Interview

Interview „Ganz oder gar nicht“ Warum BSH Bosch und Siemens Hausgeräte Transporte auf die Bahn verlagert, den Lang-LKW befürwortet und Frachten- börsen ablehnt: Ein Interview mit Andreas Tonke, Leiter Verkehrswesen bei BSH. BSH nutzt intensiv Bahn und Binnenschiff. Sind die Verantwortlichen bei BSH Bahnliebhaber, Umweltfanatiker oder den anderen schlichtweg nur einen oder auch mehrere Schritte voraus? Wir verfolgen einen strategischen Ansatz und stellen uns die Frage: Welchem Verkehrsträger gehört die Zukunft? Wir sind der Auffassung, die Bahn gehört dazu. Und weil wir aus Erfahrung wissen, dass die Umsetzung multimodaler Transportketten viel Zeit in Anspruch nimmt, arbeiten wir heute schon intensiv daran. Warum gewinnt die Bahn an Bedeutung? Zum einen rechnen wir mit stark steigenden Frachtraten für LKW-Transporte, weil Diesel sich weiter verteuern wird, die Fahrerlöhne klettern werden und sich eine Angebotsverknappung abzeichnet. Zum anderen ist die Bahn äußerst attraktiv, wenn man hohe Volumina bündeln kann. Auch die Binnenschifffahrt ist für BSH ein Thema. Ja, und zwar immer dort, wo es kein Angebot der Bahn gibt. Wir nutzen sie beispielsweise von unserem baden-württembergischen Standort Bretten auf dem Rhein Richtung Rotterdam, wo die Waren weiter nach England verschifft werden. Nutzen Sie die anderen Verkehrsträger ausschließlich aus Umweltschutzgründen? Nein, nicht ausschließlich. Aber BSH sieht sich als ein nachhaltig arbeitendes Unternehmen. Wir verstehen Nachhaltigkeit dabei nicht nur ökologisch oder nur ökonomisch. Wenn wir nicht auch auf den Preis achten würden, wäre es kein vernünftiges Nachhaltigkeitskonzept. Deshalb sind die Bahnprojekte heute schon großenteils kostendeckend und wir gehen davon aus, dass sie sich zukünftig noch besser bezahlt machen. Und wenn der Winter Einzug hält, die Weichen einfrieren und Eis oder Niedrigwasser die Binnenschifffahrt lahmlegt, dann fangen Sie an zu schwitzen. Wir schwitzen eigentlich immer, wenn es kalt wird, egal welchen Verkehrsträger wir einsetzen. Aber natürlich, bei Niedrigwasser oder als Anfang des Jahres der Rhein wegen einer Schiffshavarie für fast einen Monat lang gesperrt war, mussten wir auf den LKW ausweichen. Das sind Bypässe, die wir mit dem Spediteur vorher vereinbaren. Wer trägt in diesem Fall die Kosten? Wir haben vertraglich einen Niedrigwasserzuschlag vereinbart, wenn der Rhein nicht befahrbar ist. Somit tragen wir einen Teil der Kosten mit. Die Bahn hat den Ruf, nicht pünktlich und vor allem in der Angebotserstellung langsam zu sein. Wie kommt BSH damit zurecht? Genau deshalb versuchen wir, möglichst frühzeitig Bahnprojekte umzusetzen. Wenn man der Bahn Zeit gibt, so unsere Erfahrung, dann funktioniert es auch ganz gut. Aber für Schnellschüsse ist die Bahn sicher nicht der beste Verkehrsträger. Wie viele ihrer Transporte wollen Sie auf Bahn und Binnenschiff verlagern? National sind wir derzeit noch zu 100 Prozent auf der Straße unterwegs, was daran liegt, dass die Bahn die Anforderungen an unsere zeitkritischen Waren noch nicht erfüllen kann. Das wollen wir ändern. In unserem eigenen Zugkonzept zwischen unserem Standort Giengen in Baden-Würt-temberg und den Seehäfen wollen wir künftig neben den