Das Ziel heißt Verkehre verlagern

Interview Das Ziel heißt Verkehre verlagern Der neue Vorsitzende des Verkehrsausschusses im Bundestag, Martin Burkert (SPD), macht im Interview keinen Hehl daraus, dass er ein Freund des Schienengüterverkehrs ist. Bei der Mauterhöhung will er deshalb Tempo machen. Sie haben gerade Ihre vierte Ausschusssitzung geleitet. Was hat sich in Ihrem Leben verändert? Meine Aussagen sind gewichtiger geworden, gerade auch gegenüber den Medien. Der Ausschussvorsitz ist ein in den Fraktionen begehrter Posten. Da kann es auch zu Kampfkandidaturen kommen. In meinem Fall ist die Nominierung aber einvernehmlich erfolgt. Wenn sich die Ausschussvorsitzenden beim Bundestagspräsidenten treffen, stoßen sie demnächst auf Peter Ramsauer, der den Wirtschaftsausschuss leitet. Wir haben schon miteinander gesprochen. Der frühere Bundesverkehrsminister sieht die Politik jetzt wieder stärker aus der Sicht eines Parlamentariers. Ich finde es richtig, dass er das Amt angenommen hat. Die Verkehrspolitik des Bundes ist mit Minister Dobrindt, Staatssekretärin Dorothee Bär und Ihnen fest in bayerischer Hand. Erleichtert dies Kompromisse? Wir sind für Deutschland insgesamt zuständig. Aber natürlich kann man die bayerische Mundart pflegen und kennt die Gebräuche. Ich bin froh, dass die SPD nach immerhin 38 Jahren wieder den Vorsitz im Verkehrsausschuss des Bundestages stellt. Gibt es schon Schafkopfrunden unter den Koalitionsabgeordneten zwecks Klimapflege? Wir haben bereits in der ersten großen Koalition Schafkopfabende in der bayerischen Landesvertretung angeboten. Ich weiß nicht, ob der Minister Schafkopf spielen kann, vermute es aber. Ramsauers Nachfolger Alexander Dobrindt (CSU) spricht viel über die digitale Infrastruktur und weniger über die klassische Infrastruktur, also Straße, Schiene und Wasserwege. Das empfinde ich auch so. Der Minister kennt aber die Bedeutung der klassischen Infrastruktur. Und als überzeugter Eisenbahner hoffe ich, dass er ein stärkeres Augenmerk auf die Schiene legt. Sie haben sich bereits mit dem Minister getroffen. Der sachliche SPD-Politiker beim streitbaren Ex-CSU-Generalsekretär … Ich habe den Minister als freundlichen Menschen erlebt, der gut zuhören kann. Jetzt stehen die gemeinsamen verkehrspolitischen Ziele im Vordergrund. Dazu zählt die Erweiterung, sprich Erhöhung der LKW-Maut. Das ist eine zusätzliche finanzielle Belastung des Güterkraftverkehrsgewerbes und der Verbraucher. Wir werden das Gespräch mit dem Gewerbe suchen. Die Ausweitung der LKW-Maut auf alle Bundesstraßen muss zügig umgesetzt werden. Das ist technisch schwierig, wie wir im Herbst 2012 gesehen haben. Damals war geplant, die LKW-Maut auf 2000 Kilometer Bundesstraßen zu erweitern. Im Ergebnis sind es nur 1000 Kilometer geworden. Es geht darum, Mehreinnahmen für diese Wahlperiode zu sichern. Steuererhöhungen sind mit dem Koalitionspartner CDU/CSU nicht zu machen. Sie mahnen zur Eile, aber der Vertrag mit der Mautbetreibergesellschaft Toll Collect läuft im August 2015 aus. Ob dieser verlängert wird, ist nach wie vor eine offene Frage. Und zusätzlich wird das Verhältnis Bund-Toll Collect durch das jahrelange Maut-Schiedsverfahren belastet. Die Zeit drängt. Das weiß auch der Minister. Ich werde mit ihm darüber sprechen und ich hoffe, dass bald eine Lösung gefunden wird. Bisher greift die LKW-Maut bei einem zulässigen Gesamtgewicht von mindestens 12 Tonnen. Wird die Grenze künftig bei 7,5 Tonnen liegen? Wo genau die untere Grenze liegen wird, will ich mal offen lassen. Jedenfalls scheinen 3,5 Tonnen nicht durchsetzbar. Ich muss aber schon darauf hinweisen, dass der Anteil der Verkehrskosten beim LKW in Deutschland nach wie vor gering ist. Und es dürfen auch nicht die Erkenntnisse der Wissenschaftler verschwiegen werden, dass der LKW die Straße 60.000 Mal stärker in Anspruch nimmt als ein PKW. Es geht auch um das Ziel, mehr Güterverkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Ist das nicht ein alter Hut, ein Ziel, das gern genannt, aber nie erreicht wird? Dieses Ziel steht nicht infrage, auch wenn es im Koalitionsvertrag nicht explizit erwähnt worden ist. Wir sind derzeit bei 17 Prozent Anteil der Schiene im