Branchenforum Stahl

Branchenforum Stahl Tickende Zeitbombe Die Sperrung der Rheinbrücke bei Leverkusen für LKW ab 3,5 Tonnen sorgte für Schlagzeilen und Nachdenklichkeit, nicht nur im Transportgewerbe. Auf dem Branchenforum Stahl erfuhren die Teilnehmer aus erster Hand, wie es tatsächlich um die Brücken in NRW bestellt ist. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass der Unmut über den Zustand der Infrastruktur in Deutschland weiter zunimmt, in Dortmund auf dem Branchenforum Stahl war ein Indiz dafür deutlich zu vernehmen. Marode Brücken erzeugen Kopfschütteln Die Reaktionen auf die Aussagen von Günther Karneth, Referatsleiter Straßeninfrastruktur und Straßenverkehr im Verkehrsministerium des Landes Nordrhein-Westfalen (NRW), und Jörg Reißing, Referent im gleichen Referat, waren eindeutig. „Das ist erschütternd: Wir stehen vor dem Scherbenhaufen einer Jahrzehnte verfehlten Verkehrsinfrastrukturpolitik“, lautete der Kommentar von Joachim Schürings, Teamkoordinator Einkauf/Logistik bei der Thyssen-Krupp Steel Europe. Und Jürgen Harland, Leiter Logistik und SCM bei Salzgitter Flachstahl, gab sich erleichtert: „Ich bin froh, dass wir keine Schwerlasttransporte von Siegen nach Gelsenkirchen haben“, sagte er und fügte hinzu: „Stand heute ist für uns der Zustand der Infrastruktur eher eine tickende Zeitbombe als ein tagesaktuelles Problem.“ Auslöser dieser Reaktionen waren insbesondere die Aussagen von Reißing, der sich in dem Ministerium vor allem mit dem Zustand der Tunnel, Brücken und Straßen befasst. Er beschönigte nichts: Die Brücken im Fernstraßennetz von NRW seien zum Teil marode und überaltert. Einige seien aufgrund ihres Alters nicht mehr in der Lage, Schwertransporte aufzunehmen. Insbesondere Brücken, die vor 1985 errichtet wurden, sind nach Aussage von Reißing sanierungsbedürftig. Damals hat man Brücken gebaut, die für weitaus weniger Verkehr geplant wurden, so der Ingenieur. „Man ist davon ausgegangen, dass die LKW fast ausschließlich auf der rechten Spur unterwegs sind“, sagte er auf dem Forum, das vom Logistikcluster NRW und dem Verband Verkehrswirtschaft und Logistik NRW (VVWL) organisiert wurde. Heute sei die Belastung jedoch deutlich höher. Als Konsequenz müssen in NRW 375 Brücken im Bundesfernstraßenbereich auf ihre Tragfähigkeit überprüft werden. „Von 100 mittlerweile nachgerechneten Brücken sind mindestens 50 neu zu bauen“, sagte Reißing. Eine kleine Entwarnung konnte er immerhin geben. Denn da derzeit Brücken untersucht würden, von denen man glaubt, sie seien am stärksten belastet, geht Reißing davon aus, dass „wir uns jetzt auf der Bugwelle befinden“ und die Zahl der Sperrungen nicht mehr so stark ansteigen wird wie in der Vergangenheit. 3,5 Milliarden für Brückensanierung Reißing wies darauf hin, dass die Leverkusener Brücke ein Ausnahmefall sei. Es handele sich hier um eine sehr lange, außergewöhnlich stark beanspruchte Brücke mit massiven Schäden am Tragwerk. Einzig die Rheinbrücke Neuenkamp in Duisburg sei ähnlich stark beschädigt, sagte Reißing gegenüber der VerkehrsRundschau. Die Kosten für den Neubau und die Sanierung der nachgerechneten und noch nachzurechnenden Brücken betragen vorsichtig geschätzt 3,5 Milliarden Euro. Reißing sagte der VR, es werde mindestens zehn Jahre dauern, bis alle Brücken