Export- und Importcontainern auch Wechselbehälter für unsere Umschlagpunkte Bremerhaven, Hamburg und Hannover mit aufnehmen. Im Sommer wollen wir die ersten Transporte abwickeln. Und im Export? Vor allem nach Spanien, Frankreich, Polen und Russland sehen wir noch Potenzial. Derzeit beträgt der Anteil der Bahn im Export bei uns 40 Prozent. Das Binnenschiff kommt auf fünf Prozent und der LKW-Anteil beträgt 55 Prozent. Die natürliche Grenze für die Bahn dürfte bei etwa 60 Prozent liegen. Aber wir befassen uns nicht nur mit der Verlagerung, für uns stehen die Vermeidung von Transporten und die bessere Auslastung ganz oben auf der Prioritätenliste. Außerdem motivieren wir auch unsere Dienstleister dazu, nachhaltig zu arbeiten. Wie bringen Sie die Dienstleister dazu? Zum einen haben wir einen Qualitätswettbewerb, den wir mit einem Bonus belegen. Bonuspunkte erhält der Spediteur zum Beispiel, wenn er die neueste Euro-Norm im Fuhrpark einsetzt. Als Konsequenz sind heute im Transport auf der Langstrecke für BSH fast zu 100 Prozent Euro-5-Fahrzeuge unterwegs. Bei der Auslieferung liegen wir etwas darunter. Es gibt aber auch Punkte für eine pünktliche Lieferung oder eine geringe Schadensquote. Je mehr Punkte eine Spedition erhält, desto größer fällt der Bonus aus. Außerdem loben wir einen Umweltpreis unter den Dienstleistern aus. Für Investitionen, die der Unternehmer tätigt, bekommt er einen Bonus und damit Geld. Müssen Ihre Dienstleister den CO2-Ausstoß für die Transporte berechnen können? Nein. Die Diskussion kommt aber. Noch stoßen hier jedoch gerade die kleinen und mittelständischen Unternehmen an ihre Grenzen. Sie verfügen noch nicht über Programme wie die Lufthansa oder die Bahn, die auf das Kilo genau den Ausstoß berechnen können. Aber das wird kommen. Unsicher ist hingegen, ob der Lang-LKW kommt. Befürworten Sie den Feldversuch? Ja. Wir haben uns mit einem unserer Unternehmer darauf verständigt, an dem Feldversuch teilzunehmen und Routen beantragt. Der Spediteur hat die Dolly-Achsen bereits bestellt. Wir beteiligen uns auch an den Kos-ten, sofern der Versuch nicht kommen sollte. Wir wären gerne beim Test dabei. Worin sehen Sie den Vorteil? Vom Volumen her würden wir 50 Prozent mehr Ladung in den LKW bekommen und damit für eine spürbare Entlastung auf den Straßen sorgen. Die Gegner des Lang-LKW befürchten, dass aufgrund der auch von Ihnen geschilderten Ersparnis viele Sendungen von der Schiene wieder auf die Straße verlagert würden. Wäre das bei BSH auch der Fall? Wir haben 2009 trotz dramatisch sinkender Frachtraten auf der Straße keine Mengen auf den LKW verlagert. Ich sehe diese Gefahr auch nicht bei der Zulassung des Lang-LKW – weder bei uns noch bei anderen, sofern sie größere Mengen transportieren. Viele Unternehmen beklagen große Nachfrageschwankungen. Ist BSH auch davon betroffen? Ja. Zum einen sind Hausgeräte aktionsgetriebene Waren. Diese Aktionen konzentrieren sich auf bestimmte Monate, Wochen und Tage. Daher schwanken wir in einem Maximum von 350 Prozent um den Tagesdurchschnitt eines Jahres. Diese Aktionen gibt es ja schon länger. Haben die Ausschläge denn zugenommen? Ja. Das liegt aber sicher auch daran, dass die Grundmenge größer geworden ist. Damit nehmen auch die Schwankungen