Das deutsche Dilemma

Bis vor wenigen Wochen hieß es noch, alle Beschäftigten, die in Deutschland arbeiten, hätten ab 2015 Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn. Das gelte auch, wenn sie oder die Unternehmen, bei denen sie angestellt sind, aus dem Ausland kämen. Güterverkehrsunternehmen etwa aus Osteuropa, die Fahrer in Deutschland einsetzen, wären also auch betroffen gewesen. Bei Transit- und Kabotagefahrten hätten sie diesen für den deutschen Streckenabschnitt wenigstens 8,50 Euro brutto die Stunde zahlen müssen. Zwischenzeitlich ist dem Gesetzgeber anscheinend klar geworden, wie schwierig es ist, sicherzustellen, dass beispielsweise Hunderte polnische LKW-Lenker, die jährlich zwischen dem Grenzübergang Frankfurt (Oder) und dem Autobahndreieck Spreeau verkehren, dafür den deutschen Mindestlohn bekommen. Und dass Betriebsprüfungen unmöglich sind, wenn deren Chefs in Posen oder Warschau sitzen. Deshalb hat man die Vorschriften kurzerhand geändert. Laut einer neuen Verordnung gelten künftig Ausnahmen, wenn ausschließlich mobil oder kurzzeitig und grenznah gearbeitet wird. Ausländische Unternehmer müssen demnach dem Zoll nicht, wie ursprünglich vorgesehen, vorab genau melden, welche Mitarbeiter sie wann, wie lange und wo einsetzen und mit welchen Aufgaben diese betraut sind. Stattdessen reichen Einsatzplanungen mit Angaben zu der voraussichtlichen Dauer der Dienstleistungen und den voraussichtlichen Arbeitnehmern für einen Sechs-Monats-Zeitraum aus. Der Bund macht sich angesichts der Personalnot bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit damit die Arbeit leicht und deutschen Transporteuren das Leben schwer. Effektive Kontrollen, ob die Angaben aus dem Ausland richtig oder erfunden sind, erscheinen durch die gelockerte Meldepflicht faktisch ebenso unrealistisch wie die Ahndung von Verstößen. Sollten Billiganbieter die vereinfachten Vorschriften nutzen, das Mindestlohngesetz zu umgehen, wäre dies staatlich geförderte Wettbewerbsverzerrung. Für das hiesige Fuhrgewerbe führt am Mindestlohngesetz nämlich nach wie vor kein Weg vorbei. Zur Person André Gießeist für die Ressorts Recht + Geld und Fuhrpark + IT zuständig. Der Literaturwissenschaftler (Magister Artium, geboren 1982 in Eisenach) arbeitet seit 2008 als Redakteur für die VerkehrsRundschau.Ihre Meinung zur These an: andre.giesse@springer.com

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