Bei Pharma auf der sicheren Seite sein

Zwei Grad Celsius können bereits den Unterschied machen. Wenn pharmazeutische und biologische Stoffe sich um diesen Wert aufwärmen oder abkühlen, kann ihre therapeutische Wirkung unter Umständen nachlassen. "Auch deshalb hat die EU die Good Distribution Practice (GDP) für den Vertrieb von Humanarzneimitteln novelliert", betont Christian Specht, Geschäftsführer des European Institute for Pharma Logistics (EIPL) in Korntal-Münchingen bei Stuttgart. Auch für Lagerung und Transport formuliert diese Richtlinie, die in 2013 in Kraft trat, Vorgaben. Arzneimittel, die bei besonderen Temperaturen gelagert werden müssen, dürfen nur dann verkauft werden, wenn "dokumentierte Nachweise" über die Lagerung vorliegen. Gleiches gilt für den Transport, der zu den "erforderlichen Lagerbedingungen", so die EU-Richtlinie, erfolgen soll. Was also liegt näher als temperaturgeführte Lager- und Transportprozesse auch für Arzneimittel, die bei konventionellen Raumtemperaturen von 15 bis 25 Grad Celsius umgeschlagen werden? "Wer auf der sicheren Seite stehen will, kann auf solche Angebote nicht verzichten", sagt Christian Specht. Jetzt hat KEP-Dienstleister Transoflex (Tof) in Weinheim, Tochter der Österreichischen Post, eine neue Runde in diesem wettbewerbsintensiven Markt eingeläutet. Anfang Oktober eröffnete der Schnelllieferdienst sein neues Netz Ambient. Egal, ob Arzneimittel auf Paletten, als Stückgut oder in Paketen in der fraglichen Temperaturzone verschickt werden. Da Transoflex nur noch Thermo-LKW oder Fahrzeuge mit Thermoboxen einsetzt, werden besondere Thermoverpackungen überflüssig. "Die Temperatur wird während der gesamten Wertschöpfungskette überwacht und dokumentiert", versichert Transoflex-Geschäftsführer Christian Knoblich. Über die Transportfahrzeuge hinaus werden auch die Lager des KEP-Unternehmens auf ganzer Fläche oder wenigstens in Teilbereichen temperaturgeführt. Millionenschwere Investitionen Das Angebot des Weinheimer Unternehmens geht laut EIPL weit über die bislang bekannten Lösungen hinaus. Die großen Express- und Paketdienste begnügen sich mit standardisierten Verpackungen. So wirbt UPS mit der Luftfrachtbox Pharmaport 360, die voreingestellte Temperaturen über 100 Stunden lang konstant hält und Schwankungen auf maximal zwei Grad Celsius beschränkt. Auch TNT bietet Verpackungslösungen an, die die Innentemperaturen bis zu vier Tage lang stabilisieren. Außerdem hat der Expressdienstleister klimatisierte Container im Portfolio, die Pharmaprodukte auch gegen sehr hohe oder niedrige Außentemperaturen erfolgreich schützen. Andere Akzente setzt Deutsche Post DHL. Der Logistikkonzern hat mit Coldchain ein temperaturgeführtes Teilladungs- und Sammelladungsnetzwerk aufgebaut, das mit fixen Abfahrtszeiten von Niederlassungen und Stützpunkten mit GDP-Standard wirbt. Alle diese Lösungen arbeiten mit integrierten Sensoren, die die Ladungstemperaturen im Zusammenspiel mit einem Telematiksystem auf GPS/GSM-Basis ständig überwachen und dokumentieren. Das macht letzten Endes auch das Ambient-Netz von Transoflex. Trotzdem ist diese Lösung für Specht sehr interessant, weil sie jede Ladeeinheit erfasst und die gesamte Wertschöpfungskette abbildet. "Jetzt werden auch andere Anbieter solche Netze aufbauen", prognostiziert der Experte. Sie müssen wie Transoflex mit millionenschweren Investitionen und langen Anlaufzeiten rechnen. Transoflex, das Tochterunternehmen der Österreichischen Post, hat seit Herbst 2013 das Ambient-Netz vorbereitet. Im ersten Schritt mussten die Standorte modernisiert werden. Außer dem Deutschland-Hub in Kassel sind jetzt alle 40 Niederlassungen vollklimatisiert. Rund zehn Stützpunkte führt