Die rechte Biege wird endlich sicherer

Schon seit Jahren ist die Zahl von schweren Lkw-Unfällen rückläufig. Aber wenn höher sitzende Nutzfahrfahrzeuglenker auf Radfahrer oder Fußgänger treffen, endet das nicht selten tödlich. Damit das nicht so bleibt, fordern Verbände wie Politiker schon länger die Entwicklung und den Pflichteinbau von Abbiegeassistenten in Lkw. Letzteres soll allerdings erst ab 2022 für Nutzfahrzeuge ab 7,5 Tonnen umgesetzt werden. Ein zu langer Zeitraum, auch für Lkw-Hersteller wie Mercedes-Benz. Schließlich gehört der schwäbische Lkw-Produzent beim Thema "Sicherheitstechnik" traditionell zu den Herstellern, die neuartige Assistenzsysteme weit vor dem gesetzlichen Einführungstermin anbieten. So auch beim Abbiegeassistenten, den Daimler 2014 erstmals als Prototypen zeigte und der zwei Jahre später in die Serie fand. Aktuell werde knapp jeder zweite Actros mit dem Abbiege-Assistenten bestellt, heißt es aus der Presseabteilung des Nutzfahrzeugherstellers. Funktionell über die ganze Länge Die Besonderheit am aktiven Warnsystem der Mercedes-Benz-Nutzfahrzeuge: Der Sicherheitsbereich der Radarsensorüberwachung bezieht sich laut Hersteller nicht nur auf einen Teilbereich der rechten Fahrzeugseite, sondern funktioniert auf der gesamten Fahrzeuglänge des Lkw. Allerdings: In bestehende Actros & Co. lässt sich das Daimler-System bislang nicht nachrüsten. Transportunternehmen, die sich dafür interessieren, können daher nur zu Zulieferlösungen greifen. Das Angebot ist hier allerdings noch ziemlich überschaubar. Drei Systemtypen, die von den Herstellern aber teilweise auch kombiniert angeboten werden, sind derzeit lieferbar. Radar- und ultraschallbasierte Assistenten können mit ihren Sensoren auch nachts perfekt die wichtigen Räume um das Fahrzeug abscannen - für Baustelle und Kommunen eignet sich eher die robustere Radartechnik. Doch bei beiden Basistechniken wird häufig ein "Fehlalarm" ausgelöst, wenn sich Poller, Masten oder Geländer beim Abbiegen in Sensornähe befinden. Neuere Systeme, die kamera-/softwarebasiert arbeiten, können mittlerweile genauer zwischen stehenden und sich bewegenden Objekten unterscheiden. Mit diesen Features wirbt der Hamburger Systemanbieter Luis. Drei Abbiegeassistenten sind dort im Angebot, entwickelt für die Serienausstattung und explizit auch zur Nachrüstung. Flaggschiff ist das System "Turn Detect R", das mit Kameras und Algorithmusunterstützung arbeitet. Optische wie akustische Warnsignale werden bei Luis nur aktiviert, wenn sich Fußgänger, Fahrradfahrer oder Tiere im abgescannten Gefahrenbereich befinden. Ist das der Fall, warnt Turn Detect R über einen roten Kasten im Monitorbild und gibt einen Warnton aus. Auch aus der zweiten Reihe Als weiteren Vorteil führt Luis ins Feld, dass Turn Detect R durch die Kameraanbauhöhe, aber auch durch den Detektionsbereich von fünf bis sechs Metern selbst Radfahrer in zweiter Reihe, hinter parkenden Autos, erkennen soll. Auch Turn Sense R, das Basisprodukt der Hamburger, soll zwischen stehenden und sich bewegenden Objekten unterscheiden können - obwohl hier zwei Radarsensoren im Einsatz sind. Eine zweistufig Warnung erfolgt in Gelb (Person im Gefahrbereich) oder in Rot (Person im Gefahrbereich, bei eingeleitetem Abbiegevorgang). Ab Frühjahr 2019 will Luis das Grundsystem als Turn View R um Kamera und Monitor ergänzt anbieten. Nicht völlig anders, aber in Sachen Optik kompakter präsentiert sich Backeye 360. Der britische Hersteller Brigade hat das kamera-ultraschallbasierte