Logistik 4.0 - ein Trend mit Folgen

Der Herr Professor wird ernst. "50 Prozent der Unternehmen, die sich nicht genug mit IT-Themen beschäftigen, werden in den nächsten Jahren in Schieflage kommen", warnt Michael ten Hompel, geschäftsführender Institutsleiter am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML. Die Befürchtung des Wissenschaftlers: Viele Unternehmen sehen den Wandel, der durch die Digitalisierung auf sie zukommt, nur als alten Wein in neuen Schläuchen. Selbst bei einigen großen Konzernen sei das Thema noch nicht ausreichend angekommen. Dabei sei die Wucht des Wandels nicht zu unterschätzen - weder in Industrie und Handel noch in der Logistik. Gerade in der Logistik sieht ten Hompel ein Vordringen sogenannter hybrider Geschäftsmodelle, bei denen physische Warenbewegungen und informationslogistische Dienstleistungen Hand in Hand gehen. Individualisierte Produktion Treiber der Entwicklung ist derzeit vor allem die Industrie: Sie verspricht sich unter dem Schlagwort "Industrie 4.0" von der Digitalisierung mehr Transparenz über ihre Supply Chains, um beispielsweise Sicherheitsbestände abbauen zu können und Lieferrisiken zu verringern - aber auch um die vorherrschende Massenproduktion durch individualisierte Produktion zu ersetzen. Die Herausforderung dabei: Kleine Losgrößen sollen zu Kosten eines Massenproduktes hergestellt werden. Andreas Reutter, Mitglied der Geschäftsleitung des Zentralbereichs Einkauf und Logistik der Bosch-Gruppe, beschreibt die bisherigen Mängel so: "Wir haben als Industrie heute nur bedingte Transparenz über Ort der Waren, Abhol- und Ankunftszeit, Transportqualität und Störungen." Informationen müssten sich die Supply Chain Manager manuell selbst besorgen - für vernetzte Industrieunternehmen nicht hinnehmbar. Das beklagt der Top-Manager auf dem Zukunftsforum Logistik in Dortmund. Um diese Lücke zu schließen, sind die Industriebetriebe deshalb auf die Zusammenarbeit mit ihren Lieferanten und mit den Logistikdienstleistern angewiesen. Bisher wurden Waren während des Transportprozesses an den Schnittstellen gescannt und der Status dann an den Auftraggeber übermittelt. Daten in Echtzeit Das reicht nicht mehr: Für Industrie 4.0 benötigen Unternehmen wie Bosch den Echtzeitstatus ihrer Ware - zum Beispiel die genaue Position des Lkw, eventuelle Verspätungen oder sogar Transportschäden. Solche Informationen können beispielsweise Sensoren liefern, die in den Lkw, Transportbehältern oder der Verpackung eingebaut sind. Die Bedingung: Die Daten zwischen Lkw, Spedition und Empfänger fließen ohne Medienbrüche in Echtzeit. In welche Richtung die Digitalisierungsbemühungen in Industrie und Handel gehen, zeigt die gemeinsame Studie "Digital Supply Chains" der Strategieberatung A.T. Kearney und der WHU Otto Beissheim School of Management. 60 Verladerunternehmen, davon etwas mehr als ein Drittel aus Deutschland, wurden zu ihrer Digitalisierungsstrategie befragt. "Die Supply-Chain-Management-Studie hat ergeben, dass die Verlader im Zeitraum 2015 bis 17 sehr stark in IT-Integration und -Applikationen im SCM investieren - mehr als in den drei Jahren zuvor", sagt Sven Rutkowsky, Principal bei A.T Kearney (siehe Interview Seite 28). Auch die Investitionsschwerpunkte sind aus der Studie klar ersichtlich. An der Spitze der Investitionsvorhaben steht nach wie vor die unternehmensinterne IT-Integration, in die 70 Prozent in den kommenden zwei Jahren relevante oder hohe Beträge investieren wollen. Mit 53 Prozent folgen unternehmensübergreifende IT-Integration mit Lieferanten, Dienstleistern und Kunden sowie Big-Data-Analysen (48 Prozent). "Der hohe Stellenwert von Big Data Analytics hat uns überrascht", so Rutkowsky. Der Fokus liegt dem Berater zufolge auf der Verbesserung des Forecastings zur Reduzierung der Inbound- und Outbound-Lagerbestände und der integrierten Optimierung von Losgrößen vom Einkauf über die Produktion zum Versand. Als Nutzen werden neben Kostenvorteilen vor allem höhere Flexibilität und geringere Risiken erwartet. Herausforderung Logistik 4.0 Auch in der Frachtabwicklung erwarten die befragten Unternehmen Veränderungen: 68 Prozent rechnen damit, dass Frachtdokumente schon kurzfristig verstärkt papierlos ausgestellt, übertragen und archiviert werden. 45 Prozent glauben, dass sie ihre Frachtführer über E-Plattformen direkt auswählen und beauftragen können. In diesem Umfeld ist für Logistikdienstleister eine enge IT-Vernetzung mit dem Kunden also unumgänglich. Dabei wird es jedoch nicht bleiben. In bestimmten Transportsegmenten könnte sich die Wettbewerbslandschaft komplett verändern, meint Hansjörg Rodi, Vorstandsvorsitzender von Schenker Deutschland - aus Industrie 4.0 wird für die Dienstleister "Logistik 4.0". Als Beispiel nennt Rodi das Brokerage-Geschäft mit Komplettladungen - also Full Truck Load und Full Container Load. Dieses Geschäft könnte in Zukunft verstärkt über digitale Plattformen organisiert und abgewickelt werden, vermutet der Schenker-Manager. Bisher werden an den elektronischen Frachtenbörsen vorwiegend Spotmarktladungen gehandelt. Das Hauptgeschäft läuft über die Disposition der großen Speditionen. Der Mehrwert, den die Speditionen mit ihrer Dienstleistung schaffen: Sie übergeben die Ladung an ein Transportunternehmen - und dadurch, dass sie die