MAN TGM HRB

MAN TGM HRB Den Geist aus der Flasche lassen Mit dem TGM HRB präsentiert MAN zur Ifat einen hochinteressanten alternativen Antrieb, der bis zu 15 Prozent Sprit sparen und sich binnen sechs Einsatzjahren amortisieren soll – vorerst aber nur als Müllsammelfahrzeug. Es klingt ein bisschen so, als würde jemand Luftballons aus einer Gasflasche aufblasen: Wenn der MAN-TGM-Versuchsträger mit Hydraulik-Hybrid seine beiden Flaschen an der Kabinenrückwand wieder auffüllt, dringt ein hochtonal-quietschendes Geräusch ans Ohr des Fahrers. Richtig laut ist das nicht. Aber eben doch anders. Oder besser gesagt, ein weiteres Geräusch zu den gewohnten Lautäußerungen des 6,9-Liter-Reihensechszylinder-Motors. Beim Beschleunigen dagegen ist es weniger das Geräusch, als vielmehr das subjektiv empfunden andersartige Anfahren, das der TGM HRB realisiert. Klar, das Dreiachs-Prototypen-Fahrgestell, noch auf Basis des alten Euro-5-Modells ausgeführt, ist unbeladen. Man bekommt den Eindruck kontinuierlich nachdrücklichen Schubs vom Start weg, den man aus der eher zäh antretenden Standard-Version (siehe Test VR 3/2014) des 290er-TGM so nicht kennt. Und genau das ist der Job des „Hydraulisch Regenerativen Bremssystems“ (HRB), das MAN gemeinsam mit Bosch Rexroth in den TGM implantiert hat und zur Ifat als „grüne Alternative“ für den Müllsammeleinsatz serienreif präsentiert: Der Hydraulik-Hybrid soll den Dieselmotor beim Beschleunigen entlasten und so zu niedrigeren Verbräuchen verhelfen. Entlastung für den Dieselmotor Im Müllsammeleinsatz rechnet MAN mit bis zu 15 Prozent Spritersparnis, die sich durch das System erzielen lassen. Das Prinzip ist dabei ebenso einfach wie die Komponenten bewährt. Per hydraulischer Pumpen-Motor-Einheit wird beim Bremsen ein Blasenspeicher mit Hydrauliköl befüllt. Der ist über ein Zwischengetriebe mechanisch mit dem Gelenkwellenstrang verbunden. Beim Bremsen setzt also das aus dem Hydrauliktank in den Druckspeicher einströmende Öl die durch eine Membran getrennte Gasfüllung in den Flaschen unter Druck. Und umgekehrt steuert beim Beschleunigen das System den gespeicherten Druck aus den Flaschen in den Antriebsstrang ein, bis zu 1100 Nm jeweils. Das bedeutet weniger Anstrengung für den Motor, sprich weniger Verbrauch. Die sonst als Wärme verpuffende Bewegungsenergie, die beim Bremsen entsteht, ist so auf elegante Weise gespeichert. Bis auf ein dezentes Rucken bekommt der Fahrer von alledem nicht viel mit. Über 40 km/h klinkt sich das System ebenso unauffällig und sinnvollerweise aus, darunter wieder ein. Die Tipmatic stuft spürbar früher hoch und überspringt die Gänge, dem Zusatzschub entsprechend locker. Sind die Speicher beim Anbremsen auf die nächste Mülltonne schnell wieder voll, bleibt die verzögernde Leistung des HRB-Systems dennoch erhalten. Denn beim Bremsen agiert der HRB im Prinzip wie ein Retarder – und in der Tat auch bei Bergabfahrt kaum schwächer. Sobald der Fahrer vom Gas geht, wird das Fahrzeug wie von einem unsichtbaren Seil gehalten so massiv verzögert, dass sich Beibremsen fast ganz erübrigt. Man fährt wirklich