Güterverkehr und müssen in dieser Wahlperiode auf über 20 Prozent kommen. Später sind 35 Prozent angepeilt. Ihr Herz schlägt für die Bahn, da hat der LKW offenbar wenig Chancen … Das kann man so nicht sagen. Der LKW wird immer ein wichtiges Verkehrsmittel sein. Er ist gut geeignet für Verkehre bei Entfernungen bis zu 200 Kilometern. Im Übrigen habe ich bei der Bundeswehr den LKW-Führerschein gemacht. Mein Herzblut steckt im Güterverkehr. Aber vom Lang-LKW halten Sie nichts. Nein. Es ist der politische Wille der SPD, den Schienengüterverkehr und den Güterverkehr auf der Wasserstraße zu stärken. Wir lehnen den Gigaliner ab, da er ungeeignet ist für Kreisverkehre und für viele Brücken. Die Gefahr eines Unfalls ist höher als bei einem LKW mit den üblichen Maßen. Der von der Vorgängerregierung zu Jahresbeginn 2012 gestartete fünfjährige Feldversuch wird aber weitergeführt. Wer einen LKW-Führerschein besitzt, ist aber sicher ein Anwalt für mehr LKW-Parkplätze an Autobahnen … Richtig. Es darf nicht sein, dass LKW-Fahrer keinen Stellplatz finden und dann verkehrsgefährdend parken müssen. Es sind in den letzten Jahren bereits viele Stellplätze geschaffen worden. Dabei ist deutlich geworden, dass die Kommunen häufig große Vorbehalte äußern. Sportplätze oder Kindergärten vertragen sich schlecht mit Stellplätzen. Wichtig ist, dass wir bei der Planung die Beteiligung der Bürger sicherstellen. Die Daehre- und auch die Bodewig-Kommission haben festgestellt, dass für die Sanierung der Verkehrsinfrastruktur jährlich rund 7,2 Milliarden Euro zusätzlich erforderlich sind. In den Kommissionen haben zahlreiche SPD- und Unionspolitiker mitgearbeitet. Der Koalitionsvertrag schweigt sich zu diesem enormen Finanzbedarf aus. Moment. Da müssen Sie noch mal nachschauen. Wir haben vereinbart, dass fünf Milliarden in den nächsten vier Jahren zusätzlich investiert werden. Viel zu wenig, sagen Daehre und Bodewig. Wir sind froh über die zusätzlichen fünf Milliarden. Aber sicher reichen diese nicht aus, um die verkehrspolitischen Fehler der Vergangenheit auszugleichen. Die Situation ist schwierig, da sich der Koalitionspartner gegen Steuererhöhungen sperrt. Bei der anstehenden Erarbeitung des neuen Bundesverkehrswegeplans (BVWP) muss die Finanzlage berücksichtigt werden. Wir Abgeordnete können nicht alle Wünsche in den Wahlkreisen erfüllen. Die Anmeldungen müssen priorisiert werden. Die Überlegung, im BVWP eine zusätzliche Kategorie „vordringlicher Bedarf Plus“ einzuführen, ist sinnvoll. Mein Bundesland Bayern hat 399 Projekte angemeldet und bedauerlicherweise darauf verzichtet. Im Übrigen gilt der Grundsatz: Instandhaltung geht vor Neu- und Ausbau. Daehre und Bodewig haben im Verkehrsausschuss erklärt, das Problem maroder Brücken sei in ihren Berechnungen noch gar nicht eingepreist. Die Zahlen sind alarmierend. Bahnchef Rüdiger Grube spricht von 1400 Brücken, die dringend saniert werden müssten. Auch bei den Autobahnbrücken gibt es akuten Handlungsbedarf. Nach einer ersten Erhebung werden für die Schiene 700 Millionen Euro Sanierungsmittel benötigt. An einem Sonderprogramm Brücken für Straße und Schiene führt für mich kein Weg vorbei. Zusätzliches Geld muss also deshalb über die Erweiterung der LKW-Maut hereingespielt werden? Die Ausweitung auf Bundesstraßen sowie die Absenkung der Tonnenzahl habe ich genannt. Wenn die wirtschaftliche Lage so günstig bleibt wie derzeit, ist der Bundesverkehrsminister aufgerufen, den Bundesfinanzminister um weitere Gelder zu bitten. Es ist Konsens, dass die Verkehrswege dramatisch unterfinanziert sind und wir zum Beispiel angesichts von Brückensperrungen dringend etwas tun müssen. Auf Drängen der CSU ist die PKW-Maut für Ausländer in die Koalitionsvereinbarung aufgenommen worden. Die SPD ist gegen diese Abgabe. Kürzlich haben Sie eigene Vorschläge gemacht. Die PKW-Maut für Ausländer ist ein CSU-Wahlkampfthema. Ich kann mir nicht vorstellen, wie diese realisiert werden kann. Vorgaben sind die Vereinbarkeit mit EU-Recht, die Nichtbelastung deutscher Autofahrer und die Rentabilität des Systems. Der Minister ist am Zug und wird einen Gesetzentwurf vorlegen. Hilfestellung muss die SPD nicht leisten. Sie sind Verkehrspolitiker, waren