zu. Wie regeln Sie Schwankungen mit Ihren Dienstleistern? Unsere Dienstleister sind vertraglich verpflichtet, tagesfertig das abzufahren, was am Tag gerade anfällt. Wenn ein Dienst-leister für uns eine Relation übernimmt, kann es sein, dass er am Montag ein Fahrzeug stellen muss und am Freitag 25 LKW. Wie wird der Spediteur entlohnt? Er bekommt einen Pauschalbetrag für das durchschnittliche Aufkommen auf einer Strecke. Dann muss der Dienstleister für sich sehen, wie er mit den Schwankungen zurechtkommt. Aber auch an uns geht das Auf und Ab nicht vorbei. Wenn ein Lieferzentrum solche Auftragsspitzen abzu-wickeln hat, müssen auch wir Zusatzschichten fahren. Wenn Sie feste Vereinbarungen haben, müssen Sie sich nicht mit dem Problem knapper Laderaumkapazitäten herumschlagen? Doch. Zwar haben wir in unserer Poolregion (Deutschland, Österreich, Benelux, Tschechien, Slowakei, Slowenien) in der Tat weniger Probleme, da hier unsere sieben Vertragsspeditionen sehr bemüht sind, alles tagesfertig abzufahren. In Exportrelationen hingegen bereiten uns die Engpässe schon Sorgen, weil unsere Dienstleister nicht immer die komplette Kapazität zur Verfügung stellen können. Dann halten wir auf dem Markt nach Alternativen Ausschau. Zum Beispiel bei Frachtenbörsen? Nein. Wir arbeiten ausschließlich mit unseren Vertragsspediteuren zusammen. Hin und wieder, bei absoluten Spitzen, bieten wir Transporte auf einer geschlossenen Transportbörse an, auf die nur unsere Vertragsspediteure Zugriff haben. Warum nutzen Sie keine Frachtenbörsen? Das ist eine Philosophiefrage. Wir verstehen uns als verlässlicher Partner, der zu seinen Verträgen steht. Auch 2009, als die Preise im freien Fall waren, haben wir bestehende Verträge nicht angetastet. Auf der anderen Seite erwarten wir von unseren Lieferanten, dass sie in der Lage sind, unsere zusätzlichen Mengen auszuliefern. Uns geht es um langfristige Partnerschaften. Die bekommen Sie auf Transportbörsen nicht. Das hört sich alles sehr positiv an. Bekommen Sie viele Anfragen von Transportdienstleistern? Die Anzahl derer, die gerne für uns fahren würden und die Anzahl derer, die die Komplexität unseres Geschäfts beherrschen, sind zwei verschiedene paar Schuhe. Die Anforderungen an die Dienstleister gerade im Poolgebiet sind extrem hoch. Ein Beispiel dafür: Bei der Langstrecke ist Tag null die Bestellung. Tag eins muss die Ware vor Ort sein. Bestellschluss ist aber noch bis 16.00 Uhr an Tag null. Letzter Lauf der Bestellung ist 18.00 Uhr. Die Dienstleister wissen also erst um 18.00 Uhr, was sie an Transportkapazitäten vorzuhalten haben. Das ist nicht einfach. Darauf muss man seine Disposition ausrichten. Wenn sie als Dienstleister das jedoch nicht wollen, weil sie vielleicht nur mal ein paar Sendungen mitnehmen wollen, sind sie bei uns an der falschen Adresse. Nur ein bisschen mitmachen, funktioniert nicht: entweder ganz oder gar nicht. Wie reagieren Sie auf die Frachtraumengpässe im Export? Wir müssen Alternativen finden. Wenn wir feststellen, dass jemand in einer Hochphase die angebotene Quote nicht schafft, ermahnen wir ihn. Im Wiederholungsfall müssen wir uns einen neuen Dienstleister in den Pool holen, der dann mit einer kleinen Quote anfängt. Und natürlich prüfen