mit dem Gaspedal. Um punktgenau an der nächsten Mülltonne zu „landen“, braucht der Fahrer etwas Übung. Ansonsten ist das System aber denkbar unkompliziert. Entsprechend wenig Probleme gibt es bisher in der Praxis bei den zwei französischen Entsorgungsunternehmen Sepur und Veolia. „Die ungeübten Fahrer haben hier sofort Spriteinsparungen von zwölf Prozent erreicht“, berichtet der Projektverantwortliche bei MAN, Frederik Treugut. Mit etwas Training sei da noch mehr drin. Deshalb rechnet MAN in einer Modellkalkulation mit einer Amortisation über die Spritersparnis binnen sechs Jahren, spezifisch im Müllsammeleinsatz bei einer Jahreslaufleistung von 28.000 bis 30.000 km. Der Verbrauch sinke in diesem Einsatz von 82 auf 72 l/100 km. Dazu komme der bei permanentem Stop&Go beträchtliche Bremsverschleiß, den MAN auf 1600 Euro jährlich taxiert und der durch HRB halbiert werde. „Das ist aus unserer Sicht ein klarer Business Case für diesen Einsatzfall“, erklärt Treugut. Und eine ganz andere Perspektive, als sie die MAN-Ingenieure im Falle des „konventionellen“ Diesel-Elektro-Hybrid sehen (siehe Kasten Seite 48). Treugut führt weiter an, dass es sich bei der Hardware von Bosch-Rexroth sowie dem aus dem Schneeräumbereich bekannten Hydraulikspezialisten Aebi Schmidt nicht um komplexe Akkutechnik handle, sondern um bewährte Komponenten, deren Wartung jede LKW-Werkstatt übernehmen könne. „Die 325 bar Maximaldruck sind kaum der Rede wert, wenn man etwa Flugfeldräumfahrzeuge mit Schmidt-Technik vergleicht“. Zum Beweis fasst der Ingenieur furchtlos an Leitungen und Schläuche: „Da dringt kaum Hitze durch“, erklärt er. Volle Integration ins Bremsmanagement Im Gegensatz zu dem Prototypen, den MAN bereits zur letzten Ifat 2010 im wahrsten Sinne mit einem aufgesetzten HRB „einfach mal in den Raum gestellt“ hatte, ist das aktuelle HRB-System voll in den Antriebsstrang eingebunden, Garantie und Rechnung entsprechend aus einer Hand. Besonders auf die Integration ins Bremsmanagement und ins seit Januar gesetzlich verpflichtende adaptive ESP sind die MAN-Ingenieure stolz. Und auch darauf, dass man auf Basis eines leichten und wendigen TGM-Fahrgestells trotz 500 Kilo Mehrgewicht des HRB als 26-Tonner sogar 500 Kilo Vorteil zu einem konventionellen TGS-Müllsammler bei der Nutzlast hat. Durch die kompakte Bündelung in einen Metallkäfig hinter der Kabine bleibt zudem die Aufbaufreudigkeit voll erhalten, auch ein Vorteil gegenüber Elektro-Hybriden mit rahmenseitigen Einschränkungen. „Für uns war es wichtig, dem Kunden ein System an die Hand zu geben, mit dem er sofort arbeiten kann. Devise war: Keep it simple“, beschreibt Frederik Treugut die Leitschnur bei der Entwicklung, die übrigens von den innovationsfreudigen Technikern der Berliner Stadtreinigung BSR angestoßen wurde. Klingt nicht verkehrt, auch wenn HRB ein wenig quietscht. ❙❚■ Johannes Reichel „Keep it simple. Wir wollten ein System, mit dem der Kunde sofort arbeiten kann“ Frederik Treugut Projektleiter Vertrieb HRB bei MAN technische daten Motor Sechszyl.