Mit fünf Maßnahmen in die Gewinnzone

Haben Sie den Wechsel von Siemens zu DB Cargo schon bereut? Nein, überhaupt nicht. Es ist ein hochspannendes Umfeld, in dem ich tätig bin. Aber eines, das geprägt ist von roten Zahlen. In meiner beruflichen Laufbahn war ich schon vorher auch in Branchen tätig, in denen die Zahlen nicht besonders positiv ausgefallen sind. Ich habe es immer wieder als eine besondere Herausforderung empfunden, in einem solchen schwierigen Umfeld Veränderungen anzugehen. Daher gehe ich die Aufgabe derzeit mit Spaß, aber auch mit dem notwendigen Verantwortungsbewusstsein an. Hat Ihnen dann das erste Halbjahr auch viel Spaß bereitet? (lacht) Sie glauben es vielleicht nicht, aber trotz der finanziell nicht sehr positiven Zahlen habe ich im ersten Halbjahr 2016 dennoch viel Freude bei der Arbeit gehabt, weil wir unsere Struktur gemäß unserem Programm "Zukunft Bahn" aufgesetzt und weiterentwickelt haben. Die nächste Herausforderung ist jetzt, wie wir das zeitnah im Einvernehmen mit der Arbeitnehmervertretung umsetzen können. Die Zahlen im ersten Halbjahr 2016 waren aber nicht berauschend für DB Cargo. Nein, damit sind wir auch nicht zufrieden. Aber man kann die Zahlen nicht bewerten, ohne einen Blick in die Vergangenheit zu werfen. Wir haben die letzten Jahre jedes Jahr Marktanteile verloren. Jetzt müssen wir diesen Trend zunächst mal stoppen, um dann ab 2018 wieder Marktanteile hinzuzugewinnen. Dazu müssen wir verschiedene Maßnahmen umsetzen. In dieser Phase befinden wir uns gerade. Da war klar, dass eine spürbare Verbesserung derzeit noch nicht möglich ist. Die Durststrecke hält noch an, zumal die Konjunktur, insbesondere in einer unserer klassischen Branchen, dem Montanbereich, schlechter verlief als vorhergesagt. Das trifft uns natürlich. Mit welchen Stellhebeln wollen Sie DB Cargo wieder in die Gewinnzone führen? Im Wesentlichen sind es fünf Veränderungen: Erstens wollen wir die Produktion, also die Transportprozesse, stabiler und robuster machen. Dazu werden wir die Züge in einzelne Produktionsbilder unterteilen. Das hat den Vorteil, dass wir im Vergleich zu heute kleinere Lokumläufe haben. Die können wir dann besser qualitativ steuern und so Verspätungen vermeiden. Der zweite Hebel: Wir wollen die Produktivität der Lokführer verbessern. Die Zeit, in der die Lokführer ihre ureigene Tätigkeit ausüben, ist im Vergleich zu Wettbewerbern zu gering. In einem ersten Schritt nehmen wir uns vor, mindestens zehn Prozentpunkte besser zu werden. Der dritte Hebel? Wir wollen unser Produktionssystem grundlegend reformieren. Wenn wir von Nord- nach Süddeutschland oder grenzüberschreitende Transporte fahren, sind bis zu neun Organisationseinheiten daran beteiligt. Zukünftig wollen wir die Start- Ziel-Verantwortung für unsere Züge entlang von drei Produktionskorridoren steuern. Der vierte Hebel ist die Optimierung im Nahbereich: Wir fahren bundesweit 1500 Güterverkehrsstellen an. Wir wollen jetzt knapp unter 200 Güterverkehrsstellen nicht mehr bedienen und würden dabei einen Umsatz von nur drei Millionen Euro verlieren. Der letzte Hebel? Der Vertrieb wird sich künftig in drei Bereiche gliedern: den Industrial-Bereich, darunter fällt vor allem das Massengut. Den Logistics-Bereich, wo wir