wir auch, ob die Bahn eine Alternative ist, wenn wir merken, dass wir langfristig auf dieser Relation Probleme haben. Wir haben beispielsweise in diesem Jahr innerhalb relativ kurzer Zeit 35, 40 Prozent unserer Exporte nach Russland auf die Bahn verlagert. Das ist ein Zeichen im Markt. Dann ist das Buhlen um die verbliebenen Mengen im Markt umso größer. Merken Sie, dass die Engpässe zu steigenden Preisen führen? Saisonal gibt es immer wieder mal einen Anstieg wie im Herbst. Einen längerfris-tigen Trend zu Preiserhöhungen aufgrund von Kapazitätsengpässen kann ich im Augenblick nicht erkennen. Derzeit treiben alleine die gestiegenen Kraftstoffkosten die Preise nach oben. ❙❚■ Michael Cordes Andreas Tonke mit VR-Redakteur Michael Cordes in der Münchener BSH-Zentrale Setzt auf Nachhaltigkeit: Andreas Tonke, Leiter Verkehrswesen bei BSH Vita Andreas Tonke Der gebürtige Bremer hat nach dem Abitur eine Lehre zum Speditionskaufmann bei der Monnard Spedition in Bremen gemacht. Anschließend nahm er verschiedene Aufgaben bei Freightwell Ltd. (Johannesburg), Panalpina, Hellmann und der Süd-Chemie AG wahr. 2003 begann der 37-Jährige als Verkehrsreferent bei der BSH Bosch und Siemens Hausgeräte. Zwei Jahre später übernahm er die Leitung Retro-Logistik und wurde schließlich 2009 zum Leiter Verkehrswesen ernannt. Berufsbegleitend legte Tonke 2002 die Prüfung zum Verkehrsfachwirt (IHK) ab. 2006 beendete er erfolgreich das Studium als Diplom-Kaufmann an der FOM Fachschule für Ökonomie und Management in München. cd Das Unternehmen Bosch und Siemens Hausgeräte Die BSH Bosch und Siemens Hausgeräte ist 1967 als Joint Venture zwischen der Robert Bosch GmbH und der Siemens AG entstanden. Das Un-ternehmen ist nach eigenen Angaben der größte Hausgerätehersteller in Europa und hat 2010 einen Jahresumsatz von neun Milliarden Euro erwirtschaftet. Die Krise ist glimpflich an BSH vorbeigegangen. So ist 2009 der Umsatz nur um vier Prozent auf 8,41 Milliarden Euro gesunken. Das Aufkommen ab den deutschen Versandstellen beträgt pro Jahr 72.000 LKW-Einheiten à 70 Kubikmeter. In Deutschland arbeitet BSH mit sieben Primärspediteuren (Inland Langstrecke), 26 Umschlagspediteuren im Poolgebiet (DE, NL, LUX, BE, AT, SL, CZ, SK), zehn Materialtransporteuren und 30 Exportspediteuren (inklusive Carrier und Bahn) zusammen. cd Interview Interview

Elektromobilität: Hamburg will Ladepunkte auf 10.000 erhöhen

Bürokratieentlastung: Bundesrat stimmt neuer Verordnung zu

Automobilzulieferer: Bosch will weitere Stellen streichen

A7 wird zeitweise gesperrt

Schwerpunktkontrollen: Viele Verstöße von Lkw und Bussen

Alle Schlagzeilen

Interview

HASHTAG

#BSH Logistik

BSH-Präsidentin befürwortet Ausweitung der Schwefelsondergebiete

Binnenschiff

Gefco fährt für Bosch und Siemens Hausgeräte

MEISTGELESEN

Emons Spedition siedelt sich am c-Port an

Duvenbeck übernimmt Sander Logistics

Who is Who Logistik: Themen und Trends für 2025

STELLENANGEBOTE

Koordinator (m/w/d) Intralogistik mit Teamleitungsfunktion

Leiter (w/m/d) Logistik Teilbereich Warenausgang

Head of Logistics (w/m/d) mit fundierter Erfahrung im internationalen Versand

Area HR Business Partner

Schichtleiter (w/m/d) Logistik - Warenausgang

WEITERLESEN

NEWSLETTER