System zur Unterstützung beim Rangieren mit niedrigen Geschwindigkeiten konzipiert. Die Grundidee auch hier: Der Fahrer soll entlastet werden - von aufeinanderfolgenden Informationen mehrerer Monitore, um das Erkennen und Reagieren auf mögliche Gefahren zu vereinfachen. Die Brigade-Lösung besteht aus Ultra-Weitwinkel-Kameras: Vorne, seitlich und hinten am Fahrzeug erfassen diese die Fahrzeugumgebung einschließlich sämtlicher toter Winkel. Die von diesen Kameras zeitgleich erzeugten Digitalbilder werden zur Korrektur der durch die Fischaugen-Kameras bedingten Verzerrung weiterverarbeitet und per "Video-Stitching" zu einem 360-Grad-Bild kombiniert, sodass auf dem Monitor des Fahrers ein klares Echtzeit-Bild erscheint. Erfassung mittels Ultraschall Backeye 360 eignet sich laut Hersteller für sämtliche Fahrzeuge und Straßenverhältnisse. "Wir entwickeln unsere Sicherheitstechnik kontinuierlich weiter, um die Anforderungen im Straßenverkehr zu erfüllen und Leben zu retten", erklärt H.-Martin Lagrange, Leiter Marketing & Vertrieb bei der Brigade Elektronik GmbH. "So ermöglichen wir die Einblendung von dreistufigen akustischen und optischen Ultraschalldaten in das Display des Fahrzeugmonitors. Die Ultraschall-Warnung wird in das passive Kamerabild des Monitors im Fahrerhaus eingeblendet und so zum aktiven Signal. So wird der Fahrer vor Hindernissen gewarnt und erhält alle Informationen und Gefahrenpunkte gemeinsam auf dem Kamerabild des Monitors im Lkw. Ein weiteres, kamera- und zusätzlich softwarebasiertes System bietet der in Israel beheimatete Hersteller Mobileye an, seit einigen Jahren Tochterunternehmen des Chipherstellers Intel. Das "Shield+"-System wurde auf der IAA Nutzfahrzeuge in Hannover präsentiert - speziell als Lkw-Unfallpräventionssystem zum Nachrüsten. Hier überwachen je nach Fahrzeuglänge maximal vier optische Sensoren und strategisch platzierte Kameras das Fahrzeugumfeld. Besonders im Fokus stehen die toten Winkel auf beiden Seiten und vor dem Fahrzeug sowie der Bereich hinter der A-Säule und dem linken Außenspiegel. Auch Mobileye warnt im Falle eines Falles zweistufig: Das gelbe Signal im ovalen Nutzfahrzeug-Display steht für Fußgänger, Fahrradfahrer oder Motorradfahrer im toten Winkel. Ändert sich die Signalfarbe auf Rot, droht eine Kollision, vor der der Fahrer parallel durch ein akustisches Signal gewarnt wird. Zubehörlösung bei Scania Mit einer Nachrüstlösung startet auch mancher Lkw-Hersteller in den Markt der Abbiegesysteme. Zum Beispiel Scania: "Wir starten mit unserer Zubehörlösung sowohl für Fahrgestelle als auch für Sattelzugmaschinen ab sofort in den Markt, eine Werkslösung werden wir 2019 anbieten", sagt Dominik Bertrams von Scania Deutschland. Das System soll sich bei allen Modellen der neuen Scania-Fahrzeuggeneration nachrüsten lassen. Die Schweden tendieren grundsätzlich eher zu kamerabasierten Systemen. "Diese haben den Vorteil, zwischen stehenden und sich bewegenden Objekten unterscheiden zu können - ein enormer Unterschied", erklärt Bertrams. Dennoch werden hinter der Seitenverkleidung bislang Radarsensoren eingesetzt, ein Betätigen des rechten Blinkers aktiviert automatisch das System. Es erkennt dort von der Fahrzeugvorderseite bis zur ersten Hinterachse in einer Tiefe von etwa drei Metern jeden Gegenstand. "Nimmt das System beispielsweise einen Radfahrer oder Fußgänger wahr, ertönt sofort ein akustisches Signal und warnt den Fahrer", erklärt Bertrams. "Zur optischen Unterstützung gibt es eine rote LED-Leuchte, die