unseren Kunden bahnspeditionelle Leistungen anbieten wollen und schließlich den Intermodal-Bereich. Einhergehen soll diese Neueinteilung mit einer intensiveren Betreuung unserer Kunden. Wann sollen diese Neuerungen umgesetzt sein? Die wesentlichen Änderungen bis zum 1. Januar 2017. In einigen Bereichen wie bei den Transportabläufen und den Korridoren befinden wir uns noch in Gesprächen mit den Arbeitnehmervertretern. Die Maßnahmen sind Teil des Programms Zukunft Bahn. Darin ist das Ziel formuliert, die Pünktlichkeit auf 95 Prozent zu erhöhen bis 2020. Ein ziemlich ehrgeiziges Ziel. Das ist in der Tat sehr ehrgeizig. Wir sprechen an dieser Stelle jedoch nicht ausschließlich von Pünktlichkeit, sondern davon, unser Versprechen gegenüber dem Kunden zu 95 Prozent zu erfüllen. Was ist der Unterschied gegenüber der Pünktlichkeit? Kundenversprechen bedeuten mehr als nur pünktliche Transporte. Natürlich macht die Pünktlichkeit einen wichtigen Teil aus. Aber dazu gehört beispielsweise, wie wir den Kunden informieren, wenn mal etwas schiefläuft. Denn eine gute Kundenzufriedenheit hängt auch viel damit zusammen, wie der Kunde mit Informationen versorgt wird. Im ersten Halbjahr 2016 hat sich die Pünktlichkeit leicht um einen Prozentpunkt auf 75,7 Prozent verbessert. Da müssen Sie noch an Tempo zulegen, wenn Sie auf 95 Prozent kommen wollen. Das ist absolut richtig und wir arbeiten mit Hochdruck daran. Wir drehen zwar jetzt schon an Stellschrauben, um die Pünktlichkeit zu verbessern. Aber die fundamentalen Änderungen, die ich vorhin geschildert habe, die unsere Verkehre stabiler und pünktlicher machen, mit denen wir die Lokumläufe verringern und eine bessere Planbarkeit erreichen wollen, die werden erst noch wirksam. Sie wollen sich auf stabile Verkehre konzentrieren und Verkehre abgeben, die nicht so stabil laufen. Andererseits wollen Sie auch wachsen. Ein Widerspruch? Wir wollen uns nicht nur auf stabile Verkehre fokussieren, da muss ich klar widersprechen. Wir teilen zwar ein nach robusten und volatilen Verkehren. Den Anteil volatiler Verkehre wollen wir aber auch halten, denn es sind zum Teil wirtschaftlich gute Verkehre, die wir nach entsprechender Ressourcenprüfung fahren. Und wenn es nicht zu den gewünschten Zeiten geht, dann bieten wir Alternativen an. Damit können wir auch die Qualität halten, die wir versprechen. Wir wollen ein Produktionssystem, in dem wir eine hohe Grundauslastung mit robusten Verkehren haben und zusätzlich volatile weiter fahren können. Die Ziele, die Sie sich vorgenommen haben - Pünktlichkeit, stabile Verkehre, eine deutlich positive Rendite - sind nicht neu. Daran haben sich alle Ihre Vorgänger abgearbeitet, vergeblich. Warum sollte das ausgerechnet Ihnen jetzt gelingen? (lacht) Das ist eine berechtigte Frage. Aber da gibt es eine Reihe von Aspekten. Angefangen beim Konzern: Der hat sich seit Sommer letzten Jahres das Thema Zukunft Bahn geschäftsfeldübergreifend auf die Fahne geschrieben, und zwar in einem Ausmaß, wie es das zuvor nicht gab. Zum anderen haben wir einen Satz von Hebeln identifiziert, der über das hinausgeht, was in der Vergangenheit diskutiert wurde. Und zum dritten sind Maßnahmen in der Vergangenheit nicht in der Konsequenz umgesetzt worden, wie wir es heute