Der Rekordtunnel

Es war ein Gipfeltreffen: Angela Merkel war da, François Hollande durfte nicht fehlen. Dazu der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi, der neue österreichische Bundeskanzler Christian Kern, aus Liechtenstein der Premierminister Adrian Hasler und natürlich der Gastgeber, der Schweizer Präsident Johann Schneider-Ammann. Und 3Sat berichtete live im TV, fünf Stunden lang. Die Staatschefs und Medien waren nicht in die Schweiz gekommen wegen der Flüchtlingskrise oder um über den Euro zu debattieren. Sondern, um durch eine ziemlich lange, graue und daher eher langweilige Röhre zu fahren. Die geballte Polit-Prominenz ist ein Zeichen für die große Bedeutung, die der neue Gotthard-Basistunnel genießt. Es werden wohl noch einige Jahre, eher Jahrzehnte ins Land ziehen, bis wieder so viele Staatschefs zusammenkommen, um einem Verkehrsweg die Ehre zu erweisen. Bundeskanzlerin Merkel pries den Tunnel auf der Eröffnungsveranstaltung am 1. Juni als "ein Bauwerk der Superlative". Zugleich gestand sie ein, dass Deutschland noch einige Aufgaben zu erledigen habe, was den Zulauf zur Gotthardstrecke betrifft. "Wir werden mit noch mehr Elan an unseren Aufgaben arbeiten", versprach sie. Eine Aussage, die Jürgen Wilder sicher gerne vernommen hat. Einen Tag zuvor hatte der Vorstand von DB Cargo in Zürich vor der Presse die Bedeutung der Schweiz für die Schienengüterverkehrstochter der Deutschen Bahn (DB) hervorgehoben. "Schon heute fahren wir 12.000 Züge pro Jahr durch die Schweiz", sagte Wilder. Dabei nutzt DB Cargo zwei Achsen: einmal die Route über den Lötschberg mit 3000 Zügen pro Jahr. Wichtiger ist jedoch die Gotthard-Strecke mit 9000 Zügen per anno. "Damit sind ein Drittel aller Güterzüge auf dieser Route Züge für DB-Cargo-Kunden", ergänzte Wilder. Nicht alle fährt das Unternehmen selbst, sondern es beauftragt auch andere Bahnen wie die SBB Cargo. Zudem fährt DB Cargo im Alpentransit weitere 16.000 Güterzüge via Österreich. Angesichts der zahlreichen Züge auf dem Gotthard hat die Route auch eine große finanzielle Bedeutung für DB Cargo: Hier erwirtschaftet DB Cargo 35 Prozent der Erlöse im alpenquerenden Verkehr. Gemessen an den Erlösen sind für DB Cargo die Züge für die Montanindustrie (38,5 Prozent) und im Kombinierten Verkehr (34,06 Prozent) am wichtigsten. Daher spielen die Anschlüsse in Deutschland also schon eine wichtige Rolle für das Unternehmen. Auf die Frage der VerkehrsRundschau, ob er zufrieden ist mit dem Engagement der Bundesregierung beim Ausbau der Zulaufstrecken, antwortete Wilder ausweichend: "Wir wünschen uns immer ein großes Engagement für die Schiene." Und er gab zu bedenken, dass auf der Route auch einiges passiert: So werde zwischen Oberhausen und Emmerich ein weiteres Gleis gelegt und es soll auch die Strecke zwischen Basel und Karlsruhe viergleisig ausgebaut werden. Es fehlt noch der Ceneri-Basistunnel Doch auch in der Schweiz gibt es noch Engstellen. Denn erst wenn der 14,5 Kilometer lange Ceneri-Basistunnel, der sich ebenfalls auf der Route befindet, 2020/2021 fertiggestellt ist, verdient sich die Strecke den Namen "Flachbahn" - trotz einer starken Steigung bei Chiasso Richtung Norden, weshalb dort auf einer kurzen Strecke Züge mit mehr als 1000 Tonnen Gewicht wahrscheinlich auch nach 2021 eine Schiebelok benötigen. 