in der beifahrerseitigen A-Säule eingebaut ist." Zusätzlich kann der Assistent mit dem 270-Grad-HD Front-/Seitensicht-Kamerasystem Corner-Eye erweitert zur visuellen Unterstützung erweitert werden. Bislang eher verhaltene Nachfrage Trotz der jüngsten Aktionen des Verkehrsministers, verschiedener Feldversuche, Testprogrammanläufe und Bezuschussungsideen rennen die Kunden den Herstellern augenblicklich noch nicht die Bude ein - was sich aber ändern kann. "Die Kunden sind sensibilisiert, es tut sich was", erklärt Manfred Nelles von Volvo. Weshalb sich auch der schwedische Hersteller entsprechend vorbereitet. Optional bietet man einen Bildschirm im Fahrerhaus an, auf dem der Bereich rechts neben dem Fahrzeug zu sehen ist. Zusätzlich werden vier Sensoren verbaut, die den Bereich rechts vor dem Fahrzeug bis circa zwei Meter hinter der Vorderachse rechts kontrollieren. Diese Sensoren haben eine Reichweite von 2,5 Metern und zeigen diese auch mit LED-Leuchten sowie einem akustischen Signal, wie bei einer Pkw-Einparkhilfe, an. Eingeschaltet wird der Volvo-Assistent durch das Blinkersignal sowie bei einem Lenkeinschlag von mindestens zehn Grad oder einer Dreiviertel-Umdrehung des Lenkrades. Den Einbau übernimmt die Volvo-Werkstatt. Über das Truck-Modification-Center montiert auch MAN auf Kundenwunsch an der rechten Fahrerhausseite nahe der Dachkante eine Kamera mit einer 150-Grad-Weitwinkellinse. Ihr Bild wird auf einen sieben Zoll großen Monitor an die beifahrerseitige A-Säule in der Kabine übertragen. So hat der Fahrer diesen im Sichtfeld beim Blick nach rechts in die Spiegel. Alternativ kann das Kamerasignal auch auf das sieben Zoll große Display des Infotainmentsystems im Armaturenbrett eingespielt werden. Eine akustische Warnung bei einer drohenden Kollision bietet das MAN-System, das die Münchner für neue Fahrzeuge und zur Nachrüstung für ihre Baureihen TGL, TGM, TGS und TGX anbieten, allerdings nicht. Kundensysteme implementiert Keine eigene Lösung und auch kein entsprechendes Zubehör ab Werk bietet bislang Iveco an. "Die Forderung nach einem System ist allgemein berechtigt und notwendig, aber noch nicht definiert", erklärt Iveco-Pressesprecher Manfred Kuchlmayr. Bei den jüngsten drei Auslieferungen an Großkunden mit Schwer-Lkw und hohem Stadtanteil habe man aber bereits von den jeweiligen Kunden gewünschte Abbiegeassistenten installiert, inklusive Integration auf das bordeigene Info-System oder auf einen separaten Monitor. In einem Fall habe Iveco laut Kuchlmayr als Triggersystem neben Blinker und Unterschreiten einer Mindestgeschwindigkeit auf Kundenwunsch ein eigenes Lenkwinkelsignal entwickelt. Gegen Grundrichtlinien wie bei dem bereits verpflichtenden Notbremsassistenten haben die Hersteller nichts, halten aber eine Vereinheitlichung für verkehrt. "Aufgrund der Vielfalt der verfügbaren Systeme wäre ein Standard-Herstellersystem wieder nur ein angreifbarer Kompromiss. Solange der Einbau eines Abbiege-Warnsystems nicht Pflicht wird, wird der Durchbruch auch bei den Abbiegeassistenten nur partiell sein", ist sich Iveco-Mitarbeiter Kuchlmayr sicher. Mehr zum Thema im Dossier Assistenzsysteme für Lkw www.verkehrsrundschau.de/dossiers Systeme zum Nachrüsten Nachrüstsysteme aus dem freien Zubehörhandel*- Brigade Elektronik GmbHwww.brigadegmbh.de- LUIS Technology GmbHwww.luis.de- Mobileyewww.mobileye.com- Dometic Waeco International GmbHwww.dometic.com* Auswahl, zum Zeitpunkt der Recherche

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