwischen Hamburg und Berlin keine Lkw fahren“, sagte Schleswig-Holsteins Wirtschaftsminister Reinhard Meyer (SPD). Die Landesregierung spricht von einem Skandal. Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) verlangte umgehend per Brief an Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) Soforthilfe vom Bund. Im Norden ist das Fiasko ein Riesen-Aufreger.
Der Bund sei schuld, heißt es im Norden fast unisono. Von den zwei großen und zwei kleinen Schleusenkammern in Brunsbüttel hält – noch – eine kleine durch. Zwar können zwei Drittel der Schiffe, die den Kanal benutzen wollen, das auch weiter tun. Aber es fehlen zwei Drittel der Fracht. 104 Millionen Tonnen wurden 2012 von 35 000 Frachtern auf dem 98,637 Kilometer langen Kanal befördert. Das zweitbeste Ergebnis aller Zeiten hängt mit dem Boom im Ostseeraum zusammen.
Die Schleusensanierung und der Bau einer dringend erforderlichen fünften Schleusenkammer sind längst überfällig, aber nicht in Gang gekommen. Deshalb sagten Experten das Desaster seit langem voraus. „Die Schleuse ist kurz vor dem Zusammenbruch“, warnte vor zwei Jahren der Ältermann der Kanal-Lotsenbrüderschaft in Kiel, Stefan Borowski. „Wir sind bestürzt und traurig über so viel Ignoranz gegenüber unseren Problemen“, sagt Borowskis Brunsbütteler Kollege Michael Hartmann, nachdem das Desaster eingetreten ist. 3500 Arbeitsplätze hängen allein in Schleswig-Holstein am Kanal.
Enorme Schäden durch die Sperrung
Die volkswirtschaftlichen Schäden – der Hamburger Hafen und die Exporte aus Süddeutschland sind direkt betroffen – sind enorm. Den Schaden für die maritime Wirtschaft infolge des Stillstands bei Sanierung und Kanalausbau schätzte Minister Meyer auf 200 Millionen Euro – das war vor der aktuellen Sperrung. Ein Drittel des Hamburger Umschlags für den baltischen Raum geht über die „nasse Autobahn“. Wenn alles läuft, kann eine der beiden großen Kammern in zwei Wochen wieder große Schiffe schleusen. Bis dahin müssen sie 460 Kilometer weiter um Skagen herum, was mindestens zehn Fahrtstunden mehr kostet, den Treibstoffverbrauch erhöht und die Umwelt belastet.
Viel Hoffnung aus Berlin kam am Donnerstag nicht: „Diesen Zustand werden wir in den kommenden sieben Jahren leider häufiger erleben“, kündigte der Parlamentarische Staatssekretär Enak Ferlemann an. Bis dahin soll die neue Schleusenkammer fertig sein. Für manche im Norden wirkte das wie eine Provokation. Wegen des Schleusen-Infarkts könnten Reedereien zunehmend überlegen, ihre großen Schiffe um Skagen in Nordjütland herum in die Ostsee nach Danzig, Helsinki und St. Petersburg zu beordern oder die Container in Rotterdam statt Hamburg auf kleinere Feederschiffe umzuladen. Das würde den Hamburger Hafen empfindlich treffen. (dpa)
Friedrich Wachholz