aber vier Jahre Mitglied im Umweltausschuss. Dafür sprechen Sie wenig über den ökologischen Aspekt der Verkehrspolitik. Der Eindruck trügt. Ich bin auch heute noch stellvertretendes Mitglied im Umweltausschuss. Es ist mir sehr wichtig, dass die Deutsche Bahn mit Ökostrom fährt. Und beim LKW ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, ob der Betrieb nicht doch mit Elektromobilität möglich ist. Zu ihrem Lieblings-Verkehrsträger Bahn: Die Koalition will eine stärkere Kontrolle der Bahn durchsetzen. Läuft beim Staatskonzern etwas aus dem Ruder? Die Deutsche Bahn ist nicht so transparent, wie es nötig ist. Es muss gewährleistet sein, dass der Konzern die verkehrspolitischen Vorgaben umsetzt. Ich frage mich zum Beispiel, warum die Überprüfung der Gleise durch private Firmen erfolgt und nicht durch das Eisenbahnbundesamt. Und wir wollen uns gezielt anschauen, wo es Engpässe im Netz gibt. Wie stehen Sie zum Einsatz von Lang-Zügen? Uneingeschränkt positiv. Die Lang-Züge konnten von 750 auf 850 Meter verlängert werden. Wenn wir bei 1000 Metern sind, bin ich zufrieden. Allerdings müssen wir das Problem Schienenlärm lösen. Die Koalition unterstützt finanziell die Umrüstung auf leisere Güterzugbremsen, um die Akzeptanz bei Anwohnern von Bahntrassen zu erhöhen. Ich möchte hinzufügen, dass ich auch den Einzelwagenverkehr befürworte, der nicht immer rentabel ist. Im Zusammenhang mit dem früheren Kanzleramtsminister Ronald Pofalla wird diskutiert, ob die DB einen eigenen Vorstand Politik und Kommunikation braucht. Der Aufsichtsrat wird im Januar 2015 neu bestimmt. In dem Gremium werden auch wieder Abgeordnete vertreten sein. Politische Kommunikation gehört bei einem Unternehmen mit der Größenordnung der DB zum Tagesgeschäft. Ich will mich derzeit nicht äußern, ob das Unternehmen dafür einen eigenen Vorstand braucht. Auf jeden Fall muss die Deutsche Bahn in Brüssel noch viel Überzeugungsarbeit leisten, denn EU-Verkehrskommissar Siim Kallas strebt im Rahmen des 4. Eisenbahnpakets bei den europäischen Eisenbahnen eine strikte Trennung von Netz und Betrieb an. Die DB und auch die Koalition sind anderer Meinung. Wir dürfen uns von der EU-Kommission Entscheidungen nicht aufdrängen lassen, die wir für falsch halten. Die Holding-Struktur der Deutschen Bahn hat sich bewährt. Schienennetz und Betrieb gehören unter ein Dach. Hand aufs Eisenbahnerherz: Werden Sie während Ihrer Zeit als Ausschussvorsitzender vom Berliner Flughafen BER in Ihre Heimatstadt Nürnberg fliegen? Ganz ehrlich, ich habe nichts dagegen, wenn ich weiter ab Berlin-Tegel starten kann. Die Anreise zum BER-Flughafen würde viel Zeit kosten. Im Übrigen hoffe ich auf die Fertigstellung der ICE-Trasse Berlin-Erfurt-Nürnberg, eines der Verkehrsprojekte Deutsche Einheit. Dann bin ich in rund drei Stunden zu Hause. Letzte Frage an den Parteipolitiker. Sie sind stolz, dass die SPD nach 38 Jahren wieder den Ausschussvorsitz stellt: Ist der Posten für Sie ein Sprungbrett zu höheren Ämtern? Eigentlich nicht. Mir liegt die Integration. Deshalb spreche ich mit allen Fraktionen. Ich bin guter Dinge. Wir hatten im Verkehrsausschuss selbst bei den härtesten Konflikten immer ein gutes Klima. ❙❚■ Birgit Bauer und Jörg Kürschner Vita Martin Burkert (SPD) Martin Burkert wurde am 14. Oktober 1964 in Würzburg geboren, ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. Nach dem Hauptschulabschluss ging Burkert zur Bundesbahn, schlug die mittlere nichttechnische Beamtenlaufbahn ein und fand 1990 zur Gewerkschaft. Seit Ende 2008 ist er Mitglied des geschäftsführenden Vorstands bei der Eisenbahnergewerkschaft Transnet. Den Sprung in den Bundestag schaffte Burkert 2005. Burkert gehört der SPD seit 1985 an. Seit Mitte Januar ist Burkert Vorsitzender des „Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur“. jök „Wir dürfen uns von der EU-Kommission Entscheidungen nicht aufdrängen lassen“ Martin Burkert Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Bundestag „An einem Sonderprogramm Brücken für Straße und Schiene führt für mich kein Weg vorbei“ Martin Burkert, Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Bundestag

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