Paris.Die unlängst vorgestellten Pläne zur Reform der französischen Staatsbahn haben bei mehreren Akteuren des europäischen Bahnfrachtgeschäfts „erhebliche Beunruhigung” ausgelöst. Dies teilten sie EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso schriftlich mit. Man müsse befürchten, dass die angekündigten Maßnahmen eine Abweichung von herrschendem EU-Recht darstellten, schrieb Lord Tony Berkeley für die britische Rail Freight Group (RFG). Die angekündigte Fusion von SNCF und dem staatlichen Betreiber des französischen Schienennetzes, Réseau Ferré de France (RFF), werde jede Konkurrenz ausschließen und der französischen Staatsbahn eine Monopolstellung sichern, und zwar so lange, bis sie die Bahnfracht vollständig „auf Null“ gebracht habe. Schon jetzt könne man die von SNCF praktizierte Zuordnungspolitik in Sachen Streckennutzungszeiten für deren Mitbewerber nur als „Obstruktion” bezeichnen. Dies gelte ebenso für die Schaffung neuer Dienstleistungen und die Verbesserung der bestehenden.
Lord Berkeley befürchtet, dass sich die Pariser Pläne für den weiteren Ausbau der Schienenverbindungen zwischen Frankreich und England und in größerem Maßstab auch für ganz Europa negativ auswirken werden. Er richtete dasselbe Schreiben auch an den EU-Verkehrskommissar Siim Kallas. Dieser hatte schon Ende Oktober einen Brief des Franzosen François Coart erhalten, in welchem der Vorsitzende der Europäischen Bahnfrachtvereinigung Erfa erklärte, er sorge sich um das „Überleben der neuen Bahnakteure in einem System, das total von SNCF kontrolliert wird”.
Die Öffnung des französischen Bahnmarktes für die Konkurrenz scheine nicht auf der Agenda der neuen Regierung zu stehen. Coart, dessen Verband Bahnfrachtunternehmen in 17 europäischen Ländern vertritt, sieht eine solche in realer Gefahr und fragt sich, wie Paris unter den Bedingungen der Maastricht-Kriterien mit der Milliardenverschuldung des französischen Infrastruktur-Besitzers RFF umgehen wolle. SNCF und RFF zusammen kommen derzeit auf einen Schuldenberg von mehr als 32 Milliarden Euro. Die Notierungsagentur Standard & Poor’s hat vor wenigen Tagen die langfristige SNCF-Verschuldung „unter Beobachtung” gestellt und erklärt, die Fusion von Bahn- und Infrastrukturträger könne sie dazu veranlassen, die Notierung AA für die Staatsbahn zu revidieren. (jb)