Der Kraftanzug

Trotz der Verbreitung von Fördertechnik und Flurförderzeugen gehören schwere manuelle Tätigkeiten in der Logistik nach wie vor zum Tagesgeschäft. Ob das Heben schwerer Lasten bei der Kommissionierung oder Überkopfarbeiten in der Montage - eine dauerhafte Überlastung von Lendenwirbel sowie Rücken- und Schultermuskulatur kann zu Erkrankungen oder im schlimmsten Fall zur Arbeitsunfähigkeit führen. Nicht erst seit gestern wird daher geforscht, wie Exoskelette Mitarbeiter bei diesen Tätigkeiten entlasten können. Dabei wird zwischen passiven, rein mechanischen Exoskeletten und aktiven Systemen mit elektrischen Antrieben unterschieden (siehe Kasten rechts). Nachdem Exoskelette in der Produktion, insbesondere in der Automobilindustrie, erprobt wurden, werden sie auch in der Logistik verstärkt Thema. Zuletzt hat DB Schenker sowohl aktive als auch passive Systeme erprobt, darunter das aktive Exoskelett Cray X des in diesem Jahr mit dem Deutschen Gründerpreis prämierten Unternehmens German Bionic. Fokus des in der Automobillogistik angesiedelten Pilotprojekts waren die Kommissionierung und Sequenzierung von bis zu 15 Kilogramm schweren Packstücken. "Die meisten Mitarbeiter fühlten sich bei ihrer Tätigkeit nicht eingeengt", berichtet Gerald Mueller, Head of Process and Efficiency Management, Schenker Deutschland. Mit einer Einschränkung: Das Tragen von Exoskeletten auf Gabelstaplern oder auch Vertikal-Kommissionierern sei als wenig praktikabel empfunden worden. "Vor diesem Hintergrund werden wir die Einsatzgebiete individuell auf Vorteilhaftigkeit prüfen", sagt Mueller. Feedback höchst unterschiedlich Ausgiebige Erfahrungen mit den Hebehilfen machte zuvor schon Automobillogistiker BLG Logistics, der im Rahmen des vom BMVI geförderten und im Februar 2019 abgeschlossenen Projektes KALI (Kraftunterstützende, mobile Systeme für Güterumschlag und Logistikkette) passive Exoskelette getestet hat. Die Studie wurde zusammen mit dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz und dem Berliner Forschungsinstitut Youse durchgeführt. Im Einsatz waren das Airframe-Exoskelett von Levitate, das bei Überkopftätigkeiten die Schultern entlastet, sowie das Körper-Exoskelett mit Federsystem von Laevo. "Die Erstreaktionen reichten von spontaner Ablehnung bis hin zu ausgeprägter Begeisterung", erinnert sich Wolf Lampe, Leiter Nachhaltigkeit und neue Technologien BLG Logistics. Das Feedback der Mitarbeiter sei dabei sehr altersabhängig. Während bei jungen Männern die Eigenverantwortung für die Gesundheit wenig ausgeprägt schien, sei die Akzeptanz bei älteren Mitarbeitern höher. Allerdings haben sich die Exoskelette nicht in allen getesteten Einsatzfeldern bewährt. "Vor allem in beengten Umgebungen stoßen sie an ihre Grenzen", stellt Lampe fest. Nicht jeder Anwendungsfall passt Als Hauptmanko identifiziert Lampe aber, dass Körper-Exoskelette nur für eine Tätigkeit, nämlich das Heben, ausgelegt sind. "Das Gehen und erst recht Sitzen mit Exoskelett ist entsprechend unbequem." Hier sieht er auch die Schwäche von Exoskeletten in der Logistik - Wechseltätigkeiten sind hier an der Tagesordnung. Einer der Mitarbeiter, der das Exoskelett nach wie vor nutze, lege es zwischen seinen einzelnen Tätigkeiten immer wieder an und ab. Mueller von DB Schenker spricht diesen Faktor ebenfalls an: Auch Schenker-Mitarbeiter führen im Schichtverlauf die unterschiedlichsten Tätigkeiten durch - "von denen einige keinen sinnvollen Anwendungsfall für Exoskelette darstellen", wie Mueller einräumt. Dennoch kann er sich abseits der Kommissionierung weitere Anwendungsfälle vorstellen, etwa im Consumer-Bereich."Bereiche wie Verpackung oder andere Value-added-Service-Tätigkeiten sind in Zukunft denkbar", sagt Mueller. "Wenngleich wir im Moment keine konkreten Pläne haben, weitere Arbeitsplätze mit Exoskeletten auszurüsten, werden wir die Weiterentwicklung im Auge behalten", sagt derweil BLG-Mann Lampe. Die Geräte müssten jedenfalls funktionaler werden und enger am Körper anliegen. Wenn schon passive Exoskelette nicht ganz überzeugten, wären aktive Systeme eine Alternative? Lampe bezweifelt das, heute realisierbare Geräte seien nach wie vor viel zu schwer. Vielmehr hält er intelligente Hebehilfen, die auch im KALI-Projekt Forschungsgegenstand waren, für vielversprechender. "Wie wäre es, wenn eines Tages ein intelligenter, mobiler Hebe-Roboter weiß, welchen Arbeitsschritt ein Mitarbeiter als Nächstes ausführen wird und dann zur Stelle ist? Solche Innovationen finden wir hochgradig spannend und werden die Entwicklungen aufmerksam verfolgen", sagt Lampe. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier "Arbeitssicherheit" www.verkehrsrundschau.de/dossiers In Kürze Exoskelette entlasten beim Heben den Rücken und können somit auch in der Logistik zu einem verbesserten Gesundheitsschutz beitragen. Leider sind die am Körper getragenen Hebehilfen aber nur schwer in den von Wechseltätigkeiten geprägten Arbeitsalltag von Kommissionierern integrierbar. Aktive und passive Systeme Passive Exoskelette: Bei passiven Systemen erfolgt die Unterstützung rein mechanisch, zum Beispiel über Federsysteme, die Energie bei Körperbewegungen wie Beugen und Aufrichten aufnehmen und wieder abgeben. Sie benötigen keine Energiezufuhr, unterstützen in der Regel nur einzelne Körperregionen und sind vergleichsweise leicht: Die Rückenstütze des niederländischen Herstellers Laevo etwa wiegt nur 2,3 Kilogramm, das für die Schulterentlastung konzipierte Exoskelett Paexo Shoulder von Ottobock Industrials beispielsweise nur 1,9 Kilogramm.Aktive Exoskelette: Aktive Systeme besitzen eine mechanische Unterstützung mittels Sensoren und elektrischen Antrieben und sind auf eine Energieversorgung angewiesen. Sie sind oft modular aufgebaut und können zur Unterstützung mehrere Körperregionen erweitert werden. Aufgrund der verbauten Motoren sind aktive Exoskelette erheblich schwerer als passive. Cray X von German Bionics etwa wiegt rund acht Kilogramm. mh

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