Transportleistung für mehrere Kunden einkaufen, erzielen sie dabei in der Regel günstigere Preise. Dieses Geschäftsmodell sieht Rodi potenziell durch Anbieter aus der IT-Branche gefährdet - analog zum Konzept von Uber, das mit einer App den klassischen Taxiunternehmen das Leben schwer macht. Trotzdem überwiegen laut Rodi bei der Digitalisierung die Chancen für Spediteure. In Stückgutsystemen, der Luftfracht und der LCL-Seefahrt könnten die speditionellen Services mithilfe von intelligenten Transportbehältern und Big-Data-Analyse-Verfahren deutlich effizienter werden. Auch die Kontraktlogistik profitiert seiner Ansicht nach von neuen Technologien im Warehouse und digitaler Interaktion von IT-Systemen der Verlader und der Logistikdienstleister. In einem Entwicklungslabor entwickelt und erprobt die Konzernspedition gemeinsam mit den Wissenschaftlern des Fraunhofer IML digitale Dienstleistungen. Ein weiteres Feld, in dem sich einiges tun wird, sind die Ausschreibungen und die Preisverhandlungen für die Logistikdienstleistungen. Bisher werden Kapazitätsplanungen und Preisverhandlungen auf allen Ebenen traditionell auf Basis von Jahresschätzungen geführt, die bis zum Transportevent zum Teil mehr als ein Jahr zurücklagen. "Verbessertes Big-Data-basiertes Forecasting kann einen Teil der Optimierung liefern. Einkaufs-Applikationen und Transportmanagement-Systeme sind noch viel zu wenig vernetzt", kritisiert A.T.-Kearney-Berater Rutkowsky. Er schlägt einen Abgleich von Mengen, Kapazitäten und Preisen zumindest auf Quartalsbasis vor. "Damit werden wir hier in den nächsten Jahren zu integrierten Lösungen kommen, die neben Jahreskontrakten und Tagesspot flexible Varianten dazwischen erzeugen werden und diese mit dynamischem Routing und dynamischer Bildung von Versandeinheiten und Konsolidierungen kombinieren", sagt Rutkowsky. Fahrerlose Transportsysteme Ein weiterer Digitalisierungstrend in der Logistik: Fahrerlose Transportsysteme werden mittel- bis langfristig nicht mehr auf Lager- und Intralogistik beschränkt bleiben. "Autonomes Fahren wird in etwa fünf bis zehn Jahren serienreif sein", prognostiziert Professor Alex Vastag vom Fraunhofer IML. Andere Experten sind da nicht so optimistisch. Schließlich sind neben technischen Herausforderungen auch noch andere Probleme zu lösen. So fehlt der komplette Rechtsrahmen, auch Versicherungs- und Haftungsfragen sind weitgehend ungeklärt. Bereits kurzfristig sollten sich laut Vastag sowohl Spediteure als auch Industrie und Handelslogistiker um eine Aufrüstung ihrer Transportmanagementsysteme (TMS) kümmern. Die TMS, so der Wissenschaftler, müssten in der Lage sein, Echtzeitdaten und große Datenmengen zu verarbeiten und damit unternehmensübergreifende Optimierungen zu erledigen. Vastags Vision: Der Mensch und das TMS überwachen eine selbststeuernde Logistikkette. Mehr zum Thema im Dossier Trends in der Logistik www.verkehrsrundschau.de/dossiers Die Serie Logistik 4.0 - Prozesse im Wandel Wie die Digitalisierung Unternehmen und Berufsbilder in Transport, Spedition und Logistik verändert- Was Verlader und Experten von Transport- und Logistikfirmen fordern- Managen Chefs künftig virtuelle Unternehmen?- Ersetzen Apps Frachteinkäufer und Disponenten?- Autonome Lkw: Braucht es noch Lkw-Fahrer?- Weitere Serienteile folgen Tipps So können sich Dienstleister für die Digitalisierung rüsten - Beobachten Sie die Digitalisierungsstrategie Ihrer Kunden! Was leitet sich daraus an Anforderungen an Ihre Dienstleistung und Ihr Unternehmen ab? Gibt es Chancen für zusätzliche Dienstleistungen?- Wo sind in Ihrem eigenen Unternehmen Prozesse mit hohem manuellen Aufwand in der Verwaltung? Wo werden Belege manuell erfasst, eventuell sogar mehrfach? Wo gibt es Ablagen und Archive, die auf digitale Technik umgestellt werden können?- Analysieren Sie Ihre Datenbestände! Gibt es Informationen, die für Sie und Ihre Kunden von Nutzen sein könnten, aber bisher nicht ausgewertet werden?- Analysieren Sie Ihre Software! Sind Ihre IT-Lösungen up to date und werden von den Softwarelieferanten weiterentwickelt und gepflegt? Mit alter oder selbstgestrickter Software laufen Sie eher Gefahr, den Anschluss zu verlieren. Schauen Sie sich auch Softwareasa-Service-Lösungen an - bei einem rasanten Fortgang der Technik bleiben Sie damit am ehesten auf dem Laufenden.- Setzen Sie bei der Software auf keine Insellösungen, sondern auf integrierte Lösungen, die auf einem gemeinsamen Datenpool basieren.- Wo lassen sich Effizienzen durch den Einsatz von IT-Lösungen heben? Ein typisches Betätigungsfeld ist die Disposition. Hier lassen sich durch dynamische Tourenplanungslösungen Kosten und Zeit sparen. Große Speditionen mit komplexen Dispositionsaufgaben sollten über den Einsatz von Supply-Chain-Planning- und Optimization-Lösungen (SCP&O) nachdenken. Diese leistungsfähigen Tools optimieren beispielsweise die Tourenplanung über mehrere Niederlassungen oder über ein ganzes Netz hinweg.- Für Transportunternehmen gilt: kein Lkw ohne Telematiklösung. Die Anbindung der Fahrzeuge an Verladersysteme ist in vielen Branchen schon umgesetzt, andere Industrien werden nachziehen.- Investieren Sie in Daten- und Softwaresicherheit. Die Digitalisierung und die Vernetzung von Unternehmen untereinander bringen neue Risiken für Ihr Unternehmen. hel

