Keine Chance für Fantasiepreise

Der Gründer der Spedition geht auf die 70 zu und will sein Lebenswerk sichern. Kinder hat er keine und externe Manager mag er nicht. Deshalb bietet er seinen Betrieb über die örtliche IHK zum Verkauf. Lange Zeit passiert nichts, dann endlich signalisiert ein Konkurrent Interesse. Doch was der anbietet, schockiert den Firmengründer: Der potenzielle Firmenkäufer will nur ein Drittel des geforderten Preises zahlen. Solche Situationen erlebt Bernd Rüegg täglich: "Das ist in 80 Prozent der Fälle so." Er weiß, wovon er spricht: Rüegg berät seit über 15 Jahren Mittelständler, die ihr Unternehmen verkaufen wollen oder einen Nachfolger suchen. Woher kommen die unrealistischen Preisforderungen? Rüegg lacht. "Zum einen gibt es das, was wir intern den Blut-Schweiß-und-Tränen-Preis nennen: Der Firmengründer will für 30 Jahre harte Arbeit entlohnt werden." Und verlangt dann eine Summe, die viel zu hoch ist. Mitunter hat auch der angestammte Steuerberater die Unternehmensbewertung geschrieben, was ebenfalls oft zu überhöhten Werten führt. "Dessen Methode dient nur fiskalischen Zwecken - das hat mit Kaufpreisen nicht zu tun", betont Rüegg. Wie aber ermittelt man einen realistischen Unternehmenswert? Hilfe von außen ist notwendig Grundsätzlich gilt: Ohne Berater geht bei einem Unternehmensverkauf nichts. Denn weder das interne Rechnungswesen noch der Steuerberater verfügen in der Regel über das nötige Wissen, um eine Unternehmensbewertung kompetent durchführen zu können. Professionelle Unterstützung durch spezialisierte Rechtsanwälte, Berater oder Wirtschaftsprüfer ist Pflicht. Geht es um einen größeren Betrieb (mehr als 10 Millionen Euro Umsatz) werden auch Makler hinzugezogen, die aktiv suchen. "Eine Besonderheit der Logistikbranche ist, dass auf Käuferseite oft interne Fachleute beteiligt sind", sagt Thomas Kuhnle, Rechtsanwalt und Partner bei der Luther Rechtsanwaltsgesellschaft. Der Grund: Wie gut ein anderes Unternehmen zum eigenen Geschäft passt, hängt oft von Details ab. Wird die gleiche Software verwendet? Stehen im Lager ähnliche Regale? Liegt eine AEO-Zertifizierung vor? Solche Einzelheiten entscheiden häufig darüber, ob ein Zukauf wirklich die erhofften Synergien oder Zugewinne bringt. Und genau deshalb holen viele Käufer ihre eigenen Logistikplaner mit an den Tisch. "Es gibt keinen Listenpreis" Startpunkt jedes Verkaufs ist eine Unternehmensbewertung. Um zu errechnen, wie viel der Betrieb wert ist, gibt es etliche Methoden (siehe Kasten), doch hundertprozentige Genauigkeit liefern sie nicht. "Es gibt keinen Listenpreis für Unternehmen", betont auch Anwalt Kuhnle. Das liegt in der Natur der Unternehmensbewertung: In sie fließen nicht nur harte Werte wie Umsatz oder Gewinn ein, sondern meist auch ein Risikofaktor. Und wie hoch der ist, hängt stark vom Betrieb und von der Einschätzung des Bewertenden ab. "Da ist immer ein bisschen Alchimie dabei", lacht Berater Rüegg. Profis wie er berechnen für ihre Dienste zwischen 7000 und 10.000 Euro (bei einem Unternehmen mit einem Umsatz zwischen zwei und fünf Millionen Euro). Grundsätzlich gilt: In die Bilanz zu schauen reicht nicht, um den Unternehmenswert zu ermitteln. "Entscheidend ist die operative Abwicklung vor Ort", betont Experte Kuhnle. Er gibt ein Beispiel: Ein Betrieb kommissioniert für einen Kunden Ware. Die meisten Arbeitsschritte werden per Hand erledigt, die Betriebsräume sind alt und fast komplett abgeschrieben. In diesem Fall steht in der Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) unter Umständen ein hervorragendes Ergebnis. Doch wie zukunftsfähig ist der Betrieb? Und wie viel Geld ist er noch wert? Anwalt Kuhnle begegnen solche Fälle häufig in seiner Praxis: "Dann fragt man sich: Wie lange geht das noch gut?" Betriebe, deren Geschäfte auf einem wackeligen Fundament stehen, müssen natürlich mit Abschlägen beim Kaufpreis rechnen. Die Risikoherde beachten Bewertungsprofi Rüegg sichtet bei jedem Auftrag 30 bis 40 Dokumente und erstellt eine ausführliche Stärken-Schwächen-Analyse, bevor er ein Unternehmen bewertet. Neben den Bilanzen der letzten Jahre studiert er unter anderem Steuerbescheide und Gehaltsabrechnungen, den Handelsregistereintrag, die Auftragsbücher und das Rating der Bank. Kurzum: Alle Dokumente, die etwas über die Gesundheit des Betriebs verraten können, fließen in die Bewertung ein. Und Risikoherde gibt es reichlich, typische Punkte sind: - hohe Pensionszusagen für Gesellschafter oder Geschäftsführer, - Rechtsstreitigkeiten, die negativ ausgehen könnten, - hohe Abhängigkeit vom Unternehmer persönlich, ohne echte zweite Führungsebene in der Firma, - einen überalterten Bestand an Investitionsgütern, - nicht in der Bilanz verzeichnete Vermögenswerte und - nicht sofort sichtbare Transferzahlungen innerhalb der Firma. Ein Augenmerk wird bei der Bewertung auch auf den aktuellen Kundenstamm gelegt. "Die Testfrage lautet: Wie sicher ist das Geschäft?", erklärt Experte Kuhnle. Wenn er im Auftrag eines Mandanten ein Kaufobjekt (Fachwort: Target) sondiert, liest er sich besonders aufmerksam die Verträge durch. Denn hier schlummern oft Risiken, die den Kaufpreis erheblich schmälern können. Macht das Unternehmen zum Beispiel 80 Prozent seines Umsatzes mit nur zwei Großkunden, kann es existenzbedrohend sein, wenn einer abspringt. Ebenfalls entscheidend ist die Laufzeit der Verträge. Steht die nächste Neuverhandlung vor der Tür, bedeutet das ein Risiko - und das drückt den Unternehmenswert. Das ist auch der Grund dafür, dass Warehousing-Dienstleister in der Regel höher bewertet werden als reine Speditionsbetriebe - weil hier die Laufzeiten der Verträge noch länger sind. Generell gilt: Nahezu jedes Detail eines Kundenvertrages kann den Unternehmenswert beeinflussen, bis hin zu den verwendeten Leistungskennzahlen (Service Level Agreements, SLA). Profis sehen tagtäglich Verträge aus den verschiedensten Branchen und kennen die üblichen Konditionen; hat ein Unternehmer offensichtlich schlecht verhandelt, fließt das in ihre Kaufpreisempfehlung ein. Daneben finden sich im Mittelstand oft Verträge, die schlichtweg handwerklich schlecht sind. So entstehen Risiken, die wiederum den Kaufpreis drücken. "Die vertragsrechtliche Qualität in der Logistik ist oft nicht investorentauglich, anders als zum Beispiel bei Immobilientransaktionen", bestätigt Anwalt Kuhnle. Wie kann sich ein Unternehmen auf einen Verkauf vorbereiten? "Der Schlüssel ist die frühzeitige Erstellung der Unternehmensbewertung. Sie bildet das Rückgrat aller zukünftigen Interaktionen mit dem Käufer", betont Berater Rüegg. Anders gesagt: Wer die aufwendige Analyse schon in der Schublade hat, hat 70 bis 80 Prozent der Arbeit getan, die bis zu einem möglichen Vertragsabschluss noch anfällt. Die Unternehmensbewertung kostet zwar Zeit und Geld, doch wer sie zu spät macht, läuft Gefahr, später die Berater der Kaufinteressenten im Nacken zu haben, die sich mit Detailfragen melden. Anwalt Kuhnle empfiehlt außerdem, die Braut vor der Hochzeit hübsch zu machen: "Sortieren Sie unprofitable Kunden aus, verlängern Sie die Laufzeiten, verbessern Sie Ihre Prozesse." Er rät, ein Benchmarking durchzuführen oder durchführen zu lassen, also zu schauen, wie das Unternehmen bei wichtigen Kennzahlen im Vergleich zu anderen Firmen der Branche dasteht. Die Serie M&A: Firmen erfolgreich kaufen und verkaufen - Teil 1: Steht in der Logistikbranche eine Übernahmewelle an?- Teil 2: Wie sich der Wert einer Transport- und Logistikfirma ermitteln lässt- Teil 3: Was Unternehmer beim Verkauf beachten sollten Tipp So bereiten Sie sich richtig auf einen Verkauf vor - Nehmen Sie sich Zeit. Ein Unternehmensverkauf dauert in der Regel sechs bis 18 Monate. Rechnen Sie für diesen Zeitraum mit einer hohen Arbeitsbelastung. Profis schätzen, dass 350 bis 700 Arbeitsstunden zusätzlich anfallen - auf Verkäufer- und Käuferseite.- Lassen Sie frühzeitig eine professionelle Firmenanalyse und Unternehmensbewertung erstellen, selbst wenn der Verkauf in scheinbar weiter Ferne liegt. So können Sie schnell handeln, wenn ein günstiger Zeitpunkt zum Verkauf gekommen ist (Beispiel: Vertrag mit einem Großkunden wurde gerade erneuert). Holen Sie sich professionelle Unterstützung bei der Unternehmensbewertung: Weder das interne Rechnungswesen noch der Steuerberater verfügen in der Regel über das nötige Wissen.- Kalkulieren Sie die Kosten für die Transaktion mit ein. Schätzwert: sieben bis zwölf Prozent des Verkaufspreises müssen Sie noch einmal für Rechtsanwalt, Notar, Steuer und Berater ausgeben.- Betreiben Sie Vertragshygiene. Schauen Sie sich alle Verträge an, sortieren Sie unprofitable Kunden aus, versuchen Sie, Verträge neu zu verhandeln und die Laufzeiten zu verlängern.- Verbessern Sie Ihre internen Prozesse. Lassen Sie einen Externen den Betrieb begutachten, mit dem Sie nicht in einer Geschäftsbeziehung stehen. Manchmal hilft auch die Perspektive eines völlig Branchenfremden, um ineffiziente Prozesse aufzudecken. cgQuelle: Bernd Rüegg, Luther RA

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