-Reihen-Diesel, Common-Rail, var. Turbo, vier Vent. pro Zyl., LLK, Euro 5 und Euro 6, Hubr.: 6871 cm3, Leistung: 290/340 PS (213/250 kW) bei 2200/min., Hydraulisch Regeneratives Bremssystem (HRB), 145 l Tank, 233 kW Bremsleistung, 1100 Nm Start/Bremsdrehmoment; max. Drehmom. Diesel: 1150/1250 Nm ab 1200-1750/min., Service: 80.000 km, Bremsen alle zwei Jahre Kraftübertragung&Chassis automatisiertes 12-Gang-Schaltgetriebe MAN Tipmatic ZF AS1210 OD, 6x2-4-Fahrgestell mit gelenkter Nachlaufachse, 26 to zul. GG. solo Die Müllsammelfahrer kamen sofort mit HRB klar und sparten auf Anhieb zwölf Prozent Sprit 500 Kilo Mehrgewicht kompensiert MAN mit der leichten TGM-Basis – mehr Nutzlast als der TGS Alternative Antriebe von MAN Kaum Chancen für TGL Hybrid – Vision E-LKW mit Range-Extender Wenn es um das Thema Hybrid-LKW im Sinne der Kombination von Diesel- und Elektromaschine ging, waren die Kommentare von MAN immer auffällig unauffällig: „Wir experimentieren damit, sehen aber keinen Business Case dafür“, hieß es gebetsmühlenartig. Und auch wenn sich der Prototyp des TGL Hybrid nicht schlecht fuhr, so war er doch für die MAN-Entwickler nicht mehr als eine „Fingerübung“, um einen möglichen Weg auszuloten. Entsprechend im Abseits steht der TGL-Prototyp auf dem Areal der MAN-Teststrecke 2, während wir mit dem TGM Hydraulik-Hybrid unsere Runden drehen. Die MAN-Ingenieure verwundert es nicht, dass die Hybrid-Versuche von Iveco, vor allem aber vom Erzrivalen Mercedes, offenbar in den Kinderschuhen stecken bleiben. Der Atego wird in einer Art Leasingmodell ausgewählten Kunden fast wie in einem größeren Feldversuch angedient. Einzig den Wettbewerbern von Fuso zollt man hohen Respekt für ihren serienreifen Fuso Canter Hybrid. Dem gelingt es eben doch, einen Business Case darzustellen (8500 Euro Aufpreis gegenüber dem Standardmodell, s. VR 11/2014), den MAN derzeit für ausgeschlossen hält. Die Japaner hätten da – siehe Toyota – einen Riesenvorsprung, heißt es. Einen Vorsprung vor den Japanern hat MAN dagegen mit dem Metropolis-Projekt. Fuso arbeitet zwar auch an einem rein elektrischen Canter, doch einen E-Truck der 28-Tonnen-Klasse, dem zudem ein Range-Extender in Form eines V6-Diesel zu mehr Reichweite verhilft, das gibt es selbst im experimentierfreudigen Japan noch nicht. Schon im vergangenen Jahr hatte die VerkehrsRundschau die Gelegenheit, diesen Truck zu fahren (siehe Ausgabe 16/2013), den die MAN-Leute aber als „Zukunftsmusik“ bezeichnen, während man den TGM Hydraulik-Hybrid direkt in die Gegenwart verortet. Nichtsdestotrotz ist es noch ein ganzes Stück faszinierender, wenn sich der Müllsammel-LKW fast lautlos, untermalt von leisem Surren in Bewegung setzt. Der Antritt des 203-kW-Motors ist so spontan, wie man das von Elektrofahrzeugen kennt. Das Aggregat schöpft aus 105 kW/h großen Akkus, die für eine Tagesschicht mit zwei Sammelzyklen reichen sollen, auch weil das System bei unseren Proberunden eifrig rekuperiert. Und für den Notfall weiß man ja den „guten alten“ Diesel als Reichweitenverlängerer an Bord, der den Akkus neues Leben einhaucht. jr Fahrbericht

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