saniert sind. Trotz der Probleme mit den Brücken forderte Hans-Joachim Welsch als Vorsitzender des Verkehrsausschusses der Wirtschaftsvereinigung Stahl auf dem Forum die Erhöhung der zulässigen Gewichte für LKW von 40 auf 44 Tonnen. Die Argumentation von Welsch, der zugleich Geschäftsführer der SHS Logistics GmbH, eine Tochter der Stahl-Holding-Saar (SHS), ist: So könnten zwei Stahlcoils mit jeweils 14 Tonnen untergebracht werden, was inklusive des Eigengewichts des Fahrzeugs die 40 Tonnen leicht überschreiten würde. „Mit der Anhebung auf 44 Tonnen könnten in der Stahlindustrie über 100.000 LKW-Fahrten pro Jahr eingespart werden“, sagte Welsch. Keine Chance für den 44-Tonner Hermann Grewer, erster Vorsitzender des VVWL und Ehrenpräsident des Bundesverbandes Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL), machte Welsch hingegen keine Hoffnungen, dass sich diese Forderung durchsetzen lässt. Zwar stehe auch der BGL hinter dieser Forderung. Aber: „Deren Erfüllung ist aus meiner Sicht in den kommenden Jahren völlig illusorisch“, sagte Grewer. Er begründete dies mit dem schlechten Zustand der Infrastruktur. „Derzeit gelten 30 bis 40 Prozent der Brücken als sanierungsbedürftig. Die müssen zuerst mal saniert werden, bevor wir überhaupt in die Diskussion über eine Gewichtserhöhung mit der Politik einsteigen können.“ Denn eine Erhöhung der Gesamtgewichte würde zu einer höheren Brückenlast führen. „Das wird derzeit kein Politiker mitmachen“, sagte Grewer. Die kategorische Weigerung der Politik, die Gewichte moderat anzuheben, führte zu einer regen Diskussion. Dieter Lindenblatt, Repräsentant des Hafens Antwerpen in Deutschland, äußerte als Zuhörer die Befürchtung, dass Deutschland als Standort im Wettbewerb mit anderen Ländern verlieren könnte, die höhere Gewichte zulassen. Dann könnten Unternehmen sich in Belgien oder in den Niederlanden ansiedeln, um von dort aus über die Seehäfen ihre Schweranlagen zu exportieren und den Standort beispielsweise im Siegerland schließen. Nach Ansicht von Christoph Kösters, Hauptgeschäftsführer des VVWL NRW, hat eine solche Einschränkung sehr wohl Folgen. „Bei der Entscheidung über Standorte werden sich international unterschiedliche LKW-Gewichte künftig auswirken“, so seine Einschätzung. Firmen im Siegerland hätten schon die Andeutung gemacht, wenn es keine Lösung für die Schwertransporte gäbe, würden ihre Komponenten künftig nicht mehr im Siegerland, sondern im Ruhrgebiet zusammengebaut. „Das wäre eine Produktionsverlagerung innerhalb von NRW. Aber wir konkurrieren mit Ländern wie den Niederlanden, wo national 50 Tonnen möglich sind.“ Kösters wies zudem darauf hin, dass die EU erst letzte Woche einen Vorschlag gemacht hat, nach dem zwischen zwei Ländern höhere Gewichte im Transport möglich sind, wenn national ebenfalls höhere Gewichte zugelassen sind. ❙❚■ Michael Cordes „Mit der Anhebung auf 44 Tonnen könnten über 100.000 LKW-Fahrten eingespart werden“ Hans-Joachim Welsch, Verkehrsausschuss Wirtschaftsvereinigung Stahl „Von 100 mittlerweile nachgerechneten Brücken sind mindestens 50 neu zu bauen“ Jörg Reißing, Referent im Verkehrsministerium des Landes NRW Der VVWL sieht in dem Veto gegen den 44-Tonner eine Gefahr für den Standort Deutschland

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