Nimmt die EU den Transit beim Mindestlohn aus?

Nachdem Nachbarländer wie Polen gegen die Anwendung des Mindestlohns bei Transitfahrern protestiert haben, prüft die EU, ob die entsprechenden Regelungen gegen Unionsrecht verstoßen. Glauben Sie, das 8,50-Euro-Gesetz hält dieser Prüfung stand? Nach meiner Überzeugung verstößt es nicht gegen das geltende europäische Recht, dass ausländische Lkw-Fahrer, die Deutschland ohne Be- und Entladung durchqueren, für diesen Streckenanteil mindestens 8,50 Euro pro Stunde bekommen müssen. Wie kommen Sie zu dieser Auffassung? Die strittigen Regelungen sind auf Transitverkehre anwendbar, weil unser Arbeitnehmer-Entsendegesetz besagt, dass in Rechtsvorschriften enthaltene Mindestentgeltsätze für jede Form von Arbeit gelten, die auf dem Territorium der Bundesrepublik erbracht wird. Dies trifft zum Beispiel auch für polnische Transportunternehmen zu, die im Rahmen grenzüberschreitender Dienstleistungen in Deutschland tätig werden. Grundlage für unser Entsendegesetz ist eine entsprechende Richtlinie der Europäischen Union. Worin besteht dann das Problem? Die Transit-Regelungen kann man nicht an der Entsenderichtlinie messen, sondern nur an der Dienstleistungsfreiheit. Das Recht, eine Dienstleistung in einem anderen Mitgliedstaat erbringen zu dürfen, ist eine von vier Grundfreiheiten des europäischen Binnenmarktes. Darin kann ein Land aber eingreifen, wenn ein öffentliches Interesse besteht. In diesem Fall wäre dies der Schutz der Arbeitnehmer vor Dumpinglöhnen. Wie wahrscheinlich ist es, dass Brüssel die Transit-Regelungen kippt? Ich halte es für möglich, dass das Ergebnis der EU-Prüfung zugunsten von Nachbarländern wie Tschechien und Polen ausfällt, die sich durch den deutschen Mindestlohn benachteiligt sehen. Branchenverbände warnten bereits davor, dass höhere Kosten im Transportgewerbe polnische und tschechische Unternehmen in die Pleite treiben würden. Das ist zwar nur Getöse. Aber die EU-Kommission hat in der Vergangenheit den Wettbewerb in Europa oft wichtiger genommen als Sozialstandards. Deshalb ist nicht auszuschließen, dass ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet wird. Dann entscheidet der Europäische Gerichtshof. Und ich bin optimistisch, dass er die Transit-Regelungen nicht kippt. 50 Spediteure und Transporteure aus Osteuropa und Deutschland fordern aktuell zusätzlich eine Befreiung von der Mindestlohnpflicht im grenzüberschreitenden Verkehr sowie bei Kabotagefahrten. Sie streben eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht an. Wie schätzen Sie deren Chancen ein? Solange die EU-Kommission keine Entscheidung getroffen hat, wie mit dem Mindestlohngesetz zu verfahren ist, verhandelt kein deutsches Gericht eine solche Klage. Inwiefern könnte Brüssel auch grenzüberschreitende Verkehre und Kabotagefahrten in Deutschland unter die Lupe nehmen? Bei einer Dienstleistung im Inland sehe ich keine Konflikte mit dem EU-Recht. Hierfür muss ab unserer Grenze der deutsche Mindestlohn gezahlt werden. Übrigens sind nur die Kontrollen bei Transitverkehren ausgesetzt, nicht das Mindestlohngesetz als solches. Ein deutscher Spediteur, der etwa einen tschechischen Transporteur beauftragt, Waren von Prag nach Paris zu befördern, muss also weiter darauf achten, dass der Auftragnehmer seinen Leuten für den deutschen Streckenanteil den Mindestlohn zahlt. Wenn dies nicht geschieht, könnte der Fahrer nämlich hinterher die fehlende Vergütung gegen den deutschen Auftraggeber einklagen. Mindestlohn für Transit ausgesetzt Berlin hat die Kontrollen der Mindestlohn-Regelungen für ausländische Lkw-Fahrer im reinen Transitverkehr bis zur Klärung europarechtlicher Fragen ausgesetzt. Die Bundesregierung gab damit dem Druck einiger Nachbarländer nach. Bisher galt die gesetzliche Lohnuntergrenze von 8,50 Euro für jede Arbeit, die auf deutschem Boden stattfindet. Die EU-Kommission soll die strittigen Rechtsfragen bis zum Sommer prüfen. ag

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