das Unternehmen in Eigenregie, für die übrigen 30 sind Systempartner verantwortlich. Voraussichtlich 2015 werden die regionalen Hubs in Hannover, Jena, Köln, Nürnberg und Weinheim folgen. In diesen Standorten können temperaturgeführte Produkte erst in einzelnen Räumen zwischengelagert werden. Auch für den Fuhrpark musste Transoflex tief in die Tasche greifen. Rund 60 LKW mit 12 Tonnen Gesamtgewicht sowie 80 Sattelauflieger benötigt das KEP-Unternehmen für Ambient. Viele Neufahrzeuge mussten deshalb angeschafft werden. Außerdem rüsteten die Weinheimer rund 1500 Verteilerfahrzeuge mit Klimaboxen zwischen 711 und 2400 Litern aus und übernahmen zusätzlich die Kosten für die Modernisierung der Systempartner-LKW beziehungsweise die Ersatzbeschaffung von Temperatur-Trailern. Im Extremfall sofortiger Auslieferstopp Über Linien-, Abholungs- und Auslieferungsverkehre auf Palettenbasis hinaus kann Transoflex jetzt auch für einzelne Paket- und Stückgutsendungen Temperaturführung anbieten. Alle 15 Minuten werden aus jedem Fahrzeug und Depot die von Sensoren ermittelten Mittelwerte an den Zentralrechner des Unternehmens übertragen. Der KEP-Dienstleister investierte dafür in eine neue Telematiklösung. "Für jeden Fahrzeug- und Lagerraum, den eine Sendung durchläuft, kann eine durchgehende Temperaturkurve angezeigt werden.", betont Knoblich. Auch die Kunden waren gefordert. Sie mussten Toleranzspielräume für Abweichungen definieren und Handlungsvorschriften bei deren Überschreiten formulieren. Wenn Letzteres passiert, geht bei einer zentralen Servicestelle von Transoflex jeweils ein optisches und akustisches Warnsignal ein. "Die Disposition der einzelnen Standorte kann sofort eingreifen und alle vereinbarten Maßnahmen bis hin zum sofortigen Auslieferstopp einleiten", sagt Knoblich. Das setzt eine umfangreiche Weiterbildung voraus. Mehrere 100 Fahrer sowie Lager- und Customer-Service-Mitarbeiter mussten geschult werden. "Prozessbeschreibungen wurden angepasst, die Fahrerbücher erneuert und die Auditoren auf die internen Überprüfungen vorbereitet", berichtet Knoblich. Die Mitarbeiter müssen Ambientsendungen von herkömmlichen Sendungen trennen, alle Prozesse bis zu Notfallplänen auswendig lernen sowie manche Touren völlig neu disponieren. Ohne "Train-the-Trainer"-Konzepte wäre laut Knoblich der Start des Ambient-Netzes kaum möglich gewesen. "Die Schulungsverantwortlichen unserer Systempartner nahmen an unseren Weiterbildungen teil und gaben das neue Wissen anschließend an die Kollegen in ihrem Betrieb weiter." Auf Temperaturführung angewiesen Anfang September 2014 startete der Ambient-Testbetrieb an neun Transoflex-Standorten mit dem Hersteller Berlin Chemie als Pionierkunden. Anfang Oktober wurden auch die übrigen Niederlassungen angeschlossen. Jetzt hofft das Unternehmen, dass das Ambient-Netz den schwächelnden Umsatz der vergangenen Jahre wieder belebt. Im Jahr 2013 ging dieser von 527 Millionen Euro auf 505 Millionen Euro zurück. "Wir rechnen damit, dass nach und nach alle Pharmaunternehmen aktiv temperaturgeführt zustellen lassen", sagt Knoblich. EIPL-Schätzungen zu Folge sind rund 30 Prozent der Pharmaartikel aufgrund ihrer Produkteigenschaften auf eine Temperaturführung angewiesen. Aber der Gesetzgeber geht noch weiter. "Jedes humanpharmazeutische Produkt fällt unter die GDP-Richtlinie", gibt Matthias Kagerbauer, Sprecher von Boehringer Ingelheim, zu bedenken. "Die meisten Dienstleister stellen sich auf die neuen Anforderungen ein und entwickeln Angebote, die speziell auf die Pharma branche zugeschnitten sind." Die Konkurrenz zieht nach So gesehen kommt das Ambient-Netz von Transoflex genau zum richtigen Zeitpunkt. Die Hersteller können sich die