2021 steht aber auch der 4-Meter-Korridor zur Verfügung. "Wir erhoffen uns dann ein Wachstum von bis zu fünf Prozent jährlich auf dieser Strecke", sagte Wilder. Das entspräche 500 Zügen jährlich mehr. Ohne die neuen Tunnel wäre ein solches Wachstum nicht zu schaffen. Die Kapazität erhöht sich von 180 Güterzügen pro Tag auf 260. Zudem verkürzt sich die Strecke durch den Gotthard-Tunnel um 30 Kilometer und damit die Fahrtzeit um 30 Minuten. Außerdem kann bis Bellinzona durchgängig mit einer Lok gefahren werden. "Die neue Strecke vermindert zudem das Risiko von Verspätungen oder Unterbrechungen aufgrund von Witterungseinflüssen", nannte Wilder einen weiteren Pluspunkt. "Wir rechnen mit Produktivitätsvorteilen in Höhe von 25 Prozent im Wagenladungsverkehr ab 2021", sagte Wilder. Im Kombinierten Verkehr (KV) fallen diese Vorteile etwas niedriger aus, weil die Züge in der Regel heute schon leichter sind als im Wagenladungsverkehr und daher weniger Loks und damit Energie benötigt werden. Dafür will die Schweiz Subventionen für den KV nach und nach zurückfahren und 2023 ganz auslaufen lassen. "Das ist natürlich nicht hilfreich, um mehr Güter von der Straße auf die Schiene zu verlagern", sagte Wilder. Er hofft darauf, dass die Schweiz doch noch ihr Vorhaben überdenkt. Wer profitiert finanziell vom Tunnel? Ob von dem Einsparpotenzial durch die Tunnel auch die Kunden profitieren werden in Form von günstigeren Preisen und wenn ja, in welchem Umfang, dazu wollte sich Wilder nicht näher äußern. Das sei derzeit zu früh und hänge von verschiedenen Faktoren wie beispielsweise dem Trassenpreissystem ab. Laut Peter Füglistaler, Direktor des Bundesamtes für Verkehr (BAV) in der Schweiz, das für die Festlegung der Trassenpreise verantwortlich ist, ist mit keiner Verteuerung, aber auch nicht mit günstigeren Preisen zu rechnen: "Die Trassenpreise sind dieselben wie auf jeder Hochleistungsstrecke: Es gibt einen Qualitätszuschlag, den wir ausgesetzt haben bis zum Jahr 2021", so Füglistaler. Die Route über den Tunnel sei um 30 Kilometer kürzer, "in Summe können Sie zum selben Trassenpreis fahren wie über den Berg", erklärte Füglistaler vor der Presse am Tag der Eröffnung. Durch die Tunnel seien jedoch "signifikante Produktivitätssteigerungen im Betrieb möglich". Das BAV jedenfalls zeigt sich optimistisch: Das Potenzial für Intermodal-Verkehre ab 2021 prognostizieren die Schweizer auf 250.000 bis 300.000 Trailer pro Jahr - das würde 15.000 Zügen entsprechen. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Railcargo www.verkehrsrundschau.de/dossiers Ein Bauwerk der Superlative: Besonderheiten zum Gotthard-Basistunnel Der Güterverkehr hat Vorrang vor dem Personenverkehr Jahrhundertbauwerk, eine epochale Leistung, ein Wunderwerk der Technik: Mit zahlreichen Superlativen wurde der Gotthard-Basistunnel anlässlich seiner Eröffnung bedacht. Und in der Tat, dieser Tunnel ist einmalig und besonders - aus verschiedenen Gründen.- Länge: Mit seinen 57 Kilometern ist der Gotthard-Basistunnel der längste Eisenbahntunnel der Welt. Vorher war es der Seikan-Tunnel in Japan (53,85 Kilometer) vor dem Ärmelkanal-Tunnel (50,45 Kilometer).- Scheitelpunkt: Obwohl mitten in den Schweizer Alpen gelegen, liegt der höchste Punkt des Tunnels bei nur 550 Metern. Zum Vergleich: Die Stadt München befindet sich auf einer Höhe von 519 Metern.- Felsüberdeckung: Fährt man durch den Tunnel, denkt man lieber nicht daran, was über einem ist: tonnenschweres Gestein. Die maximale Felsüberdeckung beträgt 2300 Meter.- Bauzeit: Ohne Sondierungen haben die Schweizer 17 Jahre für den Bau des Tunnels benötigt. Zum Vergleich: Baubeginn für den neuen Berliner Flughafen war 2006.- Kosten: Die Gesamtkosten werden mit 12,2 Milliarden Schweizer Franken (11 Milliarden Euro) angegeben. Dazu auch hier Zahlen zum neuen Berliner Flughafen: Derzeit werden dort Baukosten in Höhe von 6,9 Milliarden Euro befürchtet.- Vorrang Güterverkehr: Der Tunnel ist vor allem für den Güterverkehr gedacht. Geplant sind pro Tag 260 Güterzüge und 65 Personenzüge. cd

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