für nötig halten. Deshalb möchte ich betonen: An der Umsetzung festzuhalten, das ist uns und mir wichtig. Wir führen intern zum Teil harte und sehr konstruktive Diskussionen darüber, auch mit den Arbeitnehmervertretern. Aber wir müssen die notwendigen Schritte umsetzen, wenn wir DB Cargo wieder zu einem erfolgreichen Unternehmen machen wollen. Der Kombinierte Verkehr (KV) gilt als Wachstumsmarkt. Auch in Ihrem Haus? Ja, der KV ist bei uns der Wachstumstreiber. Der Trend zur Containerisierung hält an. Wir wollen an diesem Wachstum teilhaben. Andere Bereiche wie Montan oder Chemie, in denen wir heute stark sind, stehen vor Strukturveränderungen. Dort werden wir weniger stark wachsen als im KV. Mit welcher Wachstumsrate rechnen Sie? Wir rechnen mit einem jährlichen Marktwachstum im KV von bis zu drei Prozent. Wir wollen daran partizipieren beziehungsweise wenn wir unsere Hausaufgaben gemacht haben und eine hohe Auslastung erreichen, wollen wir auch Marktanteile hinzugewinnen. Ist auf der Infrastruktur genügend Platz für das Wachstum? Stichwort Trassenverfügbarkeit und Terminalengpässe. Die Infrastruktur spielt sicher eine Rolle. Die Trassen können aber noch mehr Verkehre aufnehmen, wobei es zu bestimmten Zeiten auf bestimmten Routen schon mal eng werden kann und daher für Alternativen gesorgt werden muss. Dazu gehört auch die Forderung, endlich die Voraussetzung für längere Güterzüge zu schaffen: 740 Meter lange Züge fahren zu können, muss deutschlandweit auf allen wichtigen Trassen möglich sein. Da geht kein Weg daran vorbei. Investieren der Staat und DB Netz genug, damit diese Forderung erfüllt wird? Wir haben diese Maßnahme ja im Bundesverkehrswegeplan platziert und werben sehr dafür, dass sie auch Berücksichtigung findet, weil damit die Wettbewerbsfähigkeit des Schienengüterverkehrs im Vergleich zu anderen Verkehrsträgern deutlich verbessert werden kann. Aber das ist nicht der einzige Aspekt: Die Trassengebühren sind ein Thema, gerade im Vergleich zu den Nutzungsentgelten, die der Lkw zu zahlen hat. Auch den größeren Bedarf an Terminalkapazitäten in Europa bei steigenden Volumina muss man genau beobachten. Der KV bei DB Cargo hat in der Vergangenheit rote Zahlen geschrieben. Trifft das nach wie vor zu? Wir schreiben als DB Cargo insgesamt leider im Moment keine schwarzen Zahlen. Der KV kann diesen Gesamttrend nicht stoppen. Ist ein Grund für die wirtschaftlich magere Bilanz des KV der fehlende direkte Kundenkontakt? Sie sind damit von Operateuren und Spediteuren abhängig, die DB Cargo Mengen liefern. So sehe ich das nicht. Natürlich gibt es über die Wertschöpfungskette Stufen, in denen man unterschiedlich gut Geld verdienen kann. Das liegt in der Natur der Sache. Wir müssen unsere Hausaufgaben machen, um als Carrier attraktiv zu bleiben. Dann werden wir auch mehr Geld im KV verdienen. Im Übrigen sind wir ja als Operateur mit der Transfracht tätig, mit der Beteiligung an Kombiverkehr zu 50 Prozent, und bieten auch Bahnspeditionsleistungen an. Diese Leistungen wollen wir ausbauen. Das heißt aber nicht, dass wir unsere Grundstruktur fundamental ändern. Ist das System KV mit seinen vielen Akteuren zu kompliziert, um es mit dem Lkw aufnehmen zu können? Nein. Aber das System ist komplex, das ist