Kosten für eigene Thermolösungen sparen und gleichzeitig an internationalen Distributionsverkehren teilnehmen. Über das Eurotemp-Netz bietet der Schnelllieferdienst temperaturgeführte Verkehre in acht EU-Staaten an. Ansonsten denken die Weinheimer längst darüber nach, ob auch Kunden außerhalb der Pharmabranche das Ambient-Netz nutzen können. Mit diesen Zielgruppen macht das Unternehmen immerhin rund 50 Prozent des Umsatzes. "Für viele Pflanzen, Lebensmittel und Chemieprodukte gelten ebenfalls Transportvorschriften, die eine Temperaturführung sinnvoll machen", sagt Knoblich. Da könnte den Weinheimern helfen, dass sie der erste Anbieter im Markt sind. Der nächste Kandidat steht aber bereits in den Startlöchern. Auch Frigo-Trans in Frankenthal hat seine Flotte mit 80 Trailern bereits auf Mehrkammersysteme umgerüstet, die Transporte für alle Sendungsgrößen in zwei oder sogar drei Temperaturzonen erlauben. Mit RFID-gestützten Zugangskontrollen und mit GPRS-gesteuerten Laderaumverschlüssen wollen die Pfälzer auch in punkto Sicherheit neue Maßstäbe setzen. Wenn sie darüber hinaus in den nächsten Wochen ihr 9000 Quadratmeter großes, voll-klimatisiertes Logistikzentrum in Fußgönheim eröffnen, können sie innerhalb von Deutschland ebenfalls durchgehend temperaturgestützte Wertschöpfungsketten organisieren. Die neue Good Distribution Practice (GDP) Die neue GDP: Alles nur eine Frage der Interpretation? Sind für Pharmaprodukte, die bei 15 bis 25 Grad Celsius gelagert und transportiert werden, standardmäßige Temperaturführungen notwendig? Für manchen Hersteller ist diese Frage leicht zu beantworten."Wir liefern hochwertige Arzneimittel in zahlreiche entfernte Auslandsmärkte und sind unabhängig von den Vorgaben der neuen EU-Leitlinie Good Distribution Practice (GDP) auf eine solche Dienstleistung angewiesen", sagt eine Sprecherin von Berlin Chemie. Das Unternehmen mit rund 350 Mitarbeitern, das ausschließlich verschreibungspflichtige Tabletten, Säfte und Infusionslösungen herstellt, ist Pionierkunde des Ambient-Netzes von Transoflex.Für den Pharmagroßhandel stellt sich die Situation dagegen ganz anders dar. Der Branchenverband "Phagro", dem alle marktbekannten Großhändler wie Celesio, Noweda und Phoenix Group angehören, kann aus der neuen GDP keine Verpflichtung für eine aktive Temperaturführung im Bereich 15 bis 25 Grad herauslesen. Ein Großhändler muss demnach nicht in jedem Fall Temperaturkontrollen durchführen, schlussfolgert der Verband und plädiert für Einzelfallregelungen: Die Hersteller sollten Risikobewertungen vornehmen, an welchen Stellen der Wertschöpfungskette Kontrollen erforderlich sind, und die Großhändler stellen sicher, dass diese auch eingehalten werden.Marktkenner halten ein solches Vorgehen für GDP-konform. "Die neue Leitlinie schreibt Temperaturkontrollen nicht zwingend vor, wenn der Hersteller entsprechende Produktinformationen zur Verfügung stellt", bestätigt zum Beispiel Pharmaexperte Christian Specht, Geschäftsführer des European Institutes for Pharma Logistics (EIPL) in Korntal-Münchingen bei Stuttgart. Für temperaturempfindliche Produkte sollten qualifizierte Ausrüstungen wie Thermalverpackungen, temperierte Behälter oder Fahrzeuge mit Temperaturkontrollen verwendet werden, heißt es in Kapitel 9 der GDP - was jedoch "temperaturempfindlich" bedeutet, bleibt unklar.Als Konsequenz bieten trotz der neuen GDP nach wie vor fast alle Großhändler und ihre Zustelltöchter beziehungsweise Zustellpartner Temperaturführung nur für zwei bis acht Grad Celsius an, nicht aber für 15 bis 25 Grad Celsius. "Die Unternehmen scheuen die Kosten für die Umstellung", mutmaßt ein Marktkenner. bot

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