Hamburg/Leipzig. Sie sind siegessicher. Alle. Natürlich. Wenn die Juristen und Vertreter der Stadt Hamburg und des Bundes auf der einen und die Delegation der Umweltverbände samt ihrer Anwälte auf der anderen Seite am kommenden Montag (19. Dezember) um 10.00 Uhr erneut den Sitzungssaal im Bundesverwaltungsgericht betreten, tun sie dies mit der Überzeugung zu obsiegen - zu gewinnen in einem Fall, der seit viereinhalb Jahren bei den Leipziger Richtern anhängig ist und einen Aktenberg von mehreren tausend Seiten produziert hat. Es geht um die geplante Elbvertiefung zwischen Hamburg und der Nordsee oder - wie Verwaltungsfachleute sagen - um die „Fahrrinnenanpassung in der
Unter- und Außenelbe”.
Sollte sich das Gericht am Ende der bislang drei vorgesehenen Verhandlungstage tatsächlich entscheidungsreif sehen und dann voraussichtlich im Januar 2017 einen Beschluss fassen, ginge eine rund 15 Jahre dauernde Auseinandersetzung zu Ende. Schließlich stammt der erste Antrag der Stadt zum neuerlichen Ausbau der Fahrrinne beim Bundesverkehrsministerium schon aus dem Jahr 2002. Bereits damals wollte die Landesregierung den Fluss für Containerriesen mit einem Tiefgang von 13,5 Meter unabhängig von Ebbe und Flut schiffbar machen. Tideabhängig sollen es sogar 14,5 Meter sein.
Für die Hamburger Hafenwirtschaft ist die Elbvertiefung alternativlos
Die Hamburger Hafenwirtschaft sieht sich mit immer größeren Frachtern konfrontiert, mit inzwischen bis zu 400 Meter Länge und einem Ladevolumen von bis zu 20.000 Standardcontainern (TEU). Die Regierenden sehen vor allem auf rund 150. 000 vom Hafen abhängige Arbeitsplätze und das enorme Steueraufkommen. Beides machten eine neuerliche Elbvertiefung - die dann siebte seit Beginn des 20. Jahrhunderts - alternativlos, hieß es aus dem Hamburger Rathaus - und zwar unabhängig davon, ob die CDU oder die SPD den Bürgermeister stellte, und auch unabhängig davon, ob die Grünen als natürliche Elbvertiefungsfeinde an der Regierung beteiligt waren oder nicht.
Der Widerstand war dennoch enorm: Um ihre Sicherheit besorgte Elbanwohner in Schleswig-Holstein und Niedersachsen, um ihr Gießwasser bangende Obstbauern, Elbfischer, kleine Sportboothäfen und selbstredend sämtliche Umweltverbände. Sie alle machten Front gegen die Elbvertiefung. Unter anderem ging es um Deichsicherheit, Fließgeschwindigkeit, Verschlickung und den „botanischen Pandabären”, wie Hamburgs BUND-Geschäftsführer Manfred Braasch den weltweit wohl nur noch an der Elbe wachsenden Schierlings-Wasserfenchel nennt.
Als die Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nord und die Hamburger Wirtschaftsbehörde im April 2012 trotzdem den „Planfeststellungsbeschluss zu Fahrrinnenanpassung der Unter- und Außenelbe” erließen, reichte es den Elbvertiefungsgegnern. Sie zogen vor Gericht - und konnten gleich einen Erfolg für sich verbuchen. Damit vor Abschluss des eigentlichen Verfahrens keine Fakten geschaffen werden, verhängte das Bundesverwaltungsgericht einen bis heute geltenden Baustopp aller Baggerarbeiten für das inzwischen auf mehr als 600 Millionen Euro taxierte Projekt.
Ein Fall für die Gerichte
Von nun an übernahmen vornehmlich Juristen die Regie - und es wurde kompliziert. Fünf Tage wurde im Juli 2014 vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig über die Elbvertiefung verhandelt, mit dem Ergebnis, dass die Richter im Oktober das Verfahren aussetzten. Erst möge der Europäische Gerichtshof in Luxemburg seine Entscheidung zur Auslegung der Wasserrahmenrichtlinie im ähnlich gelagerten Fall um die Weservertiefung fällen, befanden die Leipziger Richter. Danach könne man weitersehen.
Der Europäische Gerichtshof entschied am 1. Juli 2015. Unbedingt klarer scheint der Fall Elbvertiefung nach Einschätzung etlicher Beobachter aber dadurch nicht geworden. So errichteten die Luxemburger Richter für die Vertiefung von Elbe und Weser zwar hohe Hürden, ließen aber auch Ausnahmen zu. Der Gewässerschutz müsse bei Entscheidungen über das Ausbaggern von Flüssen eine wichtige Rolle spielen. Er sei nicht nur eine allgemeine politische Zielvorgabe. Es seien aber Ausnahmen möglich, etwa bei einem großen Nutzen «für die menschliche Gesundheit, die Erhaltung der Sicherheit der Menschen oder die nachhaltige Entwicklung», hieß es.
Stellt sich die Frage, was das nun genau bedeutet? In der mündlichen Verhandlung in Leipzig dreht es sich zum einen um europäisches Gebietsschutzrecht, etwa um die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, und zum anderen um das europäische Gewässerschutzrecht, wie Hamburgs Rechtsamtsleiter Hans Aschermann sagt. Probleme sehe er dabei nicht.
„Es kann nur sein, dass es jetzt noch Meinungsverschiedenheiten gibt über den Grad und den Gegenstand bei Umweltverschlechterungen.” Oder wie Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos) es mit Blick auf die Elbvertiefung formuliert: „Zu einem Verbot wird es nicht kommen.”
Das sieht das Bündnis „Lebendige Tideelbe”, ein Zusammenschluss der Umweltverbände BUND, WWF und Nabu, natürlich anders. Die von den Behörden gemachten Fehler seien so gewichtig, „dass das Bundesverwaltungsgericht das nicht positiv durchwinken kann”, sagt deren Anwalt Rüdiger Nebelsieck. In einem Punkt sind sich Kläger und Beklagte dann aber doch einig: Sollte das Gericht nicht weitere Beweisbeschlüsse fassen oder gar noch einmal den Europäischen Gerichtshof involvieren, sondern tatsächlich entscheiden, dann wird das Urteil über Hamburg hinaus in ganz Europa von Bedeutung sein. (dpa)