richtig. Als Dienstleister sorgen wir dafür, dass der Kunde davon nichts merkt. Die Schiene als Bestandteil des KV bietet aber zum Beispiel den Vorteil, ganz andere Volumina transportieren zu können als der Lkw. Denken Sie nur an die Häfen: Ohne die Bahnen wäre in vielen Häfen ein geordneter Zu- und Ablauf kaum vorstellbar. Aber sicher stehen wir im intensiven Wettbewerb zum Lkw. Muss DB Cargo günstiger werden, um diesen Wettbewerb für sich zu entscheiden? Wir müssen unsere Kostenstrukturen optimieren und unsere Qualität verbessern. Wenn wir das schaffen, können wir ein wichtiger Anbieter bleiben. Die Staus auf den Autobahnen werden von Jahr zu Jahr länger. Da kann es gar nicht funktionieren, das prognostizierte Wachstum nur mit dem Lkw abzuwickeln. Die Schiene hat hierbei eine ganz wichtige Rolle und wir als DB Cargo wollen unseren Beitrag dazu leisten. Der Einzelwagenverkehr (EWV) ist mindestens so komplex wie der KV. Ist der Einzelwagenverkehr ein Segment, das sich auf Dauer rechnet? Der EWV macht etwa 30 Prozent unserer Mengen aus. Durch unser breites Netzwerk sind wir gut aufgestellt, dieses Geschäft auch weiterhin zu betreiben. Dazu gehört auch die Produktionsgemeinschaft X-Rail mit verschiedenen anderen europäischen Bahnen, die diesen Effekt im grenzüberschreitenden EWV nochmals stärken kann. Wir halten daher auch in Zukunft am EWV fest. Auch wenn verschiedene Partner aus dem Ausland bei X-Rail immer wieder mit dem Gedanken spielen, sich aus dem EWV zurückzuziehen? Wir sind die größte Güterbahn in Europa und haben als solche ein großes Netzwerk, auch außerhalb Deutschlands. Dieses Netzwerk versetzt uns unter allen europäischen Bahnen sicher am ehesten in die Lage, einen EWV zu unterhalten. Vita Jürgen Wilder Wilder, geboren 1970, ist seit dem 1. Dezember 2015 Vorstandsvorsitzender der DB Cargo. Er löste Alexander Hedderich ab, dem es nicht gelungen war, den Schienengüterverkehr dauerhaft in die Gewinnzone zu führen. Wilder kommt von der Siemens AG, wo er zuletzt Chef der Sparte Hochgeschwindigkeits- und Regionalzüge war. Auf diesen Posten wurde er 2013 gehievt, nachdem es Verzögerungen bei der Auslieferung neuer ICE-Züge an die Deutsche Bahn gab. Wilder ist Physiker. Nach seinem Studium in Göttingen promovierte er am Max-Planck-Institut in Mainz und arbeitete anschließend an der Harvard University in Cambridge, Massachusetts. Im Jahr 2000 kam er zu Siemens und bekleidete dort verschiedene Positionen. cd Daten & Fakten DB Cargo Die Deutsche Bahn (DB) befindet sich im Umbruch. Ablesen lässt sich dies am Programm "Zukunft Bahn", in dem quer über alle Sparten Maßnahmen festgehalten werden, um die DB zukunftsfähig zu machen. Zahlreiche Baustellen gibt es bei der Schienengüterverkehrstochter DB Cargo. Die hat im letzten Jahr ein Ebit von minus 183 Millionen Euro eingefahren. Das erste Halbjahr 2016 verlief mit minus 53 Millionen Euro nicht viel besser, da es im Gegensatz zum ersten Halbjahr 2015 keine Behinderungen durch Wettereinflüsse oder Streiks und keine außerordentlichen Abschreibungen gab. Nun soll Wilder die Wende einleiten: In Zukunft Bahn ist unter anderem die Rede davon, bis 2020 eine EBIT-Marge von plus 5 Prozent zu erzielen. cd

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