Elektromobilität: Hamburg will Ladepunkte auf 10.000 erhöhen

Bürokratieentlastung: Bundesrat stimmt neuer Verordnung zu

Automobilzulieferer: Bosch will weitere Stellen streichen

A7 wird zeitweise gesperrt

Schwerpunktkontrollen: Viele Verstöße von Lkw und Bussen

Alle Schlagzeilen

Logistik 4.0 - ein Trend mit Folgen

HASHTAG

#Fraunhofer IML

Von Geisterhand gefahren

Interview: Logistikdienstleister brauchen umzugsfähige Lagertechnik

Neue Kompetenzzentren für den Mittelstand 4.0

MEISTGELESEN

Änderung durch EU-Mobilitätspaket: Mitführungspflicht verdoppelt sich

Emons Spedition siedelt sich am c-Port an

Duvenbeck übernimmt Sander Logistics

STELLENANGEBOTE

Head of Logistics (w/m/d) mit fundierter Erfahrung im internationalen Versand

Koordinator (m/w/d) Intralogistik mit Teamleitungsfunktion

Leiter (w/m/d) Logistik Teilbereich Warenausgang

Schichtleiter (w/m/d) Logistik - Warenausgang

Teamleiter Lager im Handelslager/ Brennschneidbetrieb (w/m/d)

WEITERLESEN

NEWSLETTER