Die Digitalisierung ist eingeleitet

Ein größerer Wandel stand der Transport-Branche noch nie bevor. Das zumindest prophezeite zu Beginn der 66. IAA-Nutzfahrzeuge nicht nur Andreas Renschler: "Nutzfahrzeuge sind nicht mehr unser einziges Business, denn unsere Kunden fordern mehr und mehr Gesamtlösungen", erklärte der CEO von Volkswagen Truck & Bus. "Einfach nur die Hardware zu liefern, genügt deshalb nicht mehr." Die Herausforderung lautet digitale Vernetzung und selbstredend präsentierte der VW-Konzern auch gleich eine passende Lösung. Die hört auf den Namen Rio, was sich vom portugiesischen Wort für Fluss ableitet und exemplarisch für fließende Übergänge stehen soll. Rio ist ein cloudbasiertes Betriebssystem für die Logistikbranche. Transportunternehmen - egal welcher Größe - sowie deren Kunden können Rio auf ihre Bedürfnisse abstimmen und sollen so über eine einzige Software alle für sie relevanten Daten erhalten. Den Leerfahrtenanteil minimieren Zu den einfachen Übungen gehört die Abfrage des Wartungsstands des jeweiligen Lkw. Oder Transportaufträge und weitere Informationen werden per App ans Smartphone des Fahrers gesendet. Per Klick startet dann umgehend die Navigation zur neuen Ladeadresse. Oder man organisiert Fahrzeugwechsel mit einem digitalen Zündschlüssel. In erster Linie soll Rio aber die Produktivität bei der Fahrzeugauslastung verbessern. Dafür sorgt beispielsweise ein intelligentes Auftragsmanagement für Teilladungen. Mit dessen Hilfe können Transporter und Lkw besser ausgelastet werden, indem teilbeladenen Lkw automatisch weitere Ladung entlang ihrer Route zugewiesen wird. Die auch nachrüstbare Plattform ist herstellerunabhängig einsetzbar, auch Schiffe oder Flugzeuge lassen sich über Rio verwalten. Ab 2017 wird das System serienmäßig in MAN-Trucks verbaut. Scania-Kunden erhalten Rio dagegen zunächst optional. VW Crafter und MAN TGE vorgestellt Aber natürlich hatte der Volkswagenkonzern auch Fahrzeugneuheiten zu vermelden. Bei den "Kleinen" feierten der neue VW Crafter und sein MAN-Ableger "TGE" ihre Publikumspremiere. Überraschend präsentierte VW seinen neuen größten Transporter auch gleich in einer vollelektrischen Version. Der 4,2-Tonner, der als E-Transporter mit dem B-Führerschein bewegt werden darf, verfügt über einen 100-kW-Elektromotor mit 290 Newtonmetern Drehmoment. In den 11,3 Kubikmeter großen Laderaum des "E-Crafter" dürfen laut Hersteller bis zu 1,7 Tonnen eingeladen werden. Für den urbanen Lieferverkehr fast schon verschwenderisch hoch ist die Reichweite, die Volkswagen mit bis zu 290 Kilometern angibt. Wozu sicher auch die auf 80 km/h abgeregelte Höchstgeschwindigkeit beiträgt. Ab nächstem Jahr soll sich der E-Crafter im Kunden-Feldtest bewähren. Die Energiequelle Strom ist auch für MAN die Zukunft des Lieferverkehrs. Deshalb präsentierten die Münchener den Prototypen eines vollelektrischen TGS. Die 4x2-Sattelzugmaschine wird von einem 250-kW-Elektromotor angetrieben. Satte 2700 Newtonmeter Drehmoment, die E-Motor-typisch ab Stillstand zur Verfügung stehen, versprechen auch mit einem beladenen Auflieger auf der Sattelplatte souveräne Fahrleistungen. Für die meisten Messebesucher ebenfalls neu waren die optisch zwar nur leicht, technisch aber deutlicher überarbeiteten TGS- und TGX-Modelle. Bei der Konzernschwester Scania ließ sich der Andrang teilweise kaum noch bewältigen. Schließlich zeigten die Schweden ihre komplett neuen Fernverkehrsmodelle "R" und "S". Etwas ins Hintertreffen gerieten dabei die noch im Gewand des Vorgängermodells gezeigten, technisch aber umso interessanteren Scania-Modelle mit alternativen Antrieben. Wie der P 320 Hybrid oder die G-340-Zugmaschine mit LNG-Antrieb. Futuristische Studie bei Iveco Auch Iveco widmet dem Thema Erdgas große Bedeutung. Schließlich stellten die Italiener kürzlich neben dem frisch renovierten Stralis XP auch den NP (Natural-Power) mit Erdgasmotor vor. Dieser alternative Kraftstoff, genauer Bio-Methan, schwebt Iveco auch für seine Studie "Z-Truck" vor, die auf der Messe enthüllt wurde. Wodurch der futuristische Konzepttruck klimaneutral rollen würde. Dank ausgeklügelter Aerodynamik und Motorabwärme-Rückgewinnung, vor allem aber durch 1200 Liter Tankkapazität, traut Iveco dem Z-Truck bis zu 2200 Kilometer Reichweite zu. Was aber in der Praxis kaum überprüfbar sein dürfte, denn beim Prototypen handelt es sich bislang lediglich um eine nicht fahrbereite Hülle. Das Fahren von morgen stellen sich die Italiener selbstredend vollautonom vor, auf der Autobahn übernimmt Kollege Computer das Kommando. Der "Fahrer" mutiert damit zum sogenannten "Logistik-Operator". Weshalb sich das Lenkrad bei Nichtgebrauch platzsparend zusammenfaltet. Eine gute Idee ist die in der Standzeit um 500 Millimeter verlängerbare Kabine, was den Lebensraum entsprechend vergrößert. Und Platz für Dusche, Waschbecken sowie ein würdiges Bett samt Entertainment-Leinwand schafft. Ebenfalls Gedanken machten sich die Iveco-Entwickler über die Klimaanlage. Diese soll den Fahrersitz mit einer "Klimablase" umhüllen. Zugluft und Temperaturunterschiede sollen damit der Vergangenheit angehören. Elektro-Antrieb und digitale Vernetzung Gleich drei Studien gab´s bei Mercedes zu sehen. Mit dem Vision-Van (siehe VR 38/2016) und dem "Urban-E-Truck" (siehe VR/31/2016) zeigte Daimler, wie man sich den urbanen Transport in Zukunft vorstellt. Natürlich mit vollelektrischem Antrieb und digitaler Vernetzung. Aussicht auf einen schnelleren Serienanlauf hat der nochmals überarbeitete "Fuso-E-Canter". Schließlich will Daimler den 7,5-Tonner bald in Kleinserie bauen. Das Fahrgestell soll bis zu 4,6-Tonnen Nutzlast bieten. Je nach Einsatz kann der Kunde zwischen drei bis sechs Batteriepaketen wählen. Sind Letztere verbaut, die aber natürlich entsprechend wiegen, gibt Daimler bis zu 100 Kilometer Reichweite für den E-Canter an. Weitere Neuheiten fanden sich bei Mercedes im Detail. Wie die jüngst überarbeiteten Actros-Motoren oder die neue GfK-Blattfeder für die Hinterachse des Sprinters, die immerhin 35 Kilo Gewicht sparen soll. Außerdem bauen die Stuttgarter ihr Dienstleistungsangebot bei den Transportern aus. 2017 kommt die Konnektivitätslösung "Pro Connect" auf den Markt. Das webbasierte System soll sich für jede Fuhrparkgröße eignen und erlaubt eine Vernetzung mit allen im Unternehmen laufenden Transportern und Fahrern. Auf diese Weise lassen sich Aufträge steuern oder der aktuelle Standort von Fahrzeugen abfragen. Inklusive Kraftstoffvorrat oder Wartungsstand des Transporters. Fahrer und Fuhrparkleiter kommunizieren über eine App miteinander. Hybridantrieb im Fernverkehr Auch DAF legte bei der Telematik nach. "DAF-Connect" überwacht das Handeln des Fahrers sowie den Zustand des Fahrzeugs und übermittelt stetig dessen Position, inklusive der zurückgelegten Strecke. So kann die Disposition das Fahrzeug effizienter einsetzen und der DAF-Servicepartner den Zustand von LF, CF und XF rund um die Uhr überwachen. Einen Blick in die Zukunft gewährte DAF mit dem "Convenient-Innovation-Truck" auf XF-Basis, der optisch vor allem mit seiner aerodynamisch nach vorne gezogenen Front auffällt. Mehr Sparpotenzial bietet allerdings der zusammen mit ZF entwickelte und auf den Fernverkehrseinsatz optimierte Hybridantrieb. Dieser speist ein kompaktes Batteriepaket, das sich alternativ auch stationär an der Steckdose aufladen lässt. Beim Fahren greift das System auf die Daten des GPS-Tempomaten zurück, um jede Rollphase fürs Laden der Akkus zu nutzen. Die eingefahrene Energie lässt sich beispielsweise für den Betrieb eines Kühlauflieger-Aggregats oder für die Standklimaanlage nutzen. Der Hybrid ermöglicht außerdem elektrisches Rangieren, was Lärm, Energie und Verschleiß spart. Innerhalb eines zweijährigen Feldtests will DAF mit dem Prototypen bis zu 20 Prozent Diesel eingespart haben. Sich in absehbarer Zeit ganz vom Treibstoff Diesel abzuwenden, kann man sich bei Hyundai vorstellen. Und setzt dabei auf die Brennstoffzelle. Eine Technik, mit der die Koreaner bereits umfangreiche Erfahrungen sammelten, schließlich baut man seit 2013 den Wasserstoff-Pkw "ix35 Fuel Cell". Dessen System übertrug man nun in einen H 350. Vorteil der Brennstoffzelle: Der Strom wird direkt an Bord erzeugt. Brennstoffzelle, Wasserstofftanks, Elektromotor und die Lithium-Polymer-Batterie mit 24 kWh als Stromreservoir verbaute Hyundai platzsparend im Motorraum und unter dem Wagenboden. In die 700-Bar-Drucktanks passen sieben Kilogramm Wasserstoff, die den "H 350 Fuel Cell Concept" laut Hersteller bis zu 422 Kilometer weit bringen. Genutzt wird die Energie von einem 136 PS starken Elektro-Motor mit 300 Newtonmetern Drehmoment. Weiterhin auf den Strom aus der externen Steckdose setzt man dagegen bei Street-Scooter. Und auch wenn das Elektro-Transporter-Start-up-Unternehmen mittlerweile zu 100 Prozent zur Deutschen Post gehört, sucht man weiterhin nach Kunden für den "Work" sowie seinen längeren Bruder "Work L". Die beiden Transporter verfügen über eine Kunststoff- Karosserie und werden von einem bis zu 70 kW starken Elektromotor angetrieben. Ein direkter Konkurrent des StreetScooter ist der Nissan ENV 200. Und der E-Stadtlieferwagen erfreut sich aktuell europaweit großer Beliebtheit. Auch dank der Elektro-Prämie in Deutschland produziere man derzeit an der absoluten Kapazitätsgrenze, verkünden die Nissan-Verantwortlichen stolz. Zuletzt spendierte man dem 80 Kilowatt starken ENV 200 ein verstärktes Batteriepaket, sodass jetzt bis zu 163 Kilometer Reichweite drin sein sollen. Hauptneuheit bei Nissan war allerdings der neue NV 300, der zu Messebeginn enthüllt wurde. Wie schon dessen Vorgänger "Primastar" basiert der allerdings optisch wie technisch auf dem Renault Trafic, den man lediglich mittels eigenständiger Front auf Nissan trimmt. Gleiches gilt für den neuen Talento, der bei Fiat Messepremiere feierte. Denn auch er basiert technisch auf dem Renault. Ebenfalls dem Publikum vorgestellt wurde der neue Fiat-Pick-up "Fullback", der wiederum eng mit dem Mitsubishi L200 verwandt ist. Spezial-Aufbauten bei den Transportern "Reinrassige" Produkte sind dagegen die vier Transporterbaureihen von Ford. Hauptfokus bei den Kölnern lag auf den neuen Ecoblue-Motoren für Transit Custom und Transit. Die sind darüber hinaus erstmals mit einer Sechsgang-Wandlerautomatik lieferbar. Ansonsten zeigte Ford, was aus den Derivaten der Transit-Familie werden kann, wenn einer der 21 zertifizierten Auf- und Umbauhersteller Hand anlegt. Wie der 24-Kubik-Curtainsider-Aufbau von Schutz-Fahrzeugbau, mit dem der Transit zehn Euro-Paletten wegschafft. Für den 3,5-Tonner verspricht Ford noch respektable 1050 Kilo Nutzlast. Auch die PSA-Brüder Citroën und Peugeot zeigten viele Um- und Aufbaulösungen für ihre drei gemeinsam gebauten Transporterbaureihen. Besonders im Fokus standen natürlich die komplett erneuerten Modelle Expert beziehungsweise Jumpy. Für die Hersteller bleibt eben auch die Hardware wichtig, auch wenn die Software immer mehr an Bedeutung gewinnt. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Messe IAA